Wozu kann Entwicklungspolitik heute gut sein? Brauchen wir sie überhaupt? Und wenn ja, in welcher Form? Ein Kommentar von Armin Thurnher.
Wer hätte gedacht, dass sie mich einmal darum bitten, einen Kommentar zu diesem Thema zu schreiben! Ich nicht. Vor allem nicht, als ich vor über 20 Jahren meinen Zivildienst beim ÖIE absolvieren durfte. Der ÖIE war ein Nervenzentrum mitten in der Stadt, er gab auch eine Zeitschrift mit dem sexy Titel EPN heraus, bei deren Redaktion ich zivil dienen durfte, und deren Auflage ich damals durch ein paar Anregungen ein bisschen nach oben bringen konnte. Meine Hauptarbeit bestand aber darin, Telefongespräche zu vermitteln und den regen Postverkehr physisch abzuwickeln, also Pakete und Briefe auf die Post zu bringen.
Im Nervenzentrum ÖIE gingen verschiedene heute prominente Menschen ein und aus, Stefan Schennach war einer der Mitarbeiter, ein hoffnungsvoller Journalist und Jungliterat namens Christoph Ransmayr lief einem als Zivildiener immer wieder über den Weg, ebenso Erich Hackl, Margaretha Kopeinig, heute Europaspezialistin des Kurier, war Angestellte. (Ich nenne ungerechterweise nur vier, die mir aufs Erste einfallen.) Die Vorstandssitzungen verliefen auf intellektuellem Niveau. Es war die Spätphase der Kreiskyjahre, und Entwicklungspolitik hatte trotz gern geführter Klagen über unzureichende Dotierung Konjunktur.
Die mittlerweile eingetretenen historischen Umwälzungen haben das Interesse an Themen im Nord-Süd-Kontext geschwächt. Die EPN heißen heute SÜDWIND-Magazin und sind um Lichtjahre professioneller gemacht und interessanter zu lesen als ihre Urform. Dennoch leiden auch sie unter dem eingetreten thematischen Kurssturz. Der Zusammenbruch des Ostblocks, die Erweiterung der Europäischen Union, der islamistische Terror und die sogenannte Globalisierung haben die Agenda geändert und den Blick europäisch erweitert, aber global verengt.
A propos „Globalisierung“: Man sollte hier dem deutschen Soziologen Ulrich Beck folgen und lieber „Globalismus“ zu jenen neoliberalen Wirtschaftsformen sagen, welche „die Tugenden neoliberalen Wachstums“ propagieren sowie „den Nutzen, Kapital, Produkte und Menschen weitgehend ungehindert über Grenzen hinweg zu bewegen“.*
Demgegenüber, sagt Beck, wäre es nützlich, den Begriff der Globalisierung positiv zu besetzen. Er stellt dem neoliberalen Globalismus eine ebenso real vorhandene Globalisierung gegenüber. Diese Globalisierung beinhaltet beispielsweise transnationale kulturelle und politische Erscheinungsformen, sie umfasst also multiethnisches Essen genauso wie Nichtregierungsorganisationen als nichtstaatliche politische Akteure, Weltmusik genauso wie Protestaktionen für die weltweite Anerkennung der Menschenrechte und den Kampf für ein weltweites Rechts- und Sozialsystem.
Ich denke, alle politischen Fragen stehen momentan im Zeichen des großen Hegemoniekampfs, in dem der Globalismus seine Konjunktur dazu benützt, seine Sichtweise durchzusetzen. Der Verblödungsoffensive unter dem Titel TINA („There is no Alternative“, © Margaret Thatcher) kann man nur entgegentreten, indem man zuerst den Blick dafür schärft, dass Entscheidungen niemals alternativlos fallen. Jede dieser Entscheidungen, die mit scheinbar naturgesetzlicher Wucht fallen – sei es die Entstehung eines Nulldefizits, die Durchsetzung von Sparzwängen, Entlassungen oder die Festlegung der gewünschten Kapitalverzinsung in einem Unternehmen – geht auf eine von Menschen getroffene Entscheidung zurück.
Der Kapitalismus als System ist endgültig und weltweit etabliert. Als Globalismus führt er zu immer neuen Krisen, die sich möglicherweise nur dann abfedern oder mildern lassen, wenn der reiche Norden mit dem armen Süden auch in einer anderen Sprache als der schierer Ausbeutung reden kann. Das wäre mein Argument für etwas so Prekäres wie „Entwicklungszusammenarbeit“. Sie inkludiert die Notwendigkeit, darüber einen möglichst vielschichtigen und vielstimmigen Prozess der Selbstverständigung und der Verständigung mit Partnern außerhalb des reichen Nordens aufrechtzuerhalten. Globalisierung oder am Globalismus ersticken, lautet die Alternative. Deshalb scheint es unerlässlich, das entwicklungspolitische Fenster nicht nur offen zu halten, sondern es weiter zu öffnen.
* Ulrich Beck: Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden. Edition Zweite Moderne, Frankfurt am Main 2004