Ein Menschenrechtsansatz geht davon aus, dass jeder Mensch, egal ob Kind, Frau, Mann, schwarz, weiß, arm oder reich, TrägerIn von Rechten ist. Diese Rechte sind in internationalen Menschenrechtsverträgen und nationalen Verfassungen festgelegt und bedeuten eine Verpflichtung des Staates, die Einhaltung dieser Rechte. Beim Menschenrechtsansatz ist also nicht von „Wohltätigkeit“ die Rede, sondern davon, die Schwächsten in einer Gesellschaft darin zu bestärken, ihre Rechte wahrzunehmen und sie einzufordern. Prinzipien wie Gleichheit, Nicht-Diskriminierung, Transparenz und Verantwortlichkeit (des Staates) werden dadurch national verankert. Die Menschen haben Anspruch auf Durchsetzung bzw. Erfüllung ihrer Rechte durch den Staat.
In den Ländern des Südens bedienen sich die Menschen zunehmend des Rechts, u.a. auch der internationalen Menschenrechtsinstrumente, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Ansprüche durchzusetzen. Bekannte Fälle vor nationalen Gerichten gab es etwa in Indien und Nigeria zum Recht auf Unterkunft oder in Südafrika zum Recht auf Gesundheit.
So bedeutet etwa das Recht auf Grundschulbildung mehr, als dass es diese Ausbildung bloß existieren sollte – es gibt vielmehr einen Anspruch darauf. Der Staat muss konkrete Maßnahmen setzen, um diesen Zugang für alle zu gewährleisten.
Was sind die Vorteile eines Menschenrechtsansatzes? Einmal ermöglicht er eine umfassendere Analyse der tatsächlichen Ursachen von Armut. Dadurch wird auch ein strategischeres, zielgerichteteres Vorgehen möglich. Der Menschenrechtsansatz ist ein analytisches Werkzeug für die Identifizierung von Zielgruppen, Problembereichen und Machtverhältnissen. Der Fokus des Menschenrechtsansatzes richtet sich auf diskriminierte und marginalisierte Gruppen innerhalb einer Gesellschaft. Dieses mehrdimensionale Verständnis von Armut ermöglicht eine umfassendere politische Reaktion auf die strukturellen Gründe für Armut. Aus einer Menschenrechtsperspektive bedeutet Armut nicht nur geringes Einkommen, sondern einen Mangel an essenziellen Freiheiten und Entwicklungschancen wie etwa der schon erwähnten Möglichkeit einer Grundschulbildung, angemessener Unterkunft oder gleichen Zuganges zum Rechtssystem.
Durch den Menschenrechtsansatz erfolgt auch eine Verstärkung des „Empowerment“-Aspekts, da Rechte mit dem bindenden Anspruch auf Erfüllung verbunden sind: „A right confers power“ (ein Recht verleiht Macht). Das erfordert gezielten Aufbau von Kapazitäten, damit Menschen ihre Rechte kennen und einfordern und Staaten ihre Verpflichtungen erfüllen können. Beispiele sind z.B. die Unterstützung von lokalen Rechtshilfe-Initiativen oder Menschenrechts-Training für Gefängnispersonal.
Der Menschenrechtsansatz erfordert ein höheres Niveau an Partizipation vor allem von armen, marginalisierten und diskriminierten Gruppen, die von bisherigen Entwicklungsstrategien nicht ausreichend profitieren konnten. Es kommt also sehr stark darauf an, wie Resultate zustande kommen; Ergebnisse wie wirtschaftliches Wachstum allein reichen noch nicht aus, um nachhaltige menschliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit zu realisieren. Der Menschenrechtsansatz ist das Korrektiv dafür, dass die wirtschaftliche Globalisierung nicht auf Kosten der Schwächsten erfolgt.
Mechanismen staatlicher Verantwortung sind zentral für den Menschenrechtsansatz und werden von traditionellen Strategien der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) oft vernachlässigt. Es bedarf daher einer Stärkung der Institutionen, durch die die politischen EntscheidungsträgerInnen für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können. Der Menschenrechtsansatz bietet Überwachungs-Aktivitäten und Indikatorenentwicklung. So enthalten etwa die Staatenberichte an die UN-Menschenrechtsorganisationen wertvolle Daten und Informationen, die verstärkt genutzt werden können (z.B. zu Nichtdiskriminierung, zur Situation von benachteiligten und gefährdeten sozialen Gruppen, demographische Indikatoren etc.).
Perus Indigene: Eines der größten Probleme des Andenlandes ist die anhaltende und weit verbreitete Diskriminierung der indigenen Bevölkerung. Traditionelle Strategien zur Senkung der hohen Müttersterblichkeit (dreimal so hoch wie der Landesdurchschnitt) waren bisher gescheitert.
Jahrelang wurde dies als reines Gesundheitsproblem gesehen. Durch einen Menschenrechtsansatz, der sich auf mehrere Bereiche (Gesundheit, Bildung, indigene kulturelle Rechte, Status der Frauen), Ungleichheiten und Ausgrenzungen konzentrierte, wurde ein substanziell anderes Programm erarbeitet. Eine Analyse ergab, dass die hohe Müttersterblichkeit der indigenen Frauen auf die krasse Geschlechter-Ungleichheit in Verbindung mit sozialen und kulturellen Barrieren zu Gesundheitseinrichtungen zurückzuführen war. Die angebotenen Gesundheitsleistungen waren kulturell nicht entsprechend und wurden somit von den indigenen Frauen nicht akzeptiert. Die Frauen brachten ihre Kinder deshalb zu Hause unter schlechten hygienischen Bedingungen zur Welt, was die hohe Sterblichkeitsrate erklärt.
Gespräche zwischen den betroffenen Frauen, lokalem Gesundheitspersonal und NGOs, den zuständigen staatlichen Stellen (v.a. Beamte des Gesundheitsministeriums) und UNICEF führten zur Ausarbeitung einer Strategie, die kulturell akzeptierte Formen der Geburtshilfe anbietet und die Frauen und die lokalen Gemeinden über Hygienemaßnahmen informiert. Das lokale Gesundheitspersonal und die Hebammen wurden erstmals zusammengebracht. Das Ergebnis war, dass der Staat die Ausbildung des Gesundheitspersonals änderte und das Gesundheitsbudget umstellte; die Gesundheitsleistungen wurden stärker in Anspruch genommen und die Müttersterblichkeit ging radikal zurück.
Beispiel Skandinavien: Sowohl im Rahmen der schwedischen als auch der norwegischen EZA wird seit einigen Jahren ein ausdrücklicher Menschenrechtsansatz verfolgt; das bedeutet: Menschenrechte und menschliche Entwicklung ergänzen sich, sie sind nicht separate Ziele. Konsequent verfolgt heißt ein Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit, dass alle Aktivitäten auf die Förderung und Verwirklichung von Menschenrechten ausgerichtet sind.
Eine weniger weitgehende Verknüpfung von Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechten ist die Integration von Menschenrechten als Sektor oder Querschnittsmaterie in der EZA. Bei einer Integration als Sektor werden Menschenrechtsprojekte als eigenständiges Aktionsfeld unter anderen Prioritäten (etwa Maßnahmen der Guten Regierungsführung, Dezentralisierung, die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben, Infrastruktur etc.) durchgeführt. Bei der Integration als Querschnittsmaterie sollen Menschenrechte in alle anderen Bereiche einfließen („Mainstreaming“ von Menschenrechten). Hier werden z.B. Checklisten verwendet, um festzustellen, wie stark Menschenrechte in Projekten oder Programmen berücksichtigt sind.
Weitere Instrumente zur Umsetzung eines Menschenrechtsansatzes in der EZA sind so genannte „Human Rights Impact Assessments“, bei denen die Auswirkungen von Entwicklungsprogrammen auf die Menschenrechte in einem Land analysiert werden. Ein umfassenderes Instrument ist die Länderanalyse, wo die Menschenrechtssituation in einem bestimmten Partnerland analysiert wird und sodann als Grundlage für weitere Projekt- oder Programmaktivitäten dient. In der Testphase ließe sich der Menschenrechtsansatz am besten in einem Partnerland anhand eines bestimmten Themas konkretisieren.
Der Menschenrechtsansatz hat also Einiges zur Entwicklungszusammenarbeit beizutragen. Er konzentriert sich auf die Schwächsten einer Gesellschaft, trägt zu einem vermehrten Empowerment der Menschen bei und verstärkt Mechanismen staatlicher Verantwortung. Der nächste Schritt sollte nun sein, die Stärken der traditionellen EZA und der Menschenrechte zusammenzuführen und dadurch einen Beitrag zu nachhaltiger Armutsbekämpfung zu leisten.
Auch die österreichische EZA hat die Vorteile eines Menschenrechtsansatzes erkannt und arbeitet an einer Strategie zu Menschenrechten in der Entwicklungszusammenarbeit, die voraussichtlich Mitte 2005 fertig sein soll. Wie weitgehend diese Strategie Menschenrechte integrieren wird, bleibt abzuwarten.