Ist die Flut an Gedenk-Tagen, -Jahren und -Dekaden den angesprochenen Problemen und Themen noch dienlich?
Die erste Ausgabe des SÜDWIND-Magazins im Neuen Jahr legt einen Blick auf zu erwartende Ereignisse nahe. Nicht, dass wir gelernt hätten, in die Zukunft zu schauen. Doch viele Tage des Jahres sind von vornherein vergeben, eigentlich ist das ganze Jahr vergeben, ganze Dekaden – und das mehrmals.
Am 21. Februar begehen wir den Internationalen Tag der Muttersprache, am 8. März den Frauentag (eh klar), am 21. März den Tag der Ausrottung rassistischer Diskriminierung, am 21. März den Tag der Dichtung. Irgendwann kommt der Tag der Gesundheit, der Tag der Pressefreiheit, der Tag der Familien, der Tag Afrikas, der Nichtraucher-Tag, der Weltbevölkerungstag, der Tag der Jugend, jener der Indigenen usw. usf. (Interessierte könnten auf www.unesco.org nachschauen).
Aber wissen Sie auch, dass heuer die Dekade der Alphabetisierung beginnt? Wir befinden uns außerdem in der Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit für Kinder, ebenso in jener zur Ausrottung des Kolonialismus und in jener zur Bekämpfung von Malaria (alle bis 2010). Bis 2006 haben wir noch Zeit, uns intensiv mit der Ausrottung der Armut zu beschäftigen, bis 2004 mit Menschenrechtserziehung und mit Indigenen Völkern. Und nur noch dieses Jahr läuft die Dekade des Kampfes gegen rassistische Diskriminierung.
Schwirrt Ihnen der Kopf? Genau – es sind einfach zu viele. Natürlich ist es legitim, dass die UNO und ihre Teil-Organisationen Tage, Jahre und Dekaden ausrufen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf wichtige Themen und Probleme unserer Zeit zu lenken, um WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, Organisationen und Einzelpersonen zu animieren, in dieser Zeit verstärkt ins Gespräch zu kommen und besonders intensiv an Lösungen zu arbeiten. Doch was passiert tatsächlich? Kommen wir auf diese Weise Lösungen näher?
Nehmen wir die Dekade zur industriellen Entwicklung Afrikas – es war bereits die zweite, und sie ging 2002 zu Ende. Was war der Nutzen dieser Dekade für den Kontinent? In dieser Zeit ist Afrika noch weiter ins wirtschaftliche Abseits gerutscht. Investoren halten sich zurück, weil besonders in den Ländern südlich der Sahara die Risiken zu hoch eingeschätzt werden. Nur 0,7% der grenzüberschreitenden Investitionen weltweit gelangen nach Afrika. Allein die Schweiz exportiert mehr als der gesamte Kontinent, dabei sind nach wie vor Rohstoffe Hauptexportprodukte afrikanischer Länder und nicht industrielle Güter.
Trotz allem wünsche ich mir, dass das heuer laufende Jahr des Wassers entsprechendes Echo findet und an vielen Ecken und Enden daran gearbeitet wird, sauberes Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen für alle zu sichern.
Ich fürchte aber, die Inflation an Gedenk(Bedenk)-Tagen, -Jahren und -Dekaden führt eher zu einem Abflauen der Aufmerksamkeit, auch in jener Teilöffentlichkeit, die sich speziell für eines der Probleme und Themen interessiert oder interessieren sollte. Fazit: Weniger wäre mehr. Dabei zeigt sich ein neues Phänomen. Warum sollten nur UNO-Organisationen Tage und Jahre ausrufen? In Österreich haben kürzlich Fairtrade und die Christoffel-Blindenmission das Jahr der Fairness proklamiert. Und der Musiker Willi Resetarits kürte 2003 zum Jahr des Kurt Ostbahn. Wann rufen Sie Ihr spezielles Jahr aus?