Es gärt und brodelt in der Männerwelt, rund um den Globus – und was dabei heranreift, ist vielversprechend, für beide Geschlechter. Eine Analyse von New Internationalist-Autorin Nikki van der Gaag.
Wie sehr haben sich die Männer in den letzten zehn Jahren verändert? Kaum, würden die meisten Frauen sagen. Aber dass sich etwas tut, steht fest. Soviel jedenfalls, dass in den USA und Kanada bereits Ängste vor einem „Ende des Mannes“ grassieren: Männer, so ein Artikel in der Atlantic Monthly, werden mit dem „historisch einmaligen Rollenwechsel“, der heute stattfindet, einfach überflüssig.1) Newsweek brachte eine Titelgeschichte über die „Neuerfindung der Männlichkeit“, in der ernsthaft debattiert wurde, ob die Frauen bereits weltweit die Macht übernehmen – oder zumindest in den USA.2) Der kanadische Globe and Mail wiederum versuchte in einer ganzen Serie zu ergründen, warum Buben heute in der Schule versagen.3)
Natürlich ist die Wirklichkeit etwas komplexer als die Welt der Schlagzeilen. Im Allgemeinen scheint nur wenig dafür zu sprechen, dass die Dominanz der traditionellen Männlichkeit ihrem Ende zugeht. Männer haben nach wie vor in den meisten Regierungen das Sagen, sie verdienen am meisten, und sie vergewaltigen und misshandeln weiter Frauen, und das oft straflos. In manchen Ländern haben Frauenorganisationen in einem jahrelangen Kampf politische und praktische Veränderungen durchgesetzt, die Frauen ein besseres Leben ermöglicht haben – wenn auch eher in der Arbeit und in der Schule, weniger zuhause oder in der Politik. Das heißt aber nicht, dass die Männer nun schlechter wegkommen, auch wenn bei der Erziehung der Söhne in vielen Ländern mit Sicherheit einiges schief läuft.
Gleichzeitig erleben viele Männer, dass das traditionelle männliche Rollenmodell nach und nach seine Gültigkeit verliert. Sie wissen nicht mehr, wie sie reagieren sollen, wenn ihre Frauen arbeiten gehen, ihre Töchter sich selbst den Mann aussuchen, den sie heiraten wollen, oder ihre Söhne ihnen sagen, sie wären schwul. Sie wollen nicht so reagieren wie andere Männer, aggressiv und gewalttätig aus aufgestauter Frustration. Doch Modelle für ein anderes und doch männliches Verhalten gibt es nur wenige. Todd Minerson, Exekutivdirektor der White Ribbon Campaign4), der weltweit größten Initiative von Männern gegen Gewalt an Frauen, meint dazu: „Wenn man zur dominierenden Gruppe gehört, fehlt einem diese Geschichte des Kampfes und der Analyse, die zur Perspektive der dominierten Gruppe gehört. Es ist nichts Natürliches, nichts, was einem beigebracht wird. Nichts, was unsere Väter uns weitergeben hätten können.“5)
Während also Frauen seit Jahrzehnten um Gleichberechtigung gekämpft haben, beschränkten sich die meisten Männer darauf, dem herkömmlichen Rollenbild zu entsprechen. Heute aber wird zusehends deutlich, dass sie dabei nicht mehr auf ihre Rechnung kommen. Sich wie ein „traditioneller“ Mann zu verhalten ist gefährlich – das zeigte etwa eine landesweite Erhebung unter 15-19-jährigen männlichen Jugendlichen in den USA: Wer sich an einem eher traditionellem Konzept von Männlichkeit orientiert, hat mehr Probleme mit Drogenmissbrauch, Gewalt und Kriminalität und praktiziert eher ungeschützten Sex.6) Aus einer in mehreren Ländern durchgeführten Befragung von insgesamt 11.000 Frauen und Männern ging hervor, dass Männer mit eher rigiden Vorstellungen von Männlichkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit unter Depressionen litten und insgesamt unzufriedener mit ihrem Leben und ihren Beziehungen waren.7) In Großbritannien schließlich ist Selbstmord die häufigste Todesursache von Männern unter 35. Jane Powell, Direktorin von CALM („Campaign Against Living Miserably“, eine Initiative zur Senkung der Selbstmordrate), meint dazu: „Der Kern des Problems mit den Selbstmorden junger Männer besteht darin, dass es als unmännlich gilt, um Hilfe zu bitten. Zu sagen ‚ich kann nicht mehr‘ ist für einen Mann dasselbe wie zu sagen ‚ich bin kein Mann‘.“8)
Auch die Einstellungen gegenüber Homosexualität sind ein guter Gradmesser für dieses traditionelle Männlichkeitskonzept. Wird sexuelle Vielfalt akzeptiert, werden wahrscheinlich auch andere Differenzen in einem positiveren Licht gesehen, ob in punkto Hautfarbe, Geschlecht oder soziale Herkunft. In vielen Ländern ist Homosexualität noch immer illegal. Schwule, Lesben und Transsexuelle müssen noch immer damit rechnen, stigmatisiert, misshandelt und sogar gefoltert und getötet zu werden. Dass sich die Einstellung von Männern zur Homosexualität in Großbritannien und den USA positiv verändert hat (siehe Beitrag „Kein Märchen mehr“, S. 35), ist daher eine wirklich gute Nachricht.
Heute gibt es immer mehr Programme, die mit Männern zu Themen wie Gewalt, Gesundheit, Vaterschaft, Sexualität und Beziehungen arbeiten, und führend dabei sind die Länder des Südens. Männer, insbesondere junge Männer vom Rand der Gesellschaft, haben ein besondere Motivation, hier mitzumachen: Sie kennen die extremsten und oft von Gewalt geprägten Auswüchse einer traditionellen Männlichkeit aus nächster Nähe. Insofern ist es vielleicht nicht überraschend, dass die bisher erfolgreichsten Projekte zu Männlichkeitskonzepten mit Männern aus Elendsvierteln durchgeführt wurden, etwa in den Favelas von Brasilien oder den Townships Südafrikas. Mit Männern wie Cristóbal aus der Dominikanischen Republik, den ich bei meiner weltweiten Recherche über die Mitwirkung von Männern und Burschen am Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter kennenlernte.
Warum er sich an einer Männergruppe beteiligte, erklärte er mir so: „Ich sehe, wie viel Gewalt es in meiner Gemeinschaft gibt, und ich will diese Gewalt beenden. Und weil mein Vater uns wie Tiere behandelte. Ich will ein besserer Vater für meine Kinder sein als es mein Vater für mich war.“ Oder Wilman, der Jüngste in der Gruppe: „Ich bin hier, um zu lernen, Frauen gegenüber nicht gewalttätig zu sein, weil ich das oft in meiner Familie erlebe. Viele Männer schlagen ihre Frauen, wenn sie nicht tun, was sie von ihnen wollen.“8) Es ist ihnen klar, dass ihre Gesellschaft vom Machismo beherrscht wird und Frauen als zweitklassige Menschen betrachtet werden, und sie wissen auch, wie negativ sich das auf Frauen, aber auch auf die Beziehungen und daher auch auf Männer auswirkt. Und sie wollen etwas dagegen tun.
Die Artikel dieses Themas wurden zuerst im Monatsmagazin „New Internationalist“ (Ausgabe 444, August 2011) veröffentlicht. Wir danken den KollegInnen in Oxford für die gute Zusammenarbeit. Der „New Internationalist“ kann unter der Adresse: Tower House, Lathkill Street, Market Harborough, Leicestershire LE16 9EF, England, U.K., bezogen werden (Jahresabo: 37,85 Pfund; Telefon: 0044/ 171/82 28 99). www.newint.org. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung der Artikel: Irmgard Kirchner. Übersetzung: Robert Poth.
Männer wie Cristóbal und Wilman können miteinander über alles offen reden, was ihnen am Herzen liegt, und sie sind daher wahrscheinlich eher in der Lage, ihre Anliegen auch im Umgang mit den Frauen in ihrer Familie und den Menschen in ihrer Gemeinschaft zur Sprache zu bringen. Sie geben unumwunden zu, dass sie manche Dinge nicht verstehen. Darüber zu sprechen macht es ihnen möglich, sich von den Werten zu distanzieren, die ihnen vermittelt wurden und die sie überall in ihrem Umfeld wahrnehmen, und letztendlich auch bessere Väter, bessere Ehemänner, Brüder, Onkel und Bürger ihres lokalen Gemeinwesens zu werden.
Das ist nicht bloß ein frommer Wunsch. Veränderungen sind tatsächlich feststellbar. Das Program H (H für homens bzw. hombres, Portugiesisch bzw. Spanisch für Männer) etwa bringt junge Männer und ihre Gemeinschaften dazu, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen. Unter den Ergebnissen: „Vermehrter Gebrauch von Kondomen, bessere Beziehungen mit Freunden und Sexpartnern, höhere Akzeptanz der Verantwortung von Männern für die Hausarbeit sowie weniger Fälle von sexueller Belästigung und Gewalt an Frauen.“9)
Luis und Cindy lernte ich bei einem Treffen einer Gruppe junger AktivistInnen in El Salvador kennen, bei dem es auch um Fragen der Gleichberechtigung ging. Durch die Workshops, meint Luis, sei er „ein besserer Freund geworden, mit engeren Freundschaften sowohl mit jungen Männern als auch mit jungen Frauen, und mit besseren Gesprächen“. Cindy pflichtete ihm bei: „Ich glaube, dass junge Männer nach der Arbeit in diesen Workshops eher fähig sind, ihre Gefühle zu zeigen. Es steht ihnen genauso offen, ihre Gefühle auszudrücken, wie Frauen – wir können versuchen, etwas zu tun, damit sich diese typische Phrase, von wegen ‚Männer weinen nicht‘, nicht mehr derart auswirkt.“10)
Am schwierigsten für Männer ist es vielleicht, einige ihrer Privilegien aufzugeben und einen Teil der Hausarbeit zu übernehmen. Selbst berufstätige Frauen leisten in den meisten Ländern den Großteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit.11) Aber sogar hier beginnen die Tabus langsam zu bröckeln. Sonwabu Qathula ist einer von neun Männern, die für die HIV/Aids-Initiative Siyakhanyisa in Südafrika als Pfleger arbeiten. „In der afrikanischen Gesellschaft gilt es als ungehörig, Männer an der Pflege zu beteiligen“, erklärt Patrick Godana, Projektmanager des Sonke Gender Justice Network in der Provinz Eastern Cape. Qathula tat sich anfangs schwer, meint heute aber: „Die Einstellungen der Menschen ändern sich. Ich bekomme Anerkennung vom Schuldirektor, vom Chief meines Gebiets und vielen Männern und Frauen meiner Gemeinschaft. Dass ich Menschen helfen kann, erfüllt mich mit Stolz, und deswegen mache ich weiter.“
Seit die Gruppe auch Pfleger einsetzt, hätten mehr Männer die Dienste der Gruppe in Anspruch genommen und auch HIV-Tests machen lassen, erzählt die Projektkoordinatorin Siphokazi Makaula: „Diese Männer sind ein wunderbares Beispiel für andere Männer.“12)
Den InitiatorInnen dieser Programme ist klar, dass sie aus einer frauenrechtlichen Perspektive heraus handeln. Sie beraten sich mit feministischen Kolleginnen, und viele arbeiten auch mit jungen Frauen. Außerdem werden solche Programme immer beliebter, auch wenn sie weit davon entfernt sind, zum „Mainstream“ der Genderarbeit zu gehören. In den letzten paar Jahren breiteten sie sich über die ganze Welt aus. Die MenEngage Alliance unter Leitung des Sonke Gender Justice Network hat heute weltweit 400 Partner; die White Ribbon Campaign arbeitet in 60 Ländern.13) UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat ein „Network of Men Leaders“ ins Leben gerufen, um mitzuhelfen, der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu bereiten.14) Immer mehr NGOs versuchen, als Ergänzung ihrer Genderarbeit mit Frauen und Mädchen auch mit Männern und Jugendlichen zu arbeiten.
Das Medieninteresse gilt aber oft den kleinen, antifeministischen, sogar frauenfeindlichen Backlash-Männergruppen. „Die Gegner des Feminismus haben nun herausgefunden, dass sich die Probleme von Männern und Jungen weidlich ausnutzen lassen“, meint dazu die Soziologin Raewyn Connell. „Am deutlichsten ist das in den USA zu beobachten, wo Autoren wie Warren Farrell15) sich als Fürsprecher von Männern und Jungen gebärden und voller Bitterkeit den Feminismus der Ungerechtigkeit bezichtigen. Die wirklich benachteiligte Gruppe, behaupten sie, wären Männer und Jungen (…) Diese Argumentation … gehört nun zum breiten Repertoire der Neokonservativen bei ihrem Kampf gegen ‚politische Korrektheit‘ und sozialpolitische Maßnahmen.“16)
Nicht überraschend also, dass viele FeministInnen dieser Entwicklung mit einigem Misstrauen gegenüberstehen. Etwa Everjoice Win aus Simbabwe, die dazu anmerkt: „Wir haben brutale männliche Gewalt am eigenen Leib miterlebt, und wir haben die Narben, um das zu beweisen. Wer kann uns da vorwerfen, dass wir die meisten Männer als Feinde betrachten?“17)
Andererseits hat sich aber gezeigt, dass der Ärger von Männern über Frauenprogramme, die ausschließlich mit Frauen arbeiten, sich nachteilig auf die Teilnehmerinnen dieser Programme auswirkt – etwa im Fall von Spar- und Kreditprogrammen, wenn sich Männer eine neue Frau nehmen, um an das Geld heranzukommen, oder wenn arbeitslose Männer es nicht aushalten, dass ihre Frauen Arbeit haben und sie deshalb verprügeln. Auch ganze Gemeinschaften führen religiöse oder kulturelle Gründe ins Treffen, um „ihre“ Frauen daran zu hindern, sich „westliche“ Freiheiten und Rechte herauszunehmen, die bisher nur den Männern zustanden.
Eine berechtigte Sorge ist auch, dass die Genderarbeit mit Männern dazu führen könnte, der essenziellen Arbeit mit Frauen und Mädchen dringend benötigte Ressourcen zu entziehen. Aber nur mit Frauen zu arbeiten, auch wenn diese Projekte den Teilnehmerinnen neue Kompetenzen und Selbstvertrauen vermitteln, reicht allein nicht aus, um unsere patriarchalische Gesellschaft zu verändern. Einer solchen Veränderung wirken einfach zu viele Kräfte entgegen. Nur wenn auch die Männer einbezogen werden, kann es zu wirklichen Veränderungen kommen. Cristóbal etwa ist überzeugt: „Die Gleichberechtigung der Geschlechter kann uns allen nützen. Wenn es Gleichberechtigung gibt, haben sowohl Frauen als auch Männer Rechte.“ „Letztlich geht es um Respekt“, fügte Bienvenido hinzu, ein alter Mann mit einer königsblauen Kappe. So einfach ist das. Oder so kompliziert.
Copyright New Internationalist
Nikki van der Gaag, eine ehemalige New Internationalist-Redakteurin, hat sich seit vielen Jahren auf Genderfragen spezialisiert. Sie arbeitet nun als freie Journalistin und konzentrierte sich zuletzt auf die wachsende Beteiligung von Männern aller Altersgruppen am Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter.
1) The Atlantic, www.theatlantic.com/magazine/archive/2010/07/the-end-of-men/8135/1
2) Newsweek, www.thedailybeast.com/newsweek/2010/09/20/why-we-need-to-reimagine-masculinity.html
3) „We Can’t Tolerate Failing Boys“, The Globe and Mail, 21. Oktober 2010.
4) http://whiteribbon.com
5) J. Prime, C. A. Moss-Racusin, „Engaging Men in Gender Initiatives: What Change Agents Need To Know“, Catalyst 2009.
6) W.H. Courtenay „Better to die than cry? A longitudinal and constructionist study of masculinity and the health risk behavior of young American men“, University of California –Berkeley, Dissertation Abstracts International, 1998.
7) „Evolving men: Initial results from the International Men and Gender Equality Survey“, International Centre for Research on Women & Instituto Promundo 2010, www.icrw.org
8) http://thecalmzone.net
9) „Because I am a Girl“, Plan und N. van der Gaag, Plan International 2011 (erscheint im September 2011).
10) Policy approaches to engaging men and boys in achieving gender equality and health equity, WHO, Juli 2010.
11) „Evolving Men: Initial Results from the International Men and Gender Equality Survey“, www.icrw.org
12) K. Palitza: „I have two healthy hands“ – A Group of Men in the Eastern Cape Overcame Gender Stereotypes and Cares for the Sick and Disadvantaged, Sonke Gender Justice Network.
13) http://whiteribbon.com
14) http://un.org/en/women/endviolence/network.shtml
15) Warren Farrell, Does Feminism Discriminate against men? NY, Oxford University Press, September 2007.
16) RW Connell „Change among the Gatekeepers: Men, Masculinities, and Gender Equality in the Global Arena“, Journal of Women in Culture and Society, vol. 30, no. 3, 2005.
17) Contestations, www.contestations.net/issues/issue-3/women’s-empowerment-what-do-men-have-to-do-with-it/
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