Das erste Regierungsjahr des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa stand ganz im Zeichen des Versuches, die „lange Nacht des Neoliberalismus“ zu überwinden und ein ecuadorianisches Modell „des Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu kreieren. Hinter diesen Schlagworten verbergen sich die Schwierigkeiten einer politisch unerfahrenen Regierungsmannschaft – ohne organisierte soziale Basis und klare Programmatik -, einen von korruptem Parteienfilz durchsetzten Staatsapparat umzugestalten und dringend notwendige soziale, wirtschaftliche und politische Reformen auf den Weg zu bringen.
Zunächst einmal ist es Correa gelungen, Stabilität in die politische Landschaft des Andenstaates zu bringen. Er hat innerhalb eines Jahres drei Wahlen (Präsidentschaft mit 56%, Referendum über Verfassunggebende Versammlung 81%, Wahlen zu derselben 70%) gewonnen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen im Land hatte das verlotterte Parteiensystem der vergangenen 20 Jahre einfach satt; Correa bot und bietet unverbrauchte Gesichter und Konturen eines alternativen Programms.
Correas Popularität ist bisher unverändert hoch, da er die meisten seiner Wahlversprechen gehalten hat. Im Mittelpunkt stand der Vorschlag einer Verfassunggebenden Versammlung (Constituyente), die seit Ende November tagt und als erstes das diskreditierte Parlament in die Ferien geschickt hat. Die Beratungen müssen binnen sechs Monaten abgeschlossen sein, mit maximal zwei Monaten Verlängerung. Auf Grundlage der neuen Verfassung, die per Referendum (aller Voraussicht nach) angenommen wird, sind noch für heuer Neuwahlen für Legislative (Parlament), Exekutive (Präsident) und auf Gemeindeebene vorgesehen. Soweit bisher absehbar, soll die neue Magna Charta eine breite Verankerung von politischen und sozialen Rechten sowie eine Demokratisierung und Antimonopolisierung von Gesellschaft und Wirtschaft garantieren.
Correa hat seine Ablehnung des Freihandelsvertrages TLC mit den USA auch in der Regierung durchgehalten, obwohl Ecuador die Hälfte seines Außenhandels mit den USA abwickelt. Doch bei den Verhandlungen über ein im wirtschaftlichen Bereich fast identisches Abkommen zwischen der Andenstaatengemeinschaft CAN und der EU fehlt es der neuen Regierung an klaren Positionen. Die bolivianische Delegation zeigte sich nach der ersten Verhandlungsrunde überrascht, Quito mehr auf der Seiten der neoliberalen Hardliner aus Bogotá und Lima vorzufinden als auf der von La Paz.
Stärker als alle vorherigen Regierungen schöpft die Regierung Correa die Gewinne der Erdölindustrie ab und investiert die Mittel im Gesundheits- und Erziehungsbereich. Der „Bono Solidario“, eine Sozialhilfe für die mehr als eine Million Ärmsten, wurde auf 30 Dollar im Monat verdoppelt – all das schafft aber kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Und im Bereich der Landwirtschaft, wo nach wie vor zwei Drittel der Menschen in krasser Armut leben, ist bislang jedwede strukturelle Reform, selbst eine Diskussion darüber, unterblieben.
Rafael Correa hat eine in Ecuadors Politik ungewohnte Dynamik an den Tag gelegt und damit die traditionellen Parteien geradezu pulverisiert. Lediglich Jaime Nebot, der rechte Bürgermeister von Guayaquil, findet mit seinen Gegenpositionen eine Öffentlichkeit. In den vergangenen Wochen mehren sich Proteststimmen aus Unternehmerkreisen, insbesondere gegen die – moderate – Steuerreform und die Erhöhung des Mindestlohns von 170 auf 200 Dollar im Monat.
Der bisherige Erfolg gibt Correa scheinbar in allem Recht. Dies macht eine ernsthafte Debatte innerhalb des Regierungsbündnisses Alianza País schwierig. Die Auswechslung teils prominenter Minister ist offenbar auf die Unfähigkeit des Präsidenten zurückzuführen, Widerspruch zu ertragen. Seine überzogene Kritik an den Medien geht in die gleiche Richtung.
Offensichtlich wurde diese Haltung einmal mehr bei den Konflikten in dem Amazonasstädtchen Dayuma, wo die Bevölkerung im Dezember gegen die traditionelle Vernachlässigung durch die Zentralregierung protestierte. Die Armee schritt mit brutaler Gewalt ein, die Hälfte der zunächst Inhaftierten und von Correa öffentlich Denunzierten wurde Anfang des Jahres wieder freigelassen. Es schien, als wollte der Präsident „Führungsstärke“ beweisen und gleichzeitig eine Warnunggegen jedwede potenzielle Opposition aussprechen.
Frank Braßel arbeitet für den deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst EED in dem unabhängigen Agrarforschungszentrum SIPAE (www.sipae.com) in Quito/Ecuador.
Siehe auch Kurzmeldung auf S. 13