Die beiden Friedensforscher Gudrun Kramer und Wilfried Graf unterstützen seit 2002 den Dialogprozess zwischen den Konfliktparteien in Sri Lanka. Südwind-Redakteur Ralf Leonhard sprach mit ihnen über die jüngste Eskalation und zukünftige Perspektiven in dem Konflikt.
Gudrun Kramer und Wilfried Graf sind Co-Direktoren des Institute for Integrative Conflict Transformation and Peacebuilding (IICP) mit Sitz in Wien. Sie waren zuletzt im Juli in Sri Lanka. Kramer und Graf arbeiten nach der Methode des norwegischen Friedensforschers Johan Galtung mit politischen und zivilgesellschaftlichen VertreterInnen der Konfliktparteien. Ergebnis der Arbeit soll eine von der Gesellschaft getragene, weitreichende Autonomielösung für die ethnischen Minderheiten (Tamilen und Muslime) sein (siehe auch SWM 12/2005).
Südwind: Warum ist der Konflikt in Sri Lanka wieder so eskaliert?
Gudrun Kramer: Es begann mit den Wahlen im vergangenen November. Präsident Mahinda Rajapakse hatte schon im Wahlkampf gesagt, dass er den Einheitsstaat wahren und nicht auf tamilische Vorstellungen einer Dezentralisierung eingehen will. Damit konnte er sich zwar die Stimmen der singhalesisch-nationalistischen Kräfte sichern, gefährdete aber gleichzeitig das Waffenstillstandsabkommen. Nach den Wahlen hat die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam, die tamilischen Befreiungstiger; Anm. d. Red.) darauf mit Anschlägen auf militärische Einrichtungen und hohe Militärs reagiert. Die Regierung antwortete mit Bombardierungen. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 2002 war geprägt durch die Einsicht, dass ein militärisches Gleichgewicht bestand, und dass keine Seite den Konflikt durch Krieg gewinnen konnte. Diese Einsicht scheint vergessen zu sein, und beide Seiten scheinen zu glauben, dass sich das militärische Gleichgewicht zu ihren Gunsten verschoben hat. Besonders dramatisch ist dabei die neue Art der Kriegsführung, bei der keine Seite Rücksicht auf Zivilisten nimmt und beide die zivilen Opfer für ihre Propaganda nutzen.
Wilfried Graf: Seit die EU die LTTE auf die Liste der Terrororganisationen setzte, ohne einen Ausweg anzubieten oder gleichzeitig Druck auf die Regierung auszuüben, mehren sich die Bemühungen, den jeweils anderen zu terroristischen Gegenschlägen zu provozieren. Was für die einen Terrorismus ist, ist für die anderen Kollateralschaden. Mittlerweile wurde bestätigt, dass die Armee ein Kinderheim und kein Ausbildungslager der LTTE bombardierte.
Inwieweit sind die österreichischen Tsunami-Wiederaufbauprojekte von den Kämpfen betroffen?
Gudrun Kramer: Wir arbeiten vor Ort mit der lokalen Partnerorganisation Sarvodaya. Das Dorf Samudragama bei Trincomalee kann auf Grund der Unruhen nicht verwirklicht werden. Die dafür vorgesehen Gelder vom Land Burgenland wurden für das bereits fertige Dorf Lagoswatte im Süden eingesetzt. Die dadurch freigewordenen Mittel werden von Sarvodaya für das ursprüngliche Projekt eingesetzt, sobald dort wieder gearbeitet werden kann. In Vaddavan in der Provinz Batticaloa wurden zehn unserer Bauarbeiter von der paramilitärischen Karuna-Fraktion, einer Abspaltung der LTTE, entführt und möglicherweise zwangsrekrutiert. Das passiert in vielen Dörfern. Wir haben daraufhin alle jungen Männer nach Hause geschickt und versuchen, sie durch ältere Arbeiter, die nicht gefährdet sind, zu ersetzen.
Nicht direkt betroffen ist Ninthavur im Distrikt Ampara. Aber das Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen wächst auch dort.
Ist die von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit finanzierte Vermittlungsarbeit des IICP gefährdet?
Wilfried Graf: Wir arbeiten seit Jahren mit einer Gruppe, die durch ihre Zusammensetzung äußerst repräsentativ ist: RegierungsvertreterInnen, Tamilen, Muslime, Repräsentanten der Glaubensgemeinschaften und der Zivilgesellschaft. Diese Gruppe war im April in Österreich. Da ging es um die Unterstützung einer in Genf geplanten Dialogrunde, die dann abgesagt wurde. Aber das Treffen war sehr gut.
G.L. Peiris von der Oppositionspartei UNP, der seinerzeit die Waffenstillstandsverhandlungen leitete, ist neu zur Gruppe gestoßen. An die österreichische Regierung und das Parlament wurde der Wunsch herangetragen, eine aktivere Rolle im Friedensprozess zu übernehmen. Es gibt etwa den Vorschlag, die Leiter der Friedenssekretariate von Regierung und LTTE zu inoffiziellen Gesprächen in Wien einzuladen. Von beiden Seiten wurde uns Bereitschaft dafür signalisiert.
Gudrun Kramer: Im Juni 2006 traten die TeilnehmerInnen zum ersten Mal geschlossen als Austria Group an die srilankische Öffentlichkeit und plädierten für eine Dezentralisierung des Landes. Das war das erste Mal, dass Singhalesen, Tamilen und Moslems, VertreterInnen fast aller Parteien und der Zivilgesellschaft, dies gemeinsam forderten. Gerade die Eskalation der Gewalt und das mögliche Scheitern der offiziellen Verhandlungen bewirken, dass die Gruppe verstärkt in den Vordergrund rückt. In ihrem Selbstverständnis nimmt sie sich als einer der wenigen Akteure wahr, welche in der momentanen Situation noch konstruktive Dialoge zwischen den Konfliktparteien initiieren kann. Dafür wünscht sich die Gruppe auch weiterhin die Unterstützung durch das IICP und Österreich.