Verletzter Stolz

Von Peter Böhm · · 2000/07

Seit Jahren führen die ehemaligen Freunde Äthiopien und Eritrea gegeneinander einen traurigen Krieg. Es geht um besetzte Gebiete an der Grenze und ums Prinzip.

Stell dir vor, es ist Krieg … und die Leute finden zu sich selbst.“ So müsste man wohl die Psychologie des Konfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea beschreiben. Die Tatsache, mit welcher Entschlossenheit und mit wie wenig schlechtem Gewissen beide Seiten zu Werke gehen, als Professionalität zu interpretieren, wäre ein Missverständnis. Es ist Leidenschaft.

Der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi hat die typische Biographie dafür. Vom Kaiser (Haile Selassie) bekommt er ein Stipendium zum Studieren in der Hauptstadt. Noch im ersten Jahr, mit 19, geht er aber schon wieder zurück ins bäuerliche Tigray, im Norden Äthiopiens, um sich den Rebellen anzuschließen und wird Soldat – oder „Kämpfer“, wie dieser Beruf anerkennend in Eritrea genannt wird. Wie Ikonen hängen dort die Bilder von KämpferInnen, die die Flagge der Unabhängigkeit hissen oder andere heroische Taten vollbringen, in fast jeder Amtsstube.

In beiden Ländern treten die Schauspieler und Sänger in Uniform auf, wenn sie abends im Fernsehen ihre traditionellen Kriegstänze und -gesänge aufführen, um die Massen aufzuhetzen. In Eritrea schwenken sie sogar ein Gewehr im Takt dazu.

In einem Zeitraum von vier Wochen Recherche konnte in beiden Ländern niemand gefunden werden, der den Krieg überzeugend und unzweideutig verurteilt hat. Die „Kritik“ wendet sich immer gegen das andere Land, nie gegen den Krieg selbst.

Überhaupt hätte man sich so etwas wohl schon denken müssen, denn der Bürgerkrieg in Eritrea hat drei Jahrzehnte gedauert und der in Nord-Äthiopien fast ebenso lang. Hätte nicht der eine oder andere ins Zweifeln kommen müssen, als sich immer wieder die Kolonnen sowjetischer Panzer nach Norden schoben, deren Wracks sich dort heute noch in den abgelegensten Winkeln finden?

Dieser Krieg wurde in den Medien oft nutzlos und unsinnig genannt. Aber mehr als andere ist er das wohl auch nicht, denn es gibt konkrete Konflikte zwischen beiden Ländern. Eritrea legt sich wie eine Barriere zum Meer vor Äthiopien. Zum Krieg hätte das nicht führen müssen. Entscheidend war wohl eher, dass die beiden Regierungen die Unabhängigkeit Eritreas unter Freunden ausgehandelt haben, ohne ihrem zukünftigen Verhältnis einen rechtlich-institutionellen Rahmen zu geben, und dann, als die Konflikte die Freundschaft zerstörten, um so leidenschaftlicher übereinander herfielen.

Unsinniger als andere Konflikte ist er also nicht, aber tragischer. Denn im Unterschied zu den vielen anderen Bürgerkriegen in Afrika, wo die Truppen, die oft eher an marodierende Jugendbanden erinnern, hier und da ein Massaker begehen, geht es hier um einen Krieg mit sehr großen Armeen, die gegen befestigte Stellungen vorgehen und sich so in den Tod stürzen. Wie zynisch vor allem die äthiopische Regierung mit ihrem Menschenmaterial – denn um nichts anderes handelt es sich bei deren Soldaten – umgeht, ist erstaunlich . Zwar neigt die eritreische Propaganda naturgemäß dazu, die Zahl der äthiopischen Toten zu übertreiben, aber das Land hat Journalisten inzwischen schon so viele Gefallene vorgeführt, dass eine Zahl von einhunderttausend Toten nach zwei Jahren Krieg nicht übertrieben sein dürfte.

Wie das äthiopische Fußvolk sich verheizen lässt, ist erstaunlich auch deshalb, weil die meisten von ihnen die Regierung verabscheuen, die diesen Krieg um ihrer eigenen Legitimierung willen führt.

Wie bei fast allen schwarz-afrikanischen Ländern ist der äthiopische Verwaltungsstaat eine Hülle, unter der sich die eigentliche tribal-klientelistische Struktur verbirgt. Dem Namen nach ist Äthiopien eine Bundesrepublik, in dem die jeweiligen Länder über eine große Autonomie verfügen. In der Realität jedoch ist es die ehemalige Tigreische Volksbefreiungsfront (TPLF), die seit dem gewonnenen Bürgerkrieg 1991 das Ruder fest in der Hand hält. Die Tigreer sind eine kleine Minderheit in Äthiopien. Dass die Regierung die staatlichen Strukturen und Ressourcen offen dazu benutzt, um das karge Bundesland (im Norden) zu industrialisieren, ruft bei den anderen nach ethnischen Kriterien aufgeteilten Bundesländern ungeteilten Hass hervor.

Aber im Mai – um den Sieg gegen Eritrea zu feiern und um gegen das vom UNO-Sicherheitsrat verhängte Waffenembargo zu protestieren – gab es zwei chauvinistische Demonstrationen mit jeweils mehr als hunderttausend Menschen auf dem zentralen Platz von Addis Abbeba.

Die Lösung dafür ist einfach: Die Menschen hassen Eritrea noch mehr als die eigene Regierung. Die Abspaltung der Provinz am Roten Meer, die noch nicht vergessen ist, hat den Nationalstolz beleidigt. Und dieser Stolz spielt sowohl bei den Äthiopiern als auch bei den Eritreern eine für europäische Verhältnisse irrationale Rolle.

Die äthiopische Regierung hat während des zweijährigen Krieges immer wieder betont, ihr gehe es ausschließlich darum, das von Eritrea annektierte Territorium zurückzubekommen. Nachdem Äthiopien jedoch Anfang Mai die Front im Westen durchbrochen und Eritrea sich aus allen umstrittenen Gebieten zurückgezogen hatte, ging der Krieg weiter und Äthiopien stellte auf einmal neue Forderungen. Aus den Äußerungen aus Addis Abbeba ist klar, dass das Land am liebsten eine andere Regierung in Asmara sehen würde. Die militärische Strategie dafür ist jedoch widersprüchlich, und das Ziel wohl genau so unrealistisch, wie die ursprüngliche eritreische Annahme, dass der Vielvölkerstaat Äthiopien durch den Krieg unter innerem Druck zerbrechen würde.

Die äthiopische Armee hat nach ihrem Vormarsch im westlichen, eritreischen Tiefland Zivilisten zum Plündern nach Eritrea gebracht und eine Spur der Zerstörung hinter sich gelassen. Und für die eritreische Regierung ist es einfach, mit dem Argument Äthiopien führe den Krieg, um die Unabhängigkeit Eritreas rückgängig zu machen, die Bevölkerung geschlossen hinter sich zu bringen.

Dass das Horn von Afrika im Augenblick wieder einmal eine Dürreperiode durchläuft, hat die äthiopische Regierung nicht von ihrem Großangriff abgehalten. Nach einer von der Regierung gemeinsam mit internationalen Organisationen durchgeführten Untersuchung sind in dem Land im Jahr 2000 acht Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Im Ogaden, im Südosten, wo wie in vielen Regionen am Horn von Afrika die drei jüngsten Regenzeiten schlecht ausgefallen waren, war es am schlimmsten. Die Bilder von zu Skeletten abgemagerten Menschen, die die Medien von dort in alle Welt sandten, gaben jedoch in der Verbindung mit der für ganz Äthiopien kalkulierten Zahl ein falsches Bild. Nach einer Schätzung der UNO-Landwirtschaftsorganisation (FAO) sind durch die Dürre in Äthiopien drei Millionen Rinder umgekommen – Kamele und Ziegen können unter diesen Bedingungen besser überleben. Aber nicht im ganzen Land war die Not so groß wie im Ogaden – wo das Internationale Rote Kreuz (IKRK) mit einer regional begrenzten Hilfsaktion die Situation recht zügig in den Griff bekam.

Weil es Äthiopien erleichterte, seinen Krieg zu führen, zeigte sich vielmehr, dass die Nahrungsmittelhilfe für das Land einer Revision bedarf. Denn das System, das nach der letzten großen Dürre 1984/85 aufgebaut wurde, gibt Äthiopien die Möglichkeit zum Missbrauch. Zum einen, weil das Land den Bedarf leicht übertreiben kann, und zum anderen, weil es allein dafür verantwortlich ist, an wen diese Hilfe verteilt wird. Wegen seines Sonderstatus war das IKRK die einzige Hilfsorganisation, die selbst darüber entschied.

Gestört hat die äthiopische Regierung auch nicht, dass durch ihren Angriff nach Angaben der eritreischen Regierung 750.000 Menschen vertrieben wurden, also jeder fünfte Eritreer. Und das vor allem im Westen des Landes, wo fast zwei Drittel des eritreischen Getreides geerntet werden. Zwar gibt es Anzeichen, dass einige Menschen schon wieder zurückkehren. Aber ausreichen dürfte das nicht, um die im Juni beginnende Regenzeit auszunutzen, so dass nun auch in den nächsten Monaten viele EritreerInnen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein werden.

Peter Böhm ist Afrika-Korrespondent der Berliner Tageszeitung „taz“ mit Sitz in Nairobi.

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