Nach dem Wahlkampf, der Zeit griffiger Parolen, ist es höchste Zeit, wieder in die Tiefe zu gehen. Warum und auf welche Weise die neue Regierung Entwicklungspolitik ernst nehmen soll, erklärt Elfriede Schachner.
Das Thema Entwicklungspolitik war auch heuer nicht wahlentscheidend. Keine kritischen JournalistInnenfragen dazu, keine Slogans auf Wahlplakaten. Entwicklungspolitik nutzt nicht einer starken österreichischen Klientel, bedient keine vordergründigen Existenz- oder Fremdenängste. Und noch ist es so, dass sich PolitikerInnen mit Fragen weltweiter Gerechtigkeit nur schwer profilieren können. Darüber mache ich mir keine Illusionen.
Ist es auch nur eine Illusion, von der neuen Regierung eine zukunftsfähige Politik und eine größere globale Verantwortung zu erwarten? Mit neuen Akzenten und Fortschritten – auch in der Entwicklungspolitik?
Ich denke nicht, denn Entwicklungspolitik hat zwar keine starke Lobby, doch sie hat eine starke Vision: globale Durchsetzung der Menschenrechte, Frieden, Bekämpfung der weltweiten Armut und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Und Visionen überdauern jedes Politik-Hickhack. Sie werden mit der Zeit eher klarer als unschärfer. Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt. Es ist von der neuen Regierung nicht zuviel verlangt, eine größere Verantwortung für die Nord-Süd-Politik zu übernehmen und Entwicklungspolitik als Aufgabe quer durch alle Politikbereiche zu verankern.
Entwicklungspolitik kann nicht alle Probleme lösen, sie trägt aber entscheidend dazu bei, weltweit gerechte Verhältnisse zu schaffen. Armutsbekämpfung ist nicht weniger als eine menschenrechtliche Verpflichtung. Zu den Millenniums-Entwicklungszielen zur Reduzierung der weltweiten Armut und zur Erhöhung der Gesamtausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens hat sich Österreich bereits verpflichtet. Es geht nun darum, diesen Verpflichtungen zügig nachzukommen und den noch immer fehlenden konkreten verbindlichen Stufenplan umzusetzen.
Darüber hinaus muss sich die neue Regierung auf internationaler Ebene für innovative Finanzierungsquellen für Entwicklung (wie zum Beispiel die Tobin-Steuer, zu der es in Österreich eine Vierparteieneinigung gibt) stark machen und sich für die Schließung von Steueroasen und gegen den Steuersenkungswettlauf engagieren.
Insbesondere in der Entwicklungspolitik sind Organisationen der Zivilgesellschaft maßgeblich gestaltende Kräfte. Doch die Rahmenbedingungen, unter denen die entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) arbeiten, sind verbesserungswürdig. Zukunftsfähige Politik ist es, das Engagement und die Kompetenzen der NGOs anzuerkennen und abzusichern, etwa durch einen eigenen Budgetbereich innerhalb der bilateralen Programm- und Projekthilfe.
Ein eigenes EZA-Ministerium wird, realpolitisch gedacht, wohl nur mittelfristiges Ziel sein. In der kommenden Legislaturperiode wäre schon ein Fortschritt, die seit 2003 gesetzlich geforderte Kohärenz durch Kompetenzbündelung im Außenministerium umzusetzen. Das heißt, dass die Ziele und Prinzipien der Entwicklungspolitik bei den Maßnahmen aller Politikbereiche, die Entwicklungsländer betreffen, beachtet werden: bei Fragen der Wirtschaftspolitik, des Handels, der Außenpolitik, der Landwirtschaft, der Umweltpolitik, Finanzpolitik, Sozialpolitik etc.
Machen wir uns nicht kleiner als wir sind: Österreich kann und muss eine initiative Rolle in der EU einnehmen, um zu einer gerechten, sozialen und ökologischen Weltwirtschaftsordnung beizutragen, zum Beispiel indem es sich gegen handelsverzerrende Subventionen im Agrarbreich ausspricht.
Und Österreich kann die Entwicklungspolitik der EU beeinflussen: dass die Armutsbekämpfung deren Mittelpunkt bleibt, dass das Budget erhöht wird, dass die Kohärenzverpflichtung eingehalten wird. Und dass auch auf EU-Ebene die eigenständige Rolle der NGOs in Nord und Süd gefördert wird.
HIV/Aids macht viele Entwicklungsanstrengungen zunichte. Für echte entwicklungspolitische Fortschritte wird die neue Regierung mehr Energie und Koordinationsaufwand in die Bekämpfung von HIV/Aids und in die Gesundheitsförderung stecken müssen.
Entwicklungspolitik ist ein weit reichendes Unterfangen. Will die neue Regierung ihre Politik guten Gewissens als „nachhaltig“ bezeichnen, muss Österreich ab sofort seine Treibhausgas-Emissionen um 30 Prozent reduzieren. So groß ist der Nachholbedarf, um das Kyoto-Ziel, zu dem sich Österreich schon 1990 verpflichtet hat, noch bis 2012 zu erreichen.
Es gehört auch zu einer zukunftsfähigen Entwicklungspolitik, sich auf nationaler und internationaler Ebene unmissverständlich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Sexismus einzusetzen. Ein verstärktes Engagement Österreichs in der EZA wirkt den strukturellen Ursachen von Flucht und Migration entgegen. Migration ist in einer globalisierten Welt eine Realität. Es muss um die Gestaltung von Migration und nicht um die Ausgrenzung von MigrantInnen gehen. Die soziale Verantwortung von Unternehmen wird zunehmend allgemein anerkannt. Freiwillige „Codes of Conduct“ von Firmen sind ein erster richtiger Schritt. Die neue Regierung sollte rechtliche Rahmenbedingungen für die Einhaltung von Menschenrechten, Sozial- und Umweltstandards für transnationale Unternehmen schaffen. Für die Vergabe von Exportkrediten und staatlichen Exportgarantien sollten diese Standards auf jeden Fall vorgeschrieben sein.
Eine zukunftsfähige Entwicklungspolitik braucht zusätzliche Entschuldungen. Die neue Regierung soll sich dafür stark machen und sich für ein faires und transparentes Schiedsverfahren unter Einbeziehung aller Gläubiger und Schuldner in einem gerechten Verfahren einsetzen. Und Entschuldungen sollen keinesfalls in die ODA-Quote, die Statistik der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen, einberechnet werden.
Zuviel verlangt? Unsere Zukunft sollte es uns wert sein.
Elfriede Schachner ist Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit (AGEZ), des Dachverbandes von 32 entwicklungspolitischen Organistationen in Österreich.