Starker Tobak

Von Robert Poth · · 2000/10

Mit der geplanten internationalen Konvention gegen den Tabakkonsum rückt die Weltgesundheitsorganisation WHO der Tabakindustrie auf den Pelz. Sie sieht ihre Zukunftsmärkte in den ärmeren Ländern bedroht.

Ist die internationale Tabakindustrie auf der Verliererstraße? Das Jahr 2000 war für sie bisher jedenfalls ein Desaster. Mitte Juli erging ein – nicht rechtskräftiges – Urteil einer Jury in Miami, das Tausenden RaucherInnen im US-Bundesstaat Florida 145 Mrd. US-Dollar Schadenersatz zusprach. Mit zumindest drei Regierungen – Kanada, Kolumbien, Ecuador – laufen Gerichtsverfahren wegen angeblicher Beteiligung am Zigarettenschmuggel, und auch die Europäische Kommission plant vergleichbare Schritte gegen Tabakunternehmen, vom beschlossenen totalen EU-Tabakwerbeverbot ab 2006 ganz zu schweigen. Dass die Weltgesundheitsorganisation WHO der Branche in einem Anfang August veröffentlichten Bericht nachwies, ihr Anti-Tabak-Programm jahrelang systematisch und auf teils unsaubere Art bekämpft zu haben, war auch nicht gerade ein PR-Erfolg.

Was der Industrie, vertreten durch die „Großen Drei“ – Philip Morris, British American Tobacco (BAT) und Japan Tobacco Inc. (JTI) – aber am meisten im Magen liegen dürfte, das beginnt erst im Oktober: Die Verhandlungen über eine internationale Anti-Tabak-Konvention am WHO-Sitz in Genf, die spätestens 2003 unterzeichnungsreif sein soll. Denn schlimmstenfalls – aus Sicht der Industrie – könnte dieses Abkommen dazu führen, scharfe Anti-Rauch-Maßnahmen ŕ la USA auf den Rest der Welt auszudehnen. Und das wäre fatal, denn die Zukunft der Branche liegt in den ärmeren Ländern. Während die Märkte in den reichen Ländern schrumpfen – um 2 Prozent pro Jahr etwa in den USA – nimmt der Tabakkonsum im Süden weiter zu. Nicht nur das, gerade die „Global Brands“, die Weltmarken der Großen Drei, erfreuen sich steigender Beliebtheit.

Der Absatz von „American Blend“, Zigaretten mit einer Mischung aus amerikanischen Virginia- und Burley-Tabaken, nahm von 1992 bis 1998 weltweit um 2,9 Prozent pro Jahr zu, schätzt BAT, in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion sogar um 18,9 Prozent.

Insbesondere China könnte zu einem Eldorado werden: Mit mehr als 1600 Mrd. Stück Verbrauch jährlich repräsentiert die Volksrepublik fast ein Drittel des Weltzigarettenmarkts. Wenn es gelänge, bloß ein Viertel der 300 Millionen RaucherInnen, die bislang vor allem von der China National Tobacco Corporation (CNTC) bedient wurden, zum Markenwechsel zu bewegen, wäre der gesamte US-Absatz kompensiert. Dass 61 Prozent der TeilnehmerInnen einer 1996er-Umfrage in China die Ansicht äußerten, Rauchen schade ihnen nicht oder kaum, ist sicher kein Hindernis. Zudem dürfte der Markteintritt westlicher Firmen eine weitere Verbrauchssteigerung bewirken, wie dies bereits in Japan, Taiwan, Südkorea und Thailand zu beobachten war: Konkurrenz und sprunghaft steigende Werbeaufwendungen führen eben nicht bloß zum Wechsel der Markenpräferenz, wie die Industrie fromm behauptet.

Umso bedrohlicher also die aktuelle Situation. Denn wie die von allen WHO-Mitgliedsstaaten bereits 1996 geforderte Konvention auch ausfällt, eines ist klar: Ihr Ziel ist es, den weltweiten Tabakkonsum durch eine Reduzierung der Nachfrage zu beschränken. Und das erfordert jedenfalls höhere Preise durch Tabaksteuern, Rauchverbote an öffentlich zugänglichen Orten wie Restaurants und am Arbeitsplatz, lückenlose Werbeverbote, die auch das Sponsoring von Sportveranstaltungen umfassen müssten, und konsequente Maßnahmen gegen den Zigarettenschmuggel, um ein Unterlaufen der Preisanhebung zu unterbinden.

Nicht weniger als 355 Mrd. Zigaretten oder rund 30 Prozent der Weltexporte verschwinden irgendwo auf dem Weg ins angebliche Zielland, um dann steuer- und zollfrei und daher vergleichsweise billig oft sogar im Ursprungsland selbst aufzutauchen.

Solche drastischen Schritte werden von der WHO und auch der Weltbank angesichts der dramatischen Gesundheitsfolgen der weltweiten „Tabakepidemie“, einer „übertragbaren Krankheit“, so WHO-Generaldirektorin Gro Harlem Brundtland, für gerechtfertigt gehalten: Die Zahl der RaucherInnen könnte von 1,25 Mrd. (1998) auf 1,69 Mrd. im Jahr 2020, die jährlichen, auf Tabakgenuss zurückführbaren Todesfälle von rund vier Millionen auf bis zu zehn Millionen im Jahr 2030 steigen. Rund sieben Millionen davon würden, in einer Umkehrung der aktuellen Situation, auf die armen Länder entfallen.

Allein diese Prognose unterläuft eine frühere Strategie der Industrie, Anti-Tabak-Maßnahmen als Lösung von Problemen der „Reichen“ auf Kosten der „Armen“, nämlich der Tabakproduzenten der „Dritten Welt“ hinzustellen – und sich damit politische Verbündete zu sichern.

Zweifellos ist Rohtabak ein erfolgreiches und relativ preisstabiles Exportprodukt, das den Entwicklungsländern 1998 laut Welternährungsorganisation FAO 3,26 Mrd. US-Dollar einbrachte. Die Tabakindustrie schätzt, dass der oft arbeitsintensive Anbau weltweit rund 33 Millionen Menschen Beschäftigung bietet, 15 Millionen davon in China (inklusive Saisonbeschäftigung und Familienmitglieder der Bauern). Die WHO weiß daher – und auch die Weltbank – dass der „Krieg“ nur gewonnen werden kann, wenn auch die ökonomischen Bedenken der ärmeren Länder und insbesondere der Tabakproduzenten und Tabakexporteure im Süden zerstreut werden können.

Daher wurden vor Beginn der Verhandlungen zeitgerecht Weltbankstudien lanciert, die genau diesen Effekt erzielen sollen. In dem im März erschienenen Bericht „Curbing the Epidemic“ errechnet die Weltbank, unter Einbeziehung der Tatsache, dass für Tabakwaren ausgegebenes Geld ja nicht verschwindet, sondern für andere Produkte verwendet wird, für die meisten Länder ausgeglichene oder sogar leicht positive Nettoeffekte. Bloß einzelne Länder wie Malawi und Simbabwe, die einen Großteil ihrer Tabakproduktion exportieren, könnten mittelfristig ernsthaft betroffen sein: Ein völliger Ausstieg aus dem Tabakgeschäft würde etwa in Simbabwe 12 Prozent der Arbeitsplätze vernichten. Ein solches Szenario sei aber weder geplant noch realistisch, so die AutorInnen des Berichts.

Postwendend kam die Reaktion der Industrie. Die International Tobacco Growers Association (ITGA), eine seit den 80-er Jahren weitgehend von den Tabakkonzernen aufgebaute Organisation, verbreitete im März einen Bericht des südafrikanischen Experten Reza Daniels. Hauptaussage: Die Weltbank hätte – in unwissenschaftlicher Weise – verabsäumt, die Folgen von Anti-Tabak-Maßnahmen auf betrieblicher Ebene in Betracht zu ziehen, und die wesentlichen Schlussfolgerungen der Weltbankstudie wären daher allesamt falsch. Zu erwarten wäre vielmehr eine Verstärkung der Konsolidierungstendenzen in der Branche und eine Weitergabe des Wettbewerbdrucks an die Tabakpflanzer. Mit anderen Worten: Gerade die kleinen Bauern würden aus dem Markt gedrängt.

Inwieweit sich die Produzentenländer davon beeindrucken lassen, wird sich zeigen. Nach Ansicht der Weltbank, die auch vom in Tabakfragen federführenden UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) übernommen wurde, ergeben sich diese Tendenzen jedoch bereits aus effizienzsteigernden Maßnahmen und Technologiewandel in der Industrie selbst. Tatsächlich dürfte wohl eher der verstärkte Auftritt Chinas am Weltmarkt Wellen schlagen, denn der weltgrößte Tabakpflanzer ist bisher noch kaum im Exportgeschäft vertreten.

Aus den offiziellen Stellungnahmen der Industrie zur geplanten Anti-Tabak-Konvention lässt sich jedenfalls ablesen, dass harte Auseinandersetzungen bevorstehen. Philip Morris etwa lehnt ein völliges Werbeverbot genauso ab wie eine internationale Steuerharmonisierung, während es in der BAT-Position heißt, das Konzept einer Regulierung auf internationaler Ebene sei „grundsätzlich falsch“: Nationale Regierungen wären „unumschränkt in der Lage und eignen sich am besten dazu, ihre eigene Politiken und Regeln festzulegen“.

Kein Wunder: Die international agierenden Unternehmen wollen weiter die Möglichkeit haben, ihre wirtschaftliche Macht auf nationaler Ebene auszuspielen – etwa wie in Argentinien 1992, als nach massivem Lobbying bereits vom Parlament beschlossene Maßnahmen gegen Zigarettenwerbung am Veto von Präsident Carlos Menem scheiterten. Die WHO könnte sich allerdings auch bestätigt sehen: Denn der Widerstand zeigt an, dass sich die Branche tatsächlich bedroht fühlt. „Wir befinden uns schlicht und einfach im Kriegszustand, und wir stehen derzeit vor den entscheidendsten Herausforderungen in der Geschichte unserer Branche“, hieß es in einem internen Dokument, als 1994 drastische Maßnahmen zum Schutz von NichtraucherInnen geplant waren – allerdings bloß in Kalifornien. Jetzt geht’s um die Welt.

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