Der Wirtschaftsabschwung löste politische Krisen aus, die einen Funken Hoffnung beinhalten
In einer von Schreckensmeldungen erschütterten Welt glänzte Lateinamerika in den vergangenen Jahren mit guten Nachrichten: Viele Millionen Menschen entkamen der Armut; ein Teil von ihnen stieg sogar in die Mittelschicht auf. Zuvor waren Diktaturen von demokratisch gewählten Regierungen abgelöst worden. Doch jetzt dominieren wieder negative News über wirtschaftliche, soziale und politische Krisen in Lateinamerika. Ihr Auslöser: Die lange Periode hoher Rohstoffpreise, der „Superzyklus“, der 2000 begonnen hatte, ging 2014 plötzlich zu Ende. Der Ölpreis sank auf ein Drittel des Höchststandes. In von Ölexporten abhängige Staaten wie Venezuela schien sich der ewige „Rohstofffluch“ erneut zu bewahrheiten: Bei hohen Ölpreisen wächst der Wert der Währung, was Importe billig und die heimische Produktion anderer Branchen (auch von Lebensmitteln) unrentabel macht. Sackt mit dem Ölpreis die Währung ab, kommt es zur starken Verteuerung und Verknappung von Importwaren, auf die die weit linke Regierung unter Nicolás Maduro keine Antwort weiß. Massendemos sind die Folge.
In Brasilien folgten dem Konjunktureinbruch ebenfalls Proteste der Bevölkerung gegen die linke Regierung. Dankbarkeit ist auch für die neue Mittelschicht keine politische Kategorie. Sogar der Glaube an die Demokratie bröckelt. Laut der seriösen Studie „Latinobarómetro 2016“, die auf 20.000 Interviews in 18 Staaten beruht, sind nur noch knapp mehr als die Hälfte (in Brasilien nur 35 Prozent) der Befragten voll überzeugte Demokraten. 23 Prozent – das ist der höchste Wert seit Beginn dieser Befragungen 1995 – würden ein autoritäres System vorziehen.
Traditionell schwache Behörden. Ein „eiserner Besen“ wird verlangt, um mit der Korruption aufzuräumen. Im Korruptionsindex von Transparency International befinden sich fast alle lateinamerikanischen Länder in der unteren Hälfte. Venezuela, Brasilien und Mexiko sowie Argentinien und Peru ragen negativ heraus. Historisch wird dies damit begründet, dass die Kolonialmächte Spanien und Portugal ihre Statthalter zur Ausplünderung in die Überseegebiete entsandten. Nach der Unabhängigkeit übernahm die einheimische Oberschicht diese Rolle. Justiz und Steuerbehörden blieben auf Dauer schwach. Durch den Missbrauch öffentlicher Ämter zugunsten großer Unternehmen entgehen den Staaten viele Steuermilliarden, die Ungleichheit nimmt zu. Mehr noch: „Korruption tötet“, sagt José Ugaz, der Transparency-Präsident. Durch korrupte Machenschaften werden, wie in Guatemala geschehen, für die Bevölkerung gedachte Medikamente „abgezweigt“ oder es wird, wie in Brasilien, massenhaft verdorbenes Fleisch verkauft, während die bestochenen BeamtInnen wegschauen. Dieses Verhalten führt vielerorts auch dazu, dass Bergbaukonzerne über die Lebensgrundlagen indigener Gemeinschaften hinwegtrampeln. In ihrem Bemühen, Arbeitsplätze schaffende Großkonzerne wie Odebrecht zu fördern, wurden Brasiliens Expräsident Lula und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff in den Korruptions-Mahlstrom gezogen, als u.a. herauskam, dass Odebrecht RegierungspolitikerInnen in weiten Teilen Lateinamerikas bestochen hatte, um an Bauaufträge zu kommen. Dass in Brasilien dann eine offen korrupte Politikerkaste die Macht übernahm, veranlasste die New York Times, ihr die „Goldmedaille für Korruption“ zu verleihen.
Mutig gegen Korruption. Wie so oft sind Krisen als Entscheidungssituationen nicht nur negativ zu sehen. Dass die Korruptionsfälle in Brasilien aufflogen, ist einer neuen mutigen Generation in der Staatsanwaltschaft, aber auch vielen aufmerksamen BürgerInnen zu verdanken, die über die Social Media den Widerstand gegen Korruption in Politik, Verwaltung und Unternehmen organisieren. Ihr Enthüllungseifer macht auch vor dem neuen Präsidenten Michel Temer nicht Halt, der nun stark unter Druck geraten ist. Hat diese beispiellose Volksbewegung gegen die korrupte Elite Erfolg, könnte sie für ganz Lateinamerika zum Vorbild werden
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