Der englische Sprachimperialismus wird oft als Gefahr für lokale Sprachen ins Feld geführt. Doch Globalisierung führt nicht notwendig zu Sprachensterben. Sprachliche Vielfalt ist vitaler als meist angenommen, meint John Rennison.
Je früher alle Menschen Englisch lernen, um so besser“, lautet die Meinung moderner Wirtschaftstreibender, vom Einzelhandel bis zu den Multis. Der Prozess des Sprachimperialismus hat schon längst begonnen. „Früher haben wir Kanonenboote und Diplomaten nach Übersee geschickt, jetzt schicken wir Englischlehrer“,* schrieb bereits vor 14 Jahren der britische Linguist Robert Philippson, der den Begriff des Sprachimperialismus international bekannt machte. Warum sprechen also nicht schon längst alle Menschen Englisch?
Seit den 1960er Jahren ist in der Soziolinguistik hinlänglich bekannt, dass sich Menschen mit Sprachgemeinschaften verschiedener Größe anhand ihrer Sprache identifizieren. Ein typisches Beispiel aus Westafrika ist das der so genannten „Eindorfsprachen“, wo nur Menschen aus Dorf A die Sprache A sprechen. Um mit Menschen aus dem Nachbardorf B zu sprechen, verwenden sie eine zwangsläufig größere regionale Sprache. In der Schule sprechen sie, liegt ihr Dorf z.B. in Nigeria, nigerianisches Englisch. Das bedeutet, dass sie in diesem typischen Fall mindestens dreisprachig sind.
Nun sprechen auch Menschen aus einem Dorf in England typischerweise ebenfalls drei verschiedene Sprachvarianten, eine lokale, eine regionale und eine überregionale. Allerdings sind diese eben Varianten des Englischen. Bis zum Aufkommen der Soziolinguistik in den 1960er Jahren meinte man, dass die Dialekte – lokale Varianten – im Aussterben begriffen seien. Inzwischen wissen wir, dass zwar ältere Dialekte verschwinden. Gleichzeitig entstehen aber neue Dialekte, die genauso von der Standardsprache abweichen müssen, um die lokale Gruppenidentifikation zu ermöglichen.
Weltweit können wir beobachten, wie kleinere Sprachen von größeren gleichsam aufgefressen werden. Doch nimmt die Gesamtzahl der Sprachvarianten deswegen nicht ab. Selbst wenn sich das Englische weltweit als einzige Sprache durchsetzte, wäre dies ein Pyrrhussieg. Alle Menschen würden behaupten „Englisch“ zu sprechen, aber die lokalen und regionalen Varianten wären untereinander fast genauso unverständlich wie die lokalen und regionalen Sprachen von heute.
Bevor wir nun die eingangs erwähnten EnglischlehrerInnen wieder heimschicken, sollten wir ihre Funktion überlegen. Englisch kann und soll meiner Meinung nach auf der ganzen Welt als Zweitsprache unterrichtet werden. Etwas mehr Chancengleichheit wäre zwar wünschenswert, sodass nicht immer die ärmsten Gebiete den schlechtesten Unterricht erhalten. Aber entgegen weitläufiger Annahmen stört der Englischunterricht die lokalen Sprachen kaum. Und was die Globalisierung braucht, sind eigentlich HandelspartnerInnen, die die englische Schrift beherrschen. Was sie zu Hause sprechen, ist kaum relevant.
Wie kommt es aber zum massiven Aussterben von Sprachen auf der Welt? Interessanterweise kaum direkt durch die Globalisierung! Im Gegenteil sind es gerade die kleinsten Sprachen, deren SprecherInnen am wenigsten mit dem Weltmarkt zu tun haben, die am ehesten verschwinden. Das große Problem ist hier häufig der „schleichende Sprachtod“ durch regionale Sprachen. Nehmen wir wieder ein Beispiel aus Westafrika, diesmal Burkina Faso: Bei den westlichen Koromba der Provinz Soum sprechen neben dem lokalen Koromfe fast alle Menschen das Mòoré als regionale und größte überregionale Sprache des Landes.
Die regionale Sprache – hier das Mòoré – findet durch die Eheschließung mit Frauen außerhalb der eigenen Sprachgemeinschaft Eingang in die Haushalte. Nicht nur werden die Kinder der jeweiligen Frau in der regionalen statt der lokalen Sprache erzogen, sondern zum Teil auch die anderen Kinder, die im selben Familienverbund leben. Gespräche innerhalb der Familie finden aus Höflichkeit in der für alle verständlichen regionalen Sprache statt. Ist der Zuzug von Frauen von außerhalb der Sprachgemeinschaft stärker als der Anpassungsdruck auf die einzelne – wie zur Zeit bei den Koromba – kann die lokale Sprache durch Entlehnungen von Vokabular, Redewendungen u.a. verdrängt werden. Bald könnte eine erste Kindergeneration die lokale Sprache nicht mehr lernen. Hier wären Maßnahmen notwendig, um den sozialen Wert der lokalen Sprache wieder zu heben und die Kinder zu ermutigen, die Sprache ihrer Großfamilie doch zu erlernen. Die Sprachgemeinschaft steht ohnehin meist dahinter, doch braucht es auch Wörterbücher, Grammatiken und Alphabetisierungsmaterialien sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, um die Sprache zu bewahren.
Ich halte es für einen Irrglauben, Menschen würden ihre Sprache aufgeben, wenn eine andere, größere mehr wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Wenn auch weit verbreitet, ist dieses Szenario viel zu sehr vereinfacht. Wer regional oder überregional arbeiten will, hat schon immer die jeweils notwendigen Sprachen erlernen müssen. Dies hatte so gut wie keinen Einfluss auf die lokale Sprache der einzelnen Person, geschweige denn der ganzen Sprachgemeinschaft, die ja ohnehin meist dreisprachig ist.
Unwidersprochen ist aber auch, dass in Einzelfällen Wirtschaftsinteressen zur Zersprengung oder Vernichtung von Sprachgemeinschaften und zum Aussterben von Sprachen geführt haben, wie es im Zuge der Kolonialisierung geschah.
*) Robert Phillipson: Linguistic Imperialism.
Oxford University Press, 1992
www.univie.ac.at/linguistics/personal/john
John Rennison ist Außerordentlicher Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Er arbeitet seit 26 Jahren über Koromfe (Burkina Faso) sowie an der Beschreibung anderer bedrohter Sprachen in Afrika und Südostasien.