Mafiosi in der Fankurve

Von Yvonne A. Kienesberger · · 2014/04

Argentiniens Klubfußball versinkt in einem Strudel von Gewalt und mafiösen Machenschaften. Mutige Initiativen kämpfen dagegen an.

Immer wieder werden die erschreckenden Bilder Anfang März 2014 in allen argentinischen Fernsehkanälen gezeigt: in einem Fan-Sektor im Stadion des Klubs Quilmes Atlético Club ist eine wilde Schlägerei ausgebrochen. Am Boden liegt – offensichtlich schon bewusstlos – ein Mann, der trotzdem von anderen weiter brutal getreten wird. Schließlich wird der Kampf vor dem Stadion fortgesetzt. Acht Menschen, darunter drei Polizisten, werden schwer verletzt. Bei dem Streit soll es um die Position des Führers der Fan-Gruppe gegangen sein, die kurz vor einer Fußballweltmeisterschaft besonders begehrt ist. Denn wer in den Clubs bestimmt, der kommt leicht an Eintrittskarten für die Spiele in Brasilien. 

Schon lange sind einige argentinische Fangruppen nicht mehr nur für die gute Stimmung in Stadien verantwortlich. In Verbindung mit Vereins-Managern und sogar Spielern werden sie für Gewaltanwendung bis hin zu Mord, Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verantwortlich gemacht.

Mit der Leidenschaft zum Fußball der ArgentinierInnen hat das nur indirekt etwas zu tun: Fußball ist in Argentinien viel mehr als nur ein Spiel.

Wenn man jemanden kennen lernt, dann wird man nach dem Namen gefragt und – noch vor dem Beruf – nach dem Fußballklub, zu dem man sich zugehörig fühlt. Ob Boca Juniors, River Plate oder Independiente, bekannte Persönlichkeiten bekennen sich zu „ihrem“ Verein. Stirbt ein Prominenter oder ein Politiker, so wird in der Trauerrede auf seinen Fanstatus hingewiesen. Als Jorge Bergoglio zum Papst Franziskus ernannt wurde, war das Erste, das durch die Medien ging, Bergoglios Bekenntnis zum Klub San Lorenzo.

Die aktuelle Entwicklung in Argentiniens Klub-Fußball geht aber über diese Passion hinaus. Auch abseits von Mordfällen in Verbindung mit Vereinen kommt es immer häufiger zu Gewalt: Zusammenstöße zwischen „Fan“-Gruppen und der Polizei oder zwischen rivalisierenden Gruppen gehören zum Alltag; Spiele müssen unterbrochen werden, weil Fans gefährliches Leuchtfeuerwerk in den Stadien zünden; unzufriedene Fans, die nach schlechten Ergebnissen ihrer Vereine die Spielstätten stürmen, Schiedsrichter bedrohen oder gegenüber Spielern, Trainern und Management handgreiflich werden.

Die argentinischen Medien berichten darüber. Oft ist daher auch bekannt, wer hinter welchen Zwischenfällen steckt. Zur Verantwortung gezogen werden die Unruhestifter jedoch selten. Die gewalttätigen Gruppen Argentiniens sind nicht Ultras oder Hooligans im herkömmlichen Sinn. Organisierte, fanatische Anhängergruppen in Lateinamerika werden „Barras Bravas“ genannt. Darunter gibt es immer wieder auch gewaltbereite Personen. Mittlerweile spielen in Argentinien aber viele „Barras Bravas“ eine spezielle Rolle: In mafiösen Geschäftsstrukturen sind sie z.B. an Verkäufen von Spielern beteiligt oder am Geschäft mit Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt. Und am Drogenverkauf in den Stadien.

Aber es sind auch andere AkteurInnen im Spiel – PolitikerInnen und hohe Gewerkschaftsmitglieder, die als Funktionäre für Fußballklubs oft im Hintergrund und in ihrem Interesse Fäden ziehen. Zusätzlich sind korrupte Polizeieinheiten, Sicherheits- und Justizbeamte keine Seltenheit. Werden sie nicht mit Geld davon überzeugt, wegzuschauen, dann durch Drohungen. So entstand ein System, in dem es zur Devise wurde, sich lieber nicht einzumischen. Den Machenschaften aus dem Geflecht von einflussreichen Personen aus Politik, aus den Fußballklubs und Barras Bravas ein Ende zu bereiten, scheint fast aussichtslos.

Die Non-Profit-Organisation „Salvemos al futbol“ („Retten wir den Fußball“) ist angetreten, genau das zu tun. Gegründet wurde die Vereinigung von Mónica Nizzardo, einer Fußballanhängerin und vormaligen Funktionärin des Drittligisten Atlanta. Nizzardo erlebte die mafiösen Machenschaften der Barras Bravas hautnah mit. Sie wollte nicht wegschauen und wurde aktiv. Und das, obwohl sie damit viel riskierte – Nizzardo erhielt von Anfang an Drohungen. 

Mittlerweile zählen Prominente aus Kunst, Kultur und Sport sowie Angehörige von Opfern der Gewalt zu den Mitgliedern von „Salvemos al futbol“. Seit Jahren machen sie es sich zur Aufgabe, Fälle von Gewalt und Korruption im argentinischen Fußball aufzudecken und zur Anzeige zu bringen. Unermüdlich machen sie Medien auf die Missstände aufmerksam, informieren JournalistInnen, bilden JuristInnen fort und unterstützen Opfer.

Neben „Salvemos al futbol“ kämpfen weitere Initiativen, etwa die Organisation „Movimiento Futbol en Paz“ („Bewegung für einen Fußball in Frieden“). Das gemeinsame Ziel ist ein Argentinien, das seine Passion leben kann, ohne Gewalt und Korruption. Die NGOs haben einen langen Weg vor sich. 

Die Autorin und Journalistin Yvonne A. ­Kienesberger lebt und arbeitet seit fünf Jahren in Argentinien. Sie ist bekennender Fan von Club Atlético River Plate und kickt privat selbst sehr gerne.

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