Kleider machen Beute

Von Friedel Hütz-Adams · · 2004/11

Seit rund zehn Jahren wird kontrovers über die Auswirkungen von Altkleidersammlungen diskutiert. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Undurchsichtigkeit des betreffenden Marktes sowie der weltweite Export der Ware.

Viele Menschen denken, die von ihnen abgegebenen Altkleider kämen direkt Bedürftigen zugute. Doch der Marktanteil der karitativen Sammler, die Altkleider in Second-hand-Läden verkaufen und Projekte in Europa oder in Entwicklungsländern finanzieren, beträgt nur noch wenige Prozent der gesammelten Menge. Auch die Organisationen, die die Altkleider zur Nothilfe verwenden oder direkt an Projekte in Entwicklungsländern weitergeben, fallen kaum ins Gewicht.
Weit verbreitet sind mittlerweile rein gewerbliche Sammlungen. Neben den offen kommerziell agierenden Firmen gibt es solche, die als Subunternehmer für karitative Organisationen tätig sind. In vielen Fällen zahlen sie eine Art Mietgebühr und „erwerben“ damit den Namen einer karitativen Organisation. Anschließend sammeln sie dann unter deren Logo Altkleider. Andere karitative Sammler verkaufen die Altkleider vollständig an den Meistbietenden. Dazu gehören unter anderem Regionalverbände des Roten Kreuzes, der Johanniter oder der Malteser. Vollkommen undurchsichtig wird die Vermengung der finanziellen Interessen mit einem vorgeblichen Hilfsanspruch bei der Organisation Humana, die europaweit ins Gerede gekommen ist.
Altkleider könnten sinnvoll und sozial verträglich vermarktet werden. In der Tat gibt es weltweit viele Menschen, die dringend auf möglichst billige Kleidung angewiesen sind. Das Angebot an sehr preiswerter Kleidung steigt durch den Altkleiderhandel, und das Weitertragen der Altkleider ist ökologisch sinnvoll.
Doch über den Verbleib des größten Teils der gratis abgegebenen Altkleider entscheidet nicht Bedürftigkeit, sondern die Frage, wer am meisten zahlt. Gute Ware geht an europäische Second-hand-Läden, zweite Wahl nach Osteuropa, schlechtere Ware nach Afrika. Selbst auf dem afrikanischen Kontinent gibt es nochmals große Unterschiede: Die Altkleider gehen größtenteils in die Länder, denen es noch relativ gut geht – und die damit über genügend Kaufkraft für die Ware Altkleider verfügen. So werden beispielsweise jährlich mehrere zehntausend Tonnen Altkleider nach Südafrika und Nigeria geschickt, während nur relativ geringe Mengen an Bürgerkriegsstaaten wie Liberia oder die Demokratische Republik Kongo gehen.

In den Bestimmungsländern werden die Altkleider erneut nach kommerziellen Gesichtspunkten an den Meistbietenden vermarktet. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass sich die tatsächlich Bedürftigsten nicht einmal Altkleider leisten können oder sich mit den schlechten Stücken zufrieden geben müssen.
Eine Vielzahl von Berichten und Studien belegt, dass durch die momentane Vermarktung die lokale Textil- und Bekleidungsproduktion in vielen afrikanischen Importländern geschädigt wird. Erst kürzlich wurde beispielsweise in einer Studie festgehalten, es sei aus der Sicht von ProduzentInnen in Malawi sinnlos geworden, überhaupt noch zu arbeiten: Die umsonst von SpenderInnen abgegebenen Kleidungsstücke aus den Altkleidersammlungen kämen ohnehin zu Preisen auf den Markt, die sie nicht unterbieten könnten. Zwar entstanden durch den Handel mit Altkleidern neue Arbeitsplätze, doch viele Textil- und Bekleidungsfabriken mussten ebenso schließen wie die Stände der SchneiderInnen auf den Märkten. Überleben konnten nur die Hersteller, die Exportmärkte fanden.

Darüber hinaus sind die Wege der Vermarktung zum Teil undurchsichtig. Nach Aussage von Marktbeteiligten werden europäische Gesetze (Bestimmungen des Abfallrechtes) bei einem Teil des Handels ebenso umgangen wie Gesetze in einigen Importländern (Importverbote, Importbeschränkungen, Steuerabgaben, Zölle). Viele Aussagen stimmen daher darin überein, dass bereits die Eindämmung der illegalen Vermarktungswege ein großer Schritt in die richtige Richtung wäre: Würden im gesamten Handel alle fälligen Abgaben in Form von Steuern und Zöllen ordnungsgemäß bezahlt, so würde der Preisvorteil der Altkleider schrumpfen, und die einheimischen Produkte hätten auf den Märkten eine größere Chance. Zudem könnten die Staaten diese Einnahmen zur Armutsbekämpfung einsetzen.
Wie weit verbreitet illegale Handelswege sind, zeigte sich unter anderem bei Korruptionsskandalen in Tansania: Gegen Schmiergeldzahlungen gelangte ein erheblicher Teil der importierten Altkleider unversteuert ins Land. Auch die bereits erwähnten mehreren zehntausend Tonnen Altkleider, die nach Südafrika und Nigeria gelangen, kommen zum größten Teil über illegale Wege: Beide Staaten erlauben nur sehr geringe Einfuhren von Altkleidern.

Mitte der 1990er Jahre lag der Preis für eine Tonne unsortierter Altkleider noch bei mehr als 300 Euro. Allein in Deutschland wurden mit dem Handel von jährlich circa 580.000 Tonnen Altkleidern, deren Sortierung und deren Weiterverkauf rund 500 Millionen Euro umgesetzt.
Damals war rund die Hälfte der gesammelten Altkleider in einem so guten Zustand, dass sie direkt nach der Sammlung ohne Reparatur wieder getragen werden konnte. Mit diesem Anteil der Sammlung machten die Altkleiderhändler den größten Teil ihres Umsatzes. Unter den wieder tragbaren Kleidungstücken waren die besten drei bis fünf Prozent sogar in Second-hand-Läden in Mitteleuropa absetzbar. Der Anteil dieser sogenannten Crème-Ware an den gesammelten Altkleidern ist in den letzten Jahren massiv gesunken. Die Gründe sind vielfältig:
-> Viele Menschen geben gut erhaltene Ware mittlerweile gezielt an Bedürftige ab, statt sie in undurchschaubare Sammlungen zu geben.
-> Große Mengen Altkleider werden im Internet versteigert oder auf Flohmärkten verkauft.
-> Die Qualität der neu gekauften Kleidung ist gesunken, was sich auf die Altkleidersammlungen durchschlägt.

Die Sammler bekommen derzeit vielfach nur noch 150 Euro je Tonne unsortierter Ware. Auch die Sortieranlagen haben aufgrund der schlechteren Qualität der Altkleider große Schwierigkeiten, noch kostendeckend zu arbeiten. Daher haben viele Sammler ihre Arbeit eingestellt. Sortieranlagen werden in Mitteleuropa geschlossen, und es entstehen neue mit billigeren Arbeitskräften in Osteuropa, Nordafrika und Dubai. Der gesamte Markt ist im Umbruch, was ihn für die SpenderInnen noch undurchsichtiger macht.
Neben der Einschränkung des Konsums, die bereits den Anfall der Altkleider verringern würde, kann auch die gezielte Weitergabe der Altkleider den Markt positiv verändern:
-> Unbedenklich ist die Weitergabe der Altkleider über private Kanäle, wie dies bei Baby- und Kinderkleidung oder in Form von Tauschbörsen oft schon geschieht.
-> Nach Verkauf an Second-hand-Läden oder über das Internet können die eingenommenen Gelder direkt an verlässliche Organisationen gespendet werden.
-> Die Kleiderkammern, die in vielen Orten von verschiedenen Organisationen betrieben werden, geben Kleidung in der Regel direkt an Bedürftige ab.
-> Arbeitslosenprojekte finanzieren über den Verkauf der dort abgegebenen Kleidung oft neue Arbeitsplätze.
-> Sammlungen für Hilfstransporte, die direkt an Bedürftige gehen, garantieren meist die direkte Weitergabe an Bedürftige.

Gibt es Organisationen, die über eine Art Siegel die Vermarktung der Ware ohne entwicklungspolitisch schädliche Exporte garantieren, sollten diese die Altkleider erhalten. In Deutschland haben sich kirchliche Gruppen bereits 1994 zum Dachverband FairWertung zusammengeschlossen. Dieser sammelt nicht selbst, sondern vergibt ein Gütesiegel an Organisationen, die von der Sammlung bis zur Vermarktung und Verwertung transparent arbeiten. In Österreich ist dieses Siegel bisher nicht in Verwendung.
Fazit: Wer seine Kleidung direkt Armen spenden will, sollte Altkleider auf keinen Fall an kommerzielle Sammler abgeben oder an karitative Organisationen, die die Ware vollständig an Händler weiterverkaufen.

Friedel Hütz-Adams ist seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Südwind, Institut für Ökonomie und Ökumene. Dort beschäftigt er sich unter anderem mit dem deutschen Altkleidermarkt sowie den Auswirkungen von Altkleiderexporten auf afrikanische Länder.

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