Alles geht: Valeria und Fernando Ciocco zogen für einen Einsatz mit der Entwicklungszusammenarbeitsorganisation HORIZONT3000 mit ihren Kindern aus der Schweiz in eine abgelegene Region Papua-Neuguineas. Was sie dort erlebt haben, schildert hier Valeria Ciocco.
Valeria Ciocco mit ihren beiden Töchtern Alessia und Eliana auf Spaziergang in Kiunga, Western Province.
Familie, Freunde und Bekannte reagierten teils mit Bewunderung, mehrheitlich aber mit Kopfschütteln und Unverständnis auf unsere Pläne: mit einem einjährigen Kind und einem weiteren im Bauch auf Entwicklungseinsatz nach Papua-Neuguinea aufzubrechen. Für uns aber ging ein Traum in Erfüllung, und wir wählten bewusst diese Phase unseres Lebens dafür. Natürlich machten wir uns auch Gedanken über die medizinische Versorgung, die anstehende Geburt, das tropische Klima. HORIZONT3000 unterstützte unser Vorhaben, mit Familie in eine der am wenigsten entwickelten und abgelegensten Regionen der Welt zu reisen und bereitete uns gut darauf vor.
Wir wohnten in einem kleinen Stelzenhaus, ausgestattet mit fließendem Wasser, Strom, Kühlschrank und elektrischem Herd. Vor der Geburt sprachen wir mit dem australischen Arzt eines nahegelegenen Missionsspitals, wir sahen uns den Gebärsaal dort an und entschieden danach, für die Geburt nach Australien zu gehen. Der Arzt meinte, die Mutter könnten sie immer retten, das Kind mit den Möglichkeiten hier leider nicht. Des Glücks, Krankenversicherung, Reisepass und finanzielle Mittel zu haben, wurden wir uns in diesem Moment sehr bewusst.
Nach den „Geburtsferien“ in Australien fing der Alltag mit Kleinkind und neugeborenem Baby in Kiunga, unserem Wohnort in Papua-Neuguineas Western Province, erst richtig an. Anfänglich durchlebten wir schwierige Zeiten. Die neugeborene Eliana weinte viel. Privatsphäre ist in Kiunga ein Fremdwort. Unzählige Leute leben in einem Haus und die Nachbarinnen und Nachbarn hören, sehen und riechen mit. Mit zwei blonden Mädchen standen wir permanent im Mittelpunkt. Alles wurde registriert und kommentiert. Mütter und deren Kinder schauten ins Haus rein, wollten Spielsachen mitnehmen, „rissen“ mir Eliana aus dem Arm, griffen Haare und Haut der beiden Kinder an. Sie waren neugierig und wollten wissen, wie wir Weißen so leben. Kaum jemand hatte je ein weißes Baby oder Kleinkind gesehen. Alessia, unsere größere Tochter, merkte schnell, dass sie von den Einheimischen alles bekam, was sie wollte. Auf dem Markt musste sie nur genügend lang auf die beliebten gerösteten Erdnüsse schauen und schon wurden die Marktfrauen weich.
Traditionell lebt die Frau in Kiunga bei der Familie des Mannes. Kindererziehung und -betreuung ist Sache der Mutter, der Großmutter und der Schwestern des Mannes, die ebenfalls Mamas genannt werden. In den Städten bröckeln diese Strukturen immer mehr. Paare ziehen nicht mehr zu den Familien der Männer, bleiben unverheiratet oder Mütter mit der Erziehung und dem Unterhalt des Kindes auf sich alleine gestellt. Häusliche Gewalt ist ein großes Problem, Kinder werden vernachlässigt oder sogar verkauft. Diese Realität bedrückte uns sehr. Die Leute sehnten sich nach intakten Familien ohne Gewalt, während sie dem Geld und Errungenschaften des Westens nacheiferten, die sie aus den vielen chinesischen Geschäften, Reklamen und dem Fernsehen kannten.
Wie sehr westliche Konsumgüter verherrlicht wurden, sahen wir auch im Alltag. Ungläubig schaute Lina, unsere Tagesmutter, mich an, und fragte, warum ich denn stillen würde? Weiße Frauen geben doch die Flasche und dieses komische Essen aus den Gläschen? Deshalb seien die weißen Babys viel größer und sterben weniger. Ich schaute sie ebenfalls verdutzt an und antwortete, dass Stillen für Mutter und Baby doch am besten sei. Irgendwie wollte sie es mir nicht glauben, es löste aber Diskussionen in ihrem eigenen Umfeld aus und wir sprachen gemeinsam viel über Ernährung.
Wir versuchten, örtliche Traditionen zu übernehmen und dabei ganz bewusst eine gewaltfreie und gleichberechtigte Erziehung zu leben. Wir trugen die Kinder im traditionellen Babybilum, einer geknüpften Tasche herum. Wir kauften auf den lokalen Märkten ein und kochten traditionelle Gerichte. Wutanfälle der Kinder auf der Straße standen wir unter hunderten von neugierigen Augen aus, während einheimische Kinder in ähnlichen Situationen meist Schläge auf die Finger bekamen. Kinder herumtragen, Windeln wechseln und das Füttern waren auch Aufgaben meines Mannes, was Erstaunen, Anerkennung – vor allem von Frauen –, Diskussionen und Gelächter auslöste.
Je länger wir in Kiunga lebten, desto mehr merkten wir und auch die Leute vor Ort, dass wir als Familien trotz der Unterschiede ähnliche Sorgen hatten und dass die Kinder ohne jegliche Berührungsängste miteinander spielten und auch stritten.
Das einfache Leben mit wenigen Spielsachen und Luxusgütern, dafür mit viel Zeit für die Familie und für den Austausch mit anderen Leuten, machte uns glücklich und hat uns für das weitere Leben geprägt.
Valeria Ciocco ist ausgebildete Lehrerin und lebt mit ihrem Mann und ihren mittlerweile drei Töchtern (4 Jahre, 2 Jahre und 8 Monate) in der Schweiz. Von 2011 bis 2013 war die Familie auf Projekteinsatz in Papua-Neuguinea. Ciocco unterstützte das Bildungsbüro der Diözese Kiunga, ihr Mann war Infrastrukturberater.
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