Sarah Ochora spricht wie im Traum. Wenn die 17-Jährige erzählen soll, wie sie von der Lord’s Resistance Army (LRA) entführt worden ist, redet sie, die Augen fast geschlossen, die Stimme jammernd und zugleich monoton. Diese Zeit, sagt sie am Ende des Interviews, war auch wie ein Albtraum, der sie nachts immer wieder plagt.
Mit acht Jahren wird sie von LRA-Rebellen aus einem Vorort von Gulu entführt, der größten Stadt im Norden Ugandas, und nach Juba im Süden Sudans gebracht. Weil sie noch zu jung zum Kämpfen ist, wird sie dort drei Jahre festgehalten. Aber mit elf ist sie schließlich alt genug für die Waffe. „Wir wurden oft geschlagen“, sagt sie, immer noch ohne merkliche Gefühlsregung. „Wir hatten andauernd Hunger.“
Dann folgt ihre Zeit als Kindersoldatin. Zusammen mit einer Handvoll Offizieren legen die Kinder Hinterhalte oder suchen in Feldern und Gärten nach Essbarem. Mit 13 soll Ochora schließlich einem Leutnant der LRA zur Frau gegeben werden. Sie hat sich geweigert, erzählt sie: „Aber sie haben mir gesagt, sie töten mich, wenn ich Schwierigkeiten mache.“
Als sie mit 15 schließlich von der LRA fliehen kann, ist sie Waise. Ihre Mutter, Offizierin in der ugandischen Armee, und ihr Vater, ein Grundschullehrer, wurden in einem Hinterhalt der LRA erschossen.
Was sich anhört wie eine Anhäufung schlimmer Schicksalsschläge im Leben eines glücklosen Mädchens, ist im Norden Ugandas bei weitem kein Einzelfall. Bis zu 38.000 Kinder wurden seit Ausbruch des Konfliktes 1986 von der LRA entführt. Wegen der Überfälle hatten in den drei am schlimmsten betroffenen Bezirken um Gulu 1,4 Millionen Menschen – mehr als 90 Prozent der gesamten Bevölkerung dort – ihre Dörfer verlassen und sich in Vertriebenenlagern entlang der großen Straßen angesiedelt. Eine halbe Million weitere waren es in drei Bezirken weiter östlich.
Wer aus seinem Dorf nicht vor der LRA geflohen war, wurde von den ugandischen Sicherheitskräften verdächtigt, mit den Rebellen gemeinsame Sache zu machen. Das galt vor allem für alte Leute, die von der LRA wenig zu befürchten hatten und nicht in die Lager wollten, weil die hygienischen Bedingungen dort erbärmlich waren. Sie wurden von der ugandischen Armee oft verprügelt und gezwungen, in die Lager zu gehen.
Erstmals seit mehr als 20 Jahren gibt es nun jedoch die vage Hoffnung auf ein friedliches Ende des Konfliktes. Seit 15 Monaten verhandeln die ugandische Regierung und die LRA im süd-sudanischen Juba über ein Friedensabkommen. Vor einem Jahr einigten sie sich auf einen vorläufigen Waffenstillstand, der bisher gehalten hat.
Der Effekt der Waffenruhe auf den Norden Ugandas ist deutlich zu spüren. Erstmals seit mehr als 20 Jahren sind die Landstraßen sicher, und nach Regierungsangaben ist die Hälfte der Vertriebenen aus den Lagern schon in ihre Dörfer zurückgekehrt.
Die Verhandlungen mit der LRA gehen jedoch nur schleppend voran. Als größter Stolperstein für ein endgültiges Friedensabkommen gilt die Frage, ob und wie die LRA-Führer bestraft werden. Fünf Rebellenführer wurden 2002 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen ihrer Verbrechen angeklagt. Einer wurde 2006 im Kampf von Regierungssoldaten getötet. Die anderen bleiben aus Angst, sie würden in Juba verhaftet, den Verhandlungen fern.
Ende Juni dieses Jahres vereinbarten die ugandische Regierung und die LRA in Juba nun eine juristische Aufarbeitung des Konfliktes. Von vielen BeobachterInnen wurde das als Durchbruch bei den Verhandlungen gewertet. Das Abkommen sieht vor, dass die LRA-Verbrechen nach ugandischem Recht aufgearbeitet werden sollen und die Regierung sich nach einem Friedensschluss um die Aufhebung der Anklagen vor dem Haager Tribunal bemühen wird. Beide Seiten vereinbarten daraufhin, die Verhandlungen zu Konsultationen zu unterbrechen. Aber bald kam es zu einem Streit um die Finanzierung einer Konferenz, die die LRA mit 500 ihrer AnhängerInnen in Kongo abhalten wollte – und für die die Geberländer, die den Friedensprozess unterstützen, schließlich ein Viertel der verlangten Summe beisteuerten. Außerdem schien der militärische Chef der LRA, Vincent Otti, in mehreren Interviews, die er via Satellitentelefon aus dem kongolesischen Busch gab, das frisch unterschriebene Abkommen in Frage zu stellen. Immer wieder betonte er, die LRA werde erst ihre Waffen abgeben, wenn die Haager Klagen aufgehoben seien. Zur Begründung verweist Otti auf den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor, gegen den gerade in Den Haag wegen seiner Rolle im Bürgerkrieg in Sierra Leone prozessiert wird: „Taylors Fall ist für uns sehr aufschlussreich, weil ihm versprochen wurde, er werde in Ruhe gelassen, wenn er ins Exil geht. Deshalb ist für die LRA-Führer die Waffe in ihrer Hand die einzige Garantie.“ Die ugandische Regierung besteht jedoch darauf, dass sich die LRA-Führer den Behörden stellen, bevor die Haager Klagen aufgehoben werden.
Dann riss der Regierung der Geduldsfaden. Anfang September beschlossen die Präsidenten Ugandas und der Demokratischen Republik Kongo, Yoweri Museveni und Laurent Kabila, in einem unerwarteten Abkommen, die LRA bis Ende dieses Jahres aus Kongo zu vertreiben. Die Wiederannäherung zwischen den beiden Staatschefs kam überraschend, stand ihr Verhältnis doch nicht zum Besten. Noch im August hatte es einen Zwischenfall an der gemeinsamen Grenze auf dem Albert-See gegeben, als nach Angaben Ugandas kongolesische Soldaten auf ugandischer Seite das Boot eines Ölkonzerns beschossen. Und Kongos Regierung verklagte Uganda erfolgreich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen seiner Militärintervention während des Kongokriegs (1998-2005). Der Gerichtshof verurteilte Uganda zu Reparationszahlungen, deren Höhe sich die beiden Regierungen noch aushandeln müssen.
Die nun geplante gemeinsame Militäraktion der beiden Nachbarn gegen die LRA hört sich jedoch einfacher an, als sie ist. Schon im Herbst 2005 wurden beim Versuch, die vier angeklagten Rebellenführer festzunehmen, zehn Soldaten der UNO-Blauhelmtruppe in Kongo in einem Hinterhalt der LRA getötet.
In den Vertriebenenlagern im Norden Ugandas haben die Leute jedoch zur Zeit andere Sorgen als die blockierten Friedensverhandlungen, denn der Norden und Osten des Landes wurden im September von den schlimmsten Überschwemmungen seit 35 Jahren getroffen. Zahlreiche Brücken, Straßen und Häuser wurden weggewaschen. Die Bezirke nördlich von Gulu waren gänzlich vom Rest des Landes abgeschnitten. Eine halbe Million Menschen sind davon betroffen, viele davon in den Vertriebenenlagern, von denen 50 gänzlich überflutet wurden. 200.000 mussten ihre Häuser verlassen, und die schweren Regenfälle können noch bis mindestens Ende November anhalten.
Auf engstem Raum zusammengepfercht lebt David Opyo gemeinsam mit 12.000 anderen in dem typischen Vertriebenenlager Kunjamma Koro, 15 Kilometer südlich von Gulu, an der großen Teerstraße nach Kampala. Das Lager war während der Überschwemmungen nicht abgeschnitten. Aber in sein Dorf zehn Kilometer weiter östlich zurückzukehren, hielt Opiyo auch vor der Flutkatastrophe für ausgeschlossen: „In unserem Dorf gibt es keine Schule“, sagt er, „und nichts für Kranke. Wir haben weder Strom noch fließendes Wasser.“
Sarah Ochora dagegen hatte Glück im Unglück. Zusammen mit 560 anderen ehemaligen KindersoldatInnen hat sie seit vergangenem September Zuflucht in einem Internat für kriegsgeschädigte Kinder in einem Vorort von Gulu gefunden. Dort haben Jugendliche die Chance, die Schule nachzuholen oder eine Lehre als MaurerIn, BäckerIn oder NäherIn zu machen. Nun lernt sie Brot zu backen und Kekse. „Wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, kann ich bei meinem Onkel leben“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Trotzdem mache ich mir Sorgen, was aus mir werden soll.“