Made in Bangladesch – hautnah

Von Michaela Königshofer · · 2006/12

Zwei Mindestlöhne in der Bekleidungsindustrie reichen nicht aus, um eine Familie in Bangladesch zu ernähren. Wer protestiert, muss Repression fürchten. Ein Aktionsteam des österreichischen Vereins Südwind Entwicklungspolitik warf einen Blick hinter die Kulissen.

Halb acht Uhr in der Früh, ein Hahn kräht, Enten schwimmen auf dem kleinen See, es riecht nach verbranntem Holz. Zehn Hütten, die auf Bambusstelzen über dem Wasser stehen, spiegeln sich fahl im Wasser.
In Bangladeschs Hauptstadt Dhaka leben zwölf bis 14 Millionen Menschen, ca. 80 von ihnen in den Hütten dieses Slums. Das Ufer ist mit Abfall bedeckt. Es gibt keinen Strom, die Abwässer landen ungefiltert im See. Dennoch zahlen die BewohnerInnen dieser Hütten die Hälfte ihres Lohns für die Unterkunft. Sie arbeiten in den angrenzenden Bekleidungsfabriken. Am Vortag hat Sonia von acht Uhr früh bis drei Uhr nachts in der Fabrik genäht. „Jetzt muss ich mich beeilen, ich muss um acht wieder anfangen“, erzählt die 14-Jährige, die seit zwei Jahren in der Bekleidungsindustrie arbeitet.
Azma lebt mit ihrem Mann in einem sechs Quadratmeter großen Zimmer. Es ist so eng, dass Geschirr und Lebensmittelvorräte unter dem Bett stehen. Die zwei Kochstellen und den Waschraum teilt sich das junge Ehepaar mit acht anderen Familien. Obwohl beide oft bis spät in der Nacht in der Fabrik arbeiten, können sie sich keine größere Wohnung leisten. Azma will Kinder. „Wenn ich eine Tochter bekomme, möchte ich nicht, dass sie in der Fabrik arbeitet. Sie soll in die Schule gehen und ein besseres Leben haben.“
Sonia und Azma gehören zu den zwei Millionen Beschäftigten der Bekleidungsindustrie Bangladeschs, die für europäische und US-amerikanische Konzerne Jacken, T-Shirts, Hosen und Pullover fertigen.

Vor zwölf Jahren wurde das letzte Mal ein gesetzlicher Mindestlohn festgesetzt. Reis und Gemüse sind seit damals sechsmal teurer geworden. Zu Sommerbeginn 2006 war es für tausende TextilarbeiterInnen genug: Wochenlang demonstrierten sie für einen höheren Mindestlohn und bessere Sicherheitsstandards. Bei Polizeieinsätzen wurden zahlreiche ArbeiterInnen getötet. Nichts davon wurde in Österreich berichtet.
Das Aktionsteam von Südwind Entwicklungspolitik wollte die Menschen treffen, die bei Demonstrationen für höhere Löhne und bessere Sicherheitsstandards in den Fabriken Job und Leben riskierten – um authentisch über das Leben der Menschen berichten zu können, deren Produkte hierzulande tagtäglich getragen werden.
Mit derartigen Aktionen soll die österreichische und internationale Öffentlichkeit auf systematische Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten, die mit unserer eigenen Lebenswelt in Verbindung stehen, aufmerksam gemacht werden (siehe auch SWM 3/2006).
Obwohl der Mindestlohn für TextilarbeiterInnen in Bangladesch nach den Unruhen erhöht wurde, reicht er derzeit nicht aus, um die Kochtöpfe zu füllen, die Kinder in die Schule, statt in die Fabriken zu schicken und die Miete zu zahlen. „7-Tage-Wochen, unbezahlte Überstunden bis spät in die Nacht, Kinderarbeit und grobe Sicherheitsmängel in den Fabriken sind keine Seltenheit“, empört sich Südwind-Aktivistin Christina Schröder. Allein in diesem Jahr starben über hundert ArbeiterInnen durch Sicherheitsmängel in Textilfabriken. Bei Bränden wurden oft die Haupteingänge versperrt, was die Opferzahl beträchtlich erhöhte. „Die Ware ist wichtiger als die Menschen. Die Angst davor, dass etwas gestohlen wird, ist größer als die Verantwortung für Menschenleben“, erläutert Amin, der Vorsitzende des Dachverbandes der TextilarbeiterInnen.
Gemeinsam mit den ArbeiterInnen aus Bangladesch wollten die Südwind-AktivistInnen für bessere Sicherheitsstandards auf die Straße gehen. Einige Stunden vor dem Beginn wurde die Demonstration jedoch abgesagt. Das Arbeitsministerium hatte in den betroffenen Fabriken Inspektionen angekündigt, bei denen die ArbeiterInnen anwesend sein mussten. Kalpona, die Organisatorin der Demonstration, bezweifelt, dass dieser Zeitpunkt zufällig gewählt wurde: „Korrumpierte Beamte und Beamtinnen profitieren oft von den Geschäften der Bekleidungsindustrie und sehen durch Unruhen ihre eigenen Interessen gefährdet.“

Christina Schröder sieht sich in ihrer Arbeit bestätigt: „Wir, als Konsumenten und Konsumentinnen in Europa, haben die Aufgabe, multinational agierende Unternehmen unter Druck zu setzen. Sie tragen nicht nur Verantwortung für ihre Investition, sondern auch für das Leben der zwei Millionen TextilarbeiterInnen in Bangladesch.“ Sie appelliert an die europäischen Unternehmen: „Konzerne entscheiden darüber, ob Azmas Tochter einmal in die Schule gehen kann oder ob sie wie ihre Mutter bis spät in die Nacht für einen Hungerlohn arbeiten muss.“

Die Autorin ist Leiterin der Clean Clothes Kampagne Österreich und war mit dem Südwind-Aktionsteam Anfang November in Bangladesch.

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