Maoisten gegen König gegen Parteien

Von Tom Spielbüchler · · 2004/07

Nepal befindet sich in einer schweren politischen Krise. Unmut gegen den autoritär agierenden Monarchen und eine maoistische Rebellion erschüttern das verarmte Land.

Eine revolutionäre Bewegung gegen den verbrecherischen König … gegen den globalen Imperialismus …!“ Pradip, 24, ist Studentenführer der maoistischen Revolution im Dolakha-Distrikt und rezitiert seine Hasstiraden in der kleinen Siedlung Bulung, drei Tagesmärsche von der nächsten Straße entfernt.
Der Aufstand der Maoisten bildet einen Eckpunkt des Problemdreiecks, das Nepal in eine schlimme Krise stürzte. Die politischen Parteien und der König bilden die anderen beiden Pole. Wie konnte es im einstigen „Paradies“ am Dach der Welt zu einer Krise kommen, die bisher über 10.000 Todesopfer forderte?
Hinsichtlich seiner bestimmenden Faktoren ist der Nepal-Konflikt ein relativ einfacher: soziale Ungerechtigkeit und beschränkte politische Repräsentation. Trotz dieses simplen Musters ist jede Realisierung von Lösungsansätzen bisher gescheitert. Schuld daran sind in erster Linie die Akteure in der Nepalkrise.
1990 wurden in Nepal, nach 30-jährigem Verbot, die politischen Parteien im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie wieder erlaubt. Im folgenden Wahlkampf stellte man der verarmten Bevölkerung Infrastrukturprojekte, medizinische Versorgung, Bildungswesen oder Arbeitsplätze in Aussicht. Nach den Wahlen wollten die VolksvertreterInnen davon aber nichts mehr wissen. Bereicherung und Korruption statt Strukturverbesserung bildeten das politische Programm. Rahmenbedingungen, so sind sich viele BeobachterInnen einig, die eine Rebellion in dem Land mit fast der doppelten Fläche Österreichs und heute rund 26,5 Millionen EinwohnerInnen geradezu herausforderten.

Der Aufstand begann 1994 in den mittelwestlichen Distrikten Rolpa und Rukum. Hier fiel die Propaganda der Kommunistischen Partei Nepals/Maoisten (CPN/M), wie sich die teilweise von Ex-Parlamentariern angeführte Bewegung nannte, auf fruchtbaren Boden. Die sozialen Spannungen in dem von rund 60 Ethnien und dem Kastenwesen geprägten Land gelten dabei als zusätzliche Triebfeder des Aufstandes. Aus der Rebellion wurde im Februar 1996 ein „Volkskrieg“ gegen die korrupte Regierung. Das brutale Vorgehen der Polizei bescherte den Maoisten in der Folge verstärkten Zulauf. Die Revolution wuchs – und damit auch die Brutalität des Konfliktes. Beiden Seiten werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen: Mord, Verschleppung, Plünderung, Vergewaltigung.
Sindoor, 20, kämpfte fast vier Jahre im Volkskrieg, ehe er aus familiären Gründen vor zwei Jahren die Rebellen verließ. Noch heuer will er sich seinen ehemaligen Kampfgefährten aber wieder anschließen. Über sein Leben als Maoist nach der einjährigen Grundausbildung erzählt er schwärmerisch: „Wir kamen in kleinen Gruppen zu je 15 Mann in die Dörfer. Hier wurden wir geschult im richtigen Umgang mit der Bevölkerung: diszipliniert aber bestimmt im Kampf „für eine gerechte Gesellschaft, in der die Blutsauger, die Kapitalisten, bestraft wurden“. 15 Mal habe er deswegen selber getötet.

„Wir beendeten die soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich. In allen Menschen fließt das gleiche, rote Blut.“ Weiters habe man sich bei der Errichtung von Infrastruktur stark gemacht – und bei der Zerstörung bestehender Projekte: „Das waren Regierungseinrichtungen. Wir wollten die Leute ermutigen, sich selbst zu helfen. Regierungsprojekte streuen den Menschen nur Sand in die Augen und dienten als Wahlwerbung.“
Zum Thema Brutalität erklärt Sindoor: „Wir führen eine Revolution gegen die ungerechte Regierung. Es ist möglich, dass dabei Unschuldige ums Leben kommen. Solche Kollateralschäden müssen wir in Kauf nehmen.“
Der Volkskrieg zielt, so Deepak Thapa, Intellektueller und wissenschaftlicher Buchautor zu diesem Thema, aber keineswegs auf eine Umformung Nepals nach dem Vorbild der Volksrepublik China unter Mao ab. Revolutionäre Phrasen seien notwendig, um sich von der „revisionistischen Linken“ zu distanzieren. Aber in den Führungskreisen ist man sich bewusst, dass eine Annäherung an den Mainstream die einzige Überlebensmöglichkeit für die Partei bedeutet.
Dementsprechend unspektakulär klingen auch die Minimalforderungen des maoistischen Chefideologen Bhattarai für Verhandlungen: Rückkehr zu einer Mehrparteien-Demokratie und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die allen Gesellschaftsschichten zumindest die Möglichkeit zur Repräsentation sichert.
Mit zunehmender Dauer des Konfliktes leidet die Bevölkerung immer mehr: die Maoisten finanzieren ihren Aufstand aus Plünderungen und zwingen die Menschen zu Lebensmittelabgaben, die Armee verhält sich um nichts besser.
Krishna Bahadur Khaaka, 40, ist Lehrer an der Hauptschule in Laduk, eine Wegstunde von Bulung entfernt. Umgerechnet 40 Euro verdient er im Monat, fünf Prozent davon sind an die Rebellen zu bezahlen. Überleben kann seine Familie nur durch die Erträge der kleinen Landwirtschaft. Davon müssen aber auch Leute wie Pradip versorgt werden, wenn sie sich auf der Durchreise befinden.

Die Bekämpfung der Rebellion war Aufgabe der Polizei, bis Gyanendra nach einem noch ungeklärten Massaker im Palast seinem Bruder auf dem Königsthron folgte. Er schickte die rigoros agierende Armee in den Kampf gegen die Maoisten, woraufhin die Opferzahl auf Seite der Zivilisten stieg.
Die innenpolitische Dauerkrise des Staates veranlasste Gyanendra im Mai 2002, das Parlament aufzulösen. Im Oktober darauf entmachtete der Hardliner auch die Übergangsregierung und leitete damit das Ende der Demokratie ein. Offizieller Grund war das Versagen der Politiker im Kampf gegen die Maoisten, nachdem wiederholte Friedensverhandlungen scheiterten.
Die Schrecksekunde nach dieser Aktion dauerte ziemlich lange. Erst im heurigen April begannen die politischen Parteien, sich gegen ihre Entmachtung zu wehren und demonstrierten in einer Allianz gegen Gyanendras Machtpolitik. Die Reaktion des Palastes war ein Demonstrationsverbot. Mit brutalen Mitteln versuchten die Sicherheitskräfte, dieses durchzusetzen, und provozierten damit tägliche Krawalle in Kathmandu. Weit über 1.000 Verletzte forderten die Straßenschlachten, während im Hinterland die Rebellion weiterlief.
In dieser Situation spitzte sich der Konflikt auf die Figur des verhassten Königs zu. Er allein stehe, so die allgemeine Meinung, dem Frieden im Weg. Nur durch eine Rückgabe der Macht an das Volk könne die Krise beigelegt werden. „Nieder mit der Monarchie – wir wollen Demokratie!“ ist der Standard-Slogan der DemonstrantInnen in Kathmandu. Man werde, so die Politiker der Allianz, nach dem Rücktritt des Königs eine Allparteienregierung bilden und unvermittelt Friedensverhandlungen mit den Maoisten beginnen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Forderungen der Rebellen zu betrachten, die sich damit eine Tür offen halten wollen. Im Gegenzug erklärten sich die Parteien mit der Idee zu einer neuen Verfassung einverstanden. Der König verteidigte bisher aber eisern seine Position. Externe Hilfe erhält er dabei von den USA und Indien.

Washington verfolgt dabei, so ist man überzeugt, eine von den Überlegungen des Kalten Kriegs geprägte Politik. Keinesfalls dürfe eine kommunistische Regierung den kleinen Pufferstaat zwischen den Machtblöcken Indien und China kontrollieren. Dementsprechend rasch waren die Maoisten als „internationale Terroristen“ gebrandmarkt. Indiens Motive sind etwas komplexer und lassen sich grob als Interesse an einer fortgeführten Kontrolle über Nepal zusammenfassen.
Das Volk verachtet einerseits den König und verlangt die Rückkehr zur Demokratie. Andererseits misstraut man den gewählten Volksvertretern nach deren Performance in den letzten 14 Jahren. Und hinsichtlich der Maoisten sei man der ewigen Kampfsituation müde.
Anfang Juni wurde Sher Bahadur Deuba, der 2002 wegen „Unfähigkeit“ entlassene Premier, wieder als Regierungschef eingesetzt. Ein erster Schritt zum Frieden? Wie würden Pradip oder Sindoor einer Situation gegenüberstehen, in der die Blutsauger plötzlich kein Freiwild mehr darstellten, sondern Verhandlungspartner im demokratischen Prozess? Sind die Parteipolitiker tatsächlich bereit, ihr bisher demonstriertes Politikverständnis zu ändern? Ihr korruptes und selbstherrliches Agieren war letztendlich der Auslöser für die Rebellion 1996.
„Die Zeichen stehen günstig für einen Neuanfang“, so Deepak Thapa, „auch wenn es vielleicht dauern könnte, bis die notwendigen Gesellschafts- und politischen Reformen in den Köpfen der Menschen Einzug halten!“

Der Autor ist promovierter Historiker, lebt in Salzburg und verbrachte kürzlich fünf Wochen in Nepal. Als freier Journalist konzentriert er sich auf Brennpunkte im Nord-Süd-Konflikt. Über den Bürgerkrieg in Nepal und die Situation der „Unberührbaren“ vgl

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