Die US-amerikanische Künstlerin und Handwerksexpertin Claire Burkert berät und organisiert Handwerksprojekte in ganz Asien. Irmgard Kirchner sprach mit ihr per Skype über Erfolge und Herausforderungen.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Ich bin gerade in Istanbul und arbeite im Auftrag einer Gruppe von Nichtregierungsorganisationen mit syrischen Flüchtlingsfrauen. Mit Frauen, die weder Erfahrung im Bereich Handwerk noch in der Zusammenarbeit haben. Wir gehen davon aus, dass sie über das Handwerk die Erfahrung von Zusammenarbeit machen können. Und darüber hinaus können sie auch ein wenig Geld verdienen. Hier fange ich bei Null an. Bei anderen Projekten hat die Gruppe schon angefangen zu arbeiten, wenn ich als Beraterin dazu komme.
Wie beurteilen Sie das Potenzial von Handwerken für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung?
1989 habe ich im Süden von Nepal ein Frauenprojekt initiiert. Daraus ist eine bis heute sehr erfolgreiche NGO entstanden, das Janakpur Women’s Development Center. In der Region bemalen traditionell Frauen die Mauern ihrer Häuser. Ich habe mit den Frauen daran gearbeitet, diese Malereien zuerst auf Papier und dann auf andere Gegenstände zu übertragen. Das Projekt hat einen tiefgehenden Wandel bewirkt. Bis dahin hatten die Frauen keine Bildung genossen, viele waren verschleiert, sie durften ihre Dörfer nicht verlassen. Und plötzlich fingen sie an zu reisen. Nicht nur zu unserem Zentrum, sondern bis in die Hauptstadt Kathmandu, um Material zu kaufen oder Aufträge entgegen zu nehmen.
… und sie sind selbstbewusster geworden?
Die Frauen haben gewissermaßen eine neue Welt betreten, sie haben begonnen, unabhängig von den Männern zu arbeiten. Sie haben sich untereinander vernetzt, über Kasten- und Dorfgrenzen hinweg. Dieses Netzwerk und das Einkommen haben sie gestärkt. Andere NGOs haben begonnen, die Frauen zu beauftragen, Poster für ihre Anliegen – Vitamin A, Sexualaufklärung, Rauchen u.a.m – zu malen. Die Frauen kamen in Kontakt mit neuen Ideen. Es gab Ableger der Organisation und immer mehr Frauen haben ein Einkommen erwirtschaftet. Die sozioökonomischen Wirkungen dieses Projektes in einer traditionellen Hindu-Gesellschaft waren unglaublich. Plötzlich wurde das, was die Frauen gemacht haben „Janakpur Art“ genannt und eine neue Tradition von nepalesischer Volkskunst war geboren.
Mit dem Projekt haben Sie sich stark in die traditionellen Strukturen, zum Beispiel die Geschlechterrollen, eingemischt …
Ich möchte es nicht Einmischung nennen. Ich helfe dabei, dass die Menschen erkennen, dass sie mit dem, was sie haben, mit ihrer Kultur, Geld verdienen können. Die Frauen machen diese wunderbaren Malereien auf den Wänden ihrer Lehmhäuser. Im Gegensatz zu früher hat das heute immer weniger religiöse Bedeutung. Auch werden viele Häuser aus Beton oder Ziegeln gebaut, Baustoffe, auf denen nicht auf diese Weise gemalt werden kann. Die Malereien auf Papier und auf andere Objekte zu übertragen, war somit auch eine Art, sie zu retten. Handwerk müssen wir immer unter dem Gesichtspunkt der sozialen Auswirkungen sehen. In Janakpur gibt es eine strikte Kastengesellschaft. Ich habe mit Frauen aus allen Kasten gearbeitet. Das Projekt war der einzige Ort, wo diese Kasten zusammengekommen sind. Sie haben sich als Menschen kennengelernt und sind sich so begegnet.
Wie haben die Männer reagiert?
Ich muss die Ehemänner loben. Am Anfang waren sie sehr unsicher. Sie waren wirklich besorgt, ihre Frauen rausgehen zu lassen. Das hat sich verändert. Sie haben erkannt, dass ihre Frauen sicher sind. Und dann hat sich Stolz auf ihre Frauen breitgemacht.
Und wie schaut es mit dem ökonomischen Potenzial von Handwerk insgesamt aus?
Das hängt vom jeweiligen Handwerk ab und auch von der lokalen und globalen Konkurrenz durch die gleiche Art von Produkten. Nepals Newar-Handwerker zum Beispiel erzielen mit Schmuck und religiösen Statuen ein gutes Einkommen. In Tibet haben gute Juweliere eine reiche Kundschaft, die ihre Produkte liebt. Das ländliche Handwerk hat allerdings zu kämpfen. Fertigkeiten und Werkzeuge sind nur eingeschränkt vorhanden. Es ist schwierig, mit industriell produzierten Gütern mitzuhalten. Der Handel erfolgt hauptsächlich lokal und der Wert, der den Produkten zuerkannt wird, ist nicht so hoch.
Und dann gibt es noch die neuen Handwerke, die von sozialen Organisationen oder von Firmen von außen eingeführt werden. In Nepal etwa lernen immer mehr Menschen, die keinen Handwerkshintergrund haben, zu stricken oder zu filzen. Früher wurden handwerkliche Fertigkeiten, ähnlich wie in einer Gilde, von Generation zu Generation weitergegeben. Eine der Herausforderungen besteht darin, dass die junge Generation nicht mehr weitermachen möchte.
Im gesamten Handwerkssektor geht es auch darum, Beschäftigung und Einkommen zu schaffen. Nicht nur in Nepal, sondern auf der ganzen Welt.
Unter welchen Bedingungen kann Handwerk bestehen bleiben?
Ausschlaggebend ist immer der Markt. Er muss den Handwerkern genug Einkommen ermöglichen. Sonst hören sie auf und sehen sich nach lukrativeren Beschäftigungen um. In Tibet gehen Handwerker oft in den Bau oder sie sammeln den Raupenpilz (Ophiocordyceps sinensis; Anm. d. Red.), der in China sehr geschätzt wird. Wenn die lokale Bevölkerung kein Geld hat und keine Wertschätzung für das Handwerk empfindet, wenn es keine guten internationalen Verbindungen gibt, dann wird es problematisch.
Es gibt Organisationen, die sich des Handwerks annehmen. Doch es bräuchte mehr Unterstützung von größeren Organisationen. Mit Handwerk kann man gut bei anderen Projekten andocken, etwa im Bereich Bildung, Gesundheit, Mikrofinanzen, Verhaltensänderungen oder Frauenförderung. Handwerke stehen immer in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich sehe, dass eine Menge Handwerk auf dem Markt ist. Die Konkurrenz wird größer und größer. Ich mache mir schon Sorgen, wie die Sachen verkauft werden können, wenn wir immer mehr Menschen im Handwerksbereich ausbilden. Handwerke sind auch Trends unterworfen. Die Nachfrage nach handgemachtem Papier aus Nepal sinkt als Folge der Digitalisierung.
Ein Freund von mir hat sein Geschäft für tibetische Teppiche in Peking zusperren müssen. Auch in China müssen die Menschen sparen. Und überdies richten sie sich neuerdings lieber minimalistisch ein. Das gilt auch für andere Länder. Es ist überhaupt zu befürchten, dass die jungen Leute heute weniger Dinge ansammeln möchten. Ein schöner Teppich wird weniger als gute Wertanlage gesehen als ein Smartphone.
Was hat Handwerk mit Ermächtigung zu tun?
Dass Handwerk wirklich ermächtigend ist, habe ich in Janakpur gesehen. Die Frauen dort hatten den niedrigsten sozialen Status von allen Frauen in Nepal. Ich habe miterlebt, wie diese Frauen ihre Chance genutzt haben. Meine eigene Arbeit mit dem Handwerk sehe ich als einen humanitären und künstlerischen Austausch über die Kulturen hinweg. Handwerk klingt manchmal ein bisschen abwertend. Das ist nicht gerechtfertigt. Es kann eine wirklich starke Kraft zwischen den Menschen sein.
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