Ein Preis gegen die Straflosigkeit

Von Gabriele Frimberger · · 2007/10

Die mexikanische Menschenrechtsaktivistin Judith Galarza erhielt kürzlich in Deutschland einen Menschenrechtspreis für ihre jahrzehntelangen Bemühungen um eine Aufklärung der Frauenmorde in Ciudad Juárez. Doch die Identität der Täter liegt immer noch im Dunkeln.

Wir sind davon überzeugt, dass sich Verbrechen, die nicht verfolgt und deren Verantwortliche nicht verurteilt werden, wiederholen“, so bringt Judith Galarza in ihrer Dankesrede die aktuelle Situation in Mexiko auf den Punkt. Am 22. Juli nahm sie im malerischen Esslingen am Neckar den „Theodor-Haecker-Preis für politischen Mut und Aufrichtigkeit“ entgegen.
Auch wenn die Regierungen in Mexiko seit Jahren Sonderbeauftragte und SonderermittlerInnen einsetzen, so sind deren Ergebnisse sehr gering. So stellte etwa die Sonderbeauftragte, die Juristin Guadalupe Morfín, bei einem Hearing im EU-Parlament fest, dass ein Drittel der Frauenmorde vom organisierten Verbrechen begangen wurden – doch aufgrund der Einmischung einflussreicher Kreise wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. „Wir glauben, dass sich meine Heimatstadt derzeit in Händen des organisierten Verbrechens befindet, das die Rechtssprechung, die Politik, einen Großteil der Wirtschaft und einige Medien kontrolliert“, folgert Judith Galarza. In Ciudad Juárez, an der Grenze zu den USA gelegen, arbeitet nach ihrer Einschätzung das mächtigste Drogenkartell der Welt.
Doch immerhin haben die Untersuchungen dazu geführt, dass einige Fälle neu aufgerollt wurden und somit unschuldig Inhaftierte, deren Geständnisse unter Folter erzwungen worden waren, jetzt wieder in Freiheit sind. Die Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft und der Sonderbeauftragten wurde aber inzwischen wieder eingestellt.

Judith Galarza kämpft weiter, und der Straflosigkeit entgegenzutreten ist ihr zur Lebensaufgabe geworden, seit im Januar 1978 ihre Schwester Leticia Galarza Campos festgenommen wurde und während der Haft verschwand. Sie teilt damit das Schicksal vieler Familienangehöriger, denn allein in Lateinamerika werden laut Schätzungen von FEDEFAM (Lateinamerikanischer Verband der Vereinigung Familienangehöriger von verschwundenen Festgenommenen) rund 116.800 Personen vermisst. Seit 1999 ist Judith Galarza als Generalsekretärin von FEDEFAM tätig, einer Dachorganisation, die seit 1981 dafür arbeitet, Verschwundene lebend wieder zu finden und die Wahrheit über das Verschwinden zu erfahren. Zu den Mitgliedern zählen 20 Organisationen von Familienangehörigen aus 13 Ländern Lateinamerikas, und seit kurzem gibt es auch eine Zusammenarbeit mit Organisationen in Asien und Afrika. Die Zentrale befindet sich in der venezolanischen Hauptstadt Caracas.

Doch trotz aller Rückschritte gibt es auf internationaler Basis auch Fortschritte zu berichten. So verabschiedete am 20. Dezember 2006 die UN-Generalversammlung eine internationale Konvention „Zum Schutz aller Menschen vor dem zwangsweisen Verschwindenlassen“. Am 6. Februar 2007 hatten bereits 57 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet, darunter Länder wie Mexiko, Guatemala, Haiti und Argentinien – Länder, in denen laut Schätzung von FEDEFAM tausende Personen vermisst werden. Auch Österreich war unter den Unterzeichnerstaaten, Deutschland hingegen nicht. Im Zuge der aktuellen Maßnahmen im „Kampf gegen den Terrorismus“ wird die Praxis des zwangsweisen Verschwindenlassens wieder angewendet. Es kommt daher der UN-Resolution eine große Bedeutung zu. Das Beispiel Mexiko zeigt aber deutlich, dass die Unterzeichnung allein nicht genügt: es fehlt an der Umsetzung.
Im September – nach Redaktionsschluss – wurde auf EU-Ebene der „Bericht über Frauenmorde in Mittelamerika und in Mexiko und die Rolle der EU bei der Bekämpfung dieses Phänomens“ des spanischen EU-Parlamentariers Raúl Romeva diskutiert. Er fordert darin die Länder der EU dazu auf, ihre Beziehungen zu Lateinamerika zu nutzen und Hilfe und Unterstützung zu gewähren, um die Frauenmorde zu verhindern und sicherzustellen, dass die Täter verurteilt werden.

Die Autorin ist Obfrau der Organisation proFRAU und Leiterin der jährlich im März stattfindenden FrauenFilmTage „FrauenWelten“ in Wien.

Weiterführende Information:
FEMM: (Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit)
www.europarl.europa.eu/committees/femm_home_en.htm
Bericht zum ersten Besuch von Judith Galarza in Wien:
www.profrau.at/de/veranstaltungen/20040311_galarza.htm
Bericht über die Preisverleihung:
www.ohchr.org/english/law/disappearance-convention.htm

Auf Radio Orange 94.0 Programmschiene „women on air“ wird am 13.11.2007 um 13 Uhr ein Interview mit Judith Galarza ausgestrahlt.
Über Judith Galarza und die Frauenmorde von Ciudad Juárez siehe auch SWM 3/04.

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