Wie Schwimmkurse in der Sahara

Von Redaktion · · 2004/07

Dietmar Köhler, Maschinenbauingenieur, war viele Jahre in leitender Position im Export tätig. Per E-Mail beantwortete er dem SÜDWIND-Magazin Fragen zu seiner gegenwärtigen Situation.

SÜDWIND: Herr Köhler, wie lange sind Sie schon arbeitslos?
Dietmar Köhler:
Ich bin nicht arbeitslos! Ich bin erwerbsarbeitslos, und das seit 1997.
Der Unterschied ist wichtig. Das Wort „arbeitslos“ wird meist falsch verwendet. Das ist eine unselige Tradition. Ich arbeite etwa 30 bis 40 Stunden die Woche ehrenamtlich; ist das keine Arbeit? Auch wenn meist von ehrenamtlicher „Tätigkeit“ gesprochen wird.

Werden Sie in Ihrer jetzigen Situation mit Ausgrenzung konfrontiert?
Da ist zum einen die materielle Ausgrenzung: Arbeitslosengeld und Notstandshilfe liegen im Schnitt weit unter der Armutsschwelle. Das verändert natürlich etwa die Gestaltung der Freizeit: Urlaub mit Frau und Kind waren sofort gestrichen und sind es bis heute. Ein eigenes Auto – und damit etwas Mobilität – ist unmöglich. Zeitungen, Magazine, Kino-, Theater- und Restaurantbesuche sind dem Sparstift zum Opfer gefallen.
Auch anderes ist finanziell schwierig zu bewerkstelligen: Meine Tochter hat das Gymnasium besucht. Das war mit beträchtlichen Kosten verbunden. Jetzt sollte sie mit einem Studium beginnen, das wird noch mehr kosten. Und wenn eine Reparatur ansteht …? Trotzdem haben wir noch Glück gehabt: Wir hatten keine Schulden bei der Abschiebung in die Erwerbsarbeitslosigkeit.

Und auf mentaler Ebene?
Die „Sozialschmarotzerdebatte“ ist besonders schwer zu ertragen. Bekomme ich mein Geld nicht als Versicherungsleistung wie bei einer Wohnungs- oder Haftpflichtversicherung? Dabei sind die Voraussetzungen für den Erhalt von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe eine Zumutung: Die entsprechenden Bestimmungen sind ein juristisches Relikt aus dem Mittelalter. Aber das fällt auch dem Bekannten- und Freundeskreis nicht auf, der immer kleiner wird, nicht zuletzt deshalb, weil immer mehr erwerbsarbeitslos werden.
Dass in angeblich wichtigen Dokumenten wie der Menschenrechtserklärung, der Sozialcharta etc. von Menschenwürde die Rede ist, bleibt den meisten verborgen. Vielleicht ist es unter diesem Aspekt nicht mehr so schmerzlich, wenn der Freundeskreis kleiner wird.

Was machen Sie mit dem Mehr an freier Zeit?
Das Mehr an „freier Zeit“ spende ich der Tätigkeit mit anderen Betroffenen. Im Verein „Zum Alten Eisen?“, einer Selbsthilfegruppe von Erwerbsarbeitslosen ab vierzig, gibt es Menschen, denen es noch schlechter geht als mir. Die Fragen sind trotzdem die gleichen:
-> Warum werde ich zu Kursen gezwungen, die ähnlich sind wie Schwimmkurse in der Sahara?
-> Muss ich Jobs annehmen, deren Entlohnung nicht zum Überleben reicht?
-> Wozu der andauernde Zwang, wenn es sowieso viel zu wenig Arbeitsplätze gibt?
-> Wieso können andere Multifunktionäre sein, wenn ich überhaupt keinen Job habe?
-> Wie soll ich die steigenden Kosten bewältigen, wenn es für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe keine Inflationsanpassung gibt?
-> Merkt niemand die überproportionale Armut der Erwerbsarbeitslosen?
-> Was machen eigentlich die Berufspolitiker?

Haben Sie Wünsche an die Verantwortlichen?
Es ist schwer eine Gesamtbetrachtung anzustellen, wenn man täglich mit Überlebensfragen konfrontiert ist.
Im Zentrum steht die Frage, wozu eine derart teure Regierung gut sein soll, wenn sie sich nicht um uns kümmert.


Die Fragen stellte Brigitte Pilz.

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