„Mega“ unter Druck

Von Nicola Glass · · 2004/09

Indonesien steht vor einer politischen Wende. Zum ersten Mal überhaupt darf das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt werden. Ob die jetzige Präsidentin Megawati Sukarnoputri oder der ehemalige General Yudhoyono die Stichwahlen im September gewinnt, ist noch völlig offen.

Ein privates Abendessen hatte die Präsidentin eigens für ihn arrangiert. Es war das erste Treffen seit drei Jahren zwischen den einstigen Freunden. Die Einladung, die das frostige Verhältnis auftauen sollte, hatte in erster Linie politische Gründe: Indonesiens Noch-Regierungschefin Megawati Sukarnoputri erhoffte sich von ihrem Gast, ihrem 2001 geschassten Vorgänger Abdurrahman Wahid, die dringend nötige Unterstützung für den politischen Showdown am 20. September. In dieser Stichwahl entscheidet sich, wer das Inselreich – von der Bevölkerung her das viertgrößte Land der Welt – demnächst regieren wird. Wahid ist nicht nur Vorsitzender der „Partei des Nationalen Erwachens“, der drittstärksten Fraktion im Parlament. Ihm wird auch nachgesagt, fast mehr Einfluss bei der mit rund 40 Millionen Mitgliedern größten Muslimorganisation des Landes, der Nahdlatul Ulama (NU), zu haben als Hasyim Muzadi, einst selbst NU-Vorsitzender und jetzt Megawatis Kandidat für die Vizepräsidentschaft.
Im ersten Wahlgang am 5. Juli zeichnete sich bereits ab, wer für das mächtigste Amt in Frage kommt: Gewonnen hatte diese Runde der Favorit, Ex-General Susilo Bambang Yudhoyono. Er konnte knapp 33,6 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Megawati kam mit 26,6 Prozent auf Platz zwei, gefolgt vom Kandidaten der Golkar-Partei des früheren Diktators Suharto, Wiranto, der es auf 22,2 Prozent brachte. Letzterem jedoch schmeckte der Wahlausgang überhaupt nicht: Der Ex-Armeechef, dem die Verantwortung für die Kriegsverbrechen in Osttimor zur Last gelegt wird, hatte sich geweigert, die Resultate anzuerkennen, und eine Neuauszählung gefordert. Seine Anwälte waren jedoch auch Wochen danach nicht in der Lage, stichhaltige Beweise vorzulegen. Somit gilt als ausgemacht, dass bei der Stichwahl der politische Shootingstar Susilo Bambang Yudhoyono, auch „SBY“ genannt, und Amtsinhaberin Megawati („Mega“) gegeneinander antreten werden.
Mit seinem vollen Gesicht, den großen Augen und dem sorgfältigen Seitenscheitel verkörpert „SBY“ für seine WählerInnen das Image des ruhigen Führers, der gegen Korruption und Arbeitslosigkeit vorgehen kann. „Die Leute sagen, dass er Friedfertigkeit ausstrahlt“, so der politische Analyst Daniel Sparringa von der Airlangga-Universität in Surabaya. Er werde niemals laut oder roh, und das sei wichtig für die IndonesierInnen. Im Gegensatz zur entscheidungsunwilligen „Mega“ gilt er zudem als staatsmännisch und souverän.
Auch wenn der dynamisch wirkende Yudhoyono in der Wählergunst bislang weit vor der jetzigen Präsidentin rangiert, ist das Rennen keineswegs entschieden. Denn der 5. Juli hat die zuvor veröffentlichten Wahlprognosen nur zum Teil bestätigt. Darin waren „SBY“ zwischen 43 und 45 Prozent der Stimmen prognostiziert worden. Die bis dato bereits politisch totgesagte Megawati, von der sich selbst viele AnhängerInnen enttäuscht zeigten, schaffte es zudem überraschenderweise, Ex-General Wiranto zu überrunden, der mit seinem Image als „starker Mann Indonesiens“ bei den WählerInnen hatte punkten wollen.
Fest steht: Wer auch immer das Inselreich künftig führen wird, tritt ein schweres Amt an. Zunächst muss der- oder diejenige für ausreichende Rückendeckung im Parlament sorgen. Das Gerangel um Koalitionen lief schon kurz nach dem Wahltag auf Hochtouren. Yudhoyono muss es nicht nur gelingen, seine jetzige Beliebtheit aufrecht zu erhalten. Der ehemalige Sicherheitsminister ist mit seiner neu gegründeten „Demokratische Partei“ (DP) dringend auf die Unterstützung einflussreicher Partner angewiesen. Zwar hatte die kleine Partei bei den Parlamentswahlen vom 5. April aus dem Stand sieben Prozent geschafft. Doch verglichen mit der mächtigen Golkar und selbst der angeschlagenen „Partei des demokratischen Kampfes“ (PDI-P) von Präsidentin Megawati ist die DP ein politischer Zwerg. Zumal der Golkar-Vorsitzende Akbar Tandjung vor längerer Zeit durchblicken ließ, dass seine bei den Parlamentswahlen vom April siegreiche Partei in der Stichwahl voraussichtlich die jetzige Regierungschefin unterstützen werde.

Ob es tatsächlich dazu kommt, ist fraglich. Golkar ist tief gespalten und viele AnhängerInnen sind nicht gewillt, Akbar Tandjung zu folgen. Schon Umfragen zum 5. Juli hatten gezeigt, dass ein Teil der Golkar-Mitglieder nicht ihrem eigenen Kandidaten Wiranto, sondern dessen Konkurrenten Yudhoyono ihre Stimmen gegeben hatten. Und genau das wollten sie in der Stichwahl am 20. September wiederholen, hatten Golkar-Politiker und selbst Anhänger von Megawatis PDI-P kürzlich bekräftigt. Zudem ist Yudhoyonos Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Jusuf Kalla, nicht nur ein wohlsituierter Geschäftsmann, sondern auch prominentes Golkar-Mitglied. Schon allein deshalb dürfte Kalla viele Stimmen für „SBY“ holen.
Neben der Unterstützung durch Golkar hatte der Favorit weitere Gespräche geführt – unter anderem mit der „Nationalen Mandatspartei“ (PAN) von Amien Rais, dem charismatischen Sprecher der Beratenden Volksversammlung. Rais hatte sich ebenfalls als Kandidat für das Präsidentenamt aufstellen lassen und am 5. Juli knapp 15 Prozent der Stimmen erhalten. Er könnte seine Wählerschaft zugunsten Yudhoyonos beeinflussen, da er als einer der schärften Kritiker Megawatis gilt. Ebenso verhandelte „SBY“ mit muslimischen und christlich ausgerichteten Parteien. Allerdings soll er auch Annäherung an eine Gruppe von Hardlinern gesucht haben, was anderen potenziellen Koalitionspartnern aber aufstößt. Das Credo, unbedingt alle religiösen Gruppen und politischen Parteien unter seiner Fahne vereinen zu wollen, könnte für „SBY“ zur Crux werden.

Abgesehen vom Parteien-Gerangel wird das nächste Staatsoberhaupt im Kampf gegen die wuchernde Korruption und die anhaltend schlechte ökonomische Lage durchgreifen müssen. Megawatis Popularitätsschwund liegt vor allem darin begründet, dass ihr das Scheitern von Reformen und die unbewältigte Wirtschaftskrise vorgeworfen werden. Zwar hat sich die indonesische Rupiah stabilisiert, aber fast überall ist spürbar, dass sich das Inselreich bis heute nicht von der Asienkrise 1997/98 erholt hat. Mehr als die Hälfte der rund 220 Millionen IndonesierInnen muss angesichts steigender Preise mit weniger als zwei US-Dollar täglich auskommen; Gelder für Sozial- oder Bildungseinrichtungen werden entweder gekürzt oder versickern. Neben den wirtschaftlichen Problemen müssen noch politische, gesellschaftliche und ethnische Konflikte gelöst werden. Durchgreifende Neuerungen, zum Beispiel im maroden Justizsystem, lassen in der jungen Demokratie Indonesien weiter auf sich warten – wie man etwa an den jüngsten Freisprüchen in den Osttimor-Prozessen sehen konnte.
Die Konflikte in den Unruheprovinzen Aceh und Papua sind weiterhin ungelöst, Reformen bei Militär und Polizei stehen an. In Aceh im Norden von Sumatra war am 19. Mai 2004, genau ein Jahr, nachdem die militärischen Operationen dort erneut begonnen hatten, das Kriegsrecht aufgehoben und durch einen zivilen Notstand ersetzt worden. Die Regierung Megawati versuchte, die Beendigung des Kriegsrechts angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen, die zudem unter den Augen von EU-BeobachterInnen stattfinden, als innenpolitischen Erfolg zu verkaufen. Doch das ist eine Farce. Denn die Gewalt ist seitdem nicht abgerissen: Allein zwischen Mai und Juli dieses Jahres wurden nach Darstellung des indonesischen Militärs etwa 230 mutmaßliche Separatisten der GAM (Bewegung Freies Aceh) getötet. Insgesamt sollen seit Mai 2003 rund 2.200 GAM-Mitglieder ums Leben gekommen sein. Menschenrechtsgruppen aber bezweifeln, dass es sich bei den Ermordeten vorwiegend um Rebellen gehandelt hat. Sie sprechen stattdessen von zivilen Opfern, die nicht das Geringste mit der separatistischen Bewegung zu tun gehabt hätten, und werfen Indonesiens Militär schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

Unklar ist allerdings, welche Rolle die Armee unter einem Regierungschef Yudhoyono spielen würde. Mit dem Ende der Suharto-Diktatur hatten die Streitkräfte zwar formal ihre Macht verloren, aber hinter den Kulissen blieb ihr innenpolitischer Einfluss unangetastet. Die damals noch als Frontfrau der Reformbewegung gefeierte Megawati hatte es nie gewagt, auf Konfrontationskurs zum Militär zu gehen. Ob ihr Konkurrent Susilo Bambang Yudhoyono durchgreifende Reformen einleiten wird, bleibt ebenso fraglich. Er liebe Demokratie, ließ Yudhoyono mehrfach im Wahlkampf verlauten, aber eine starke Führung sei ebenso unerlässlich. Was das für die Zukunft Indonesiens bedeuten könnte, wird sich erst nach dem 20. September zeigen.

Die Autorin lebt seit mehreren Jahren als freie Südostasien-Korrespondentin für Hörfunk und Printmedien in Bangkok und bereiste kürzlich Indonesien.

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