Die Zeichen stehen auf Frieden

Von Walter Keller · · 2002/03

Die Wahlen vom vergangenen Dezember bieten dem kriegsgeschüttelten Sri Lanka eine historische Chance auf ein Ende der Auseinandersetzungen. Die Glaubensgemeinschaften aller Seiten arbeiten tatkräftig an einer Friedenslösung mit.

Der katholische Bischof Joseph Rayappu ist ein Mann des Friedens in einem Land, in dem seine Kirche eigentlich nur eine untergeordnete Rolle spielt. Gerade einmal sieben Prozent der 20 Millionen EinwohnerInnen Sri Lankas bekennen sich zum christlichen Glauben. Die meisten BewohnerInnen der Inselrepublik sind Buddhisten und Hindus. Und trotzdem haben Bischöfe und Priester eine führende Rolle im Friedensprozess eingenommen.
Seinen Sitz hat Bischof Joseph im nordwestlichen Mannar, einer eher gottverlassenen Region am Rande des Bürgerkriegsgebietes von Sri Lanka. Immer wieder hat der gut 60-jährige während der vergangenen Jahre die Strapazen auf sich genommen und ist in die so genannten „uncleared areas“ gereist, Gebiete, die von den tamilischen Rebellen der „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) kontrolliert werden und wo Hundertausende tamilischer Flüchtlinge leben. Zu gerne würden diese Menschen in ihre Heimat auf der nördlichen Halbinsel Jaffna zurückkehren. Aber die steht nach wie vor unter Kontrolle der Regierungsstreitkräfte. Jetzt gibt es für eine baldige Rückkehr neue Hoffnungen.

Immer wieder hat der Bischof während der letzten Jahre versucht, zwischen Regierung und der LTTE zu vermitteln. „Die Arbeit zahlt sich jetzt aus“, meint er. „Seit einigen Wochen passieren Dinge, von denen wir bisher nicht zu träumen gewagt haben.“
An diesem Jännertag ist Joseph Rayappu eigens nach Madhu gereist. Madhu war in Friedenszeiten ein katholischer Wallfahrtsort, und wird gegenwärtig von der LTTE kontrolliert. Er liegt auf halber Strecke entlang der alten A 30, wo kaum noch Zivilisten leben, ungefähr 250 Kilometer nördlich von Sri Lankas Hauptstadt Colombo. In Madhu gab es bislang den einzigen „Grenzübergang“ zwischen LTTE-kontrollierten und regierungskontrollierten Landesteilen der Insel. Hier will die LTTE heute zehn von ihr festgehaltene singhalesische Kriegsgefangene übergeben.
Es ist eine fast unwirkliche Szene am Kontrollpunkt Madhu: Ein Riesenaufgebot schwer bewaffneter Soldaten der Regierungsstreitkräfte, Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes, die die Kriegsgefangenen auf der „LTTE-Seite“ in Empfang nehmen, dann durch einen Streifen Niemandsland fahren und sie schließlich den sri-lankischen Streitkräften auf der „anderen Seite“ übergeben. Mitglieder verschiedener Friedensgruppen sind angereist, freudestrahlende und weinende Eltern vermisster Soldaten warten gespannt auf ihre Lieben, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben.
Brigadier de Alwis, seit 34 Jahren in der von der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung dominierten Armee, kann kaum glauben, was sich da vor seinen Augen abspielt. In der Freilassung der Gefangenen sieht er ein Zeichen des guten Willens seitens der LTTE, gegen die er seit über 20 Jahren, so wie weitere 100.000 Soldaten, vergeblich ankämpft. „Seit vier Wochen fallen hier keine Schüsse mehr“, erzählt der Offizier sichtlich entspannt.

Nach den Parlamentswahlen im Dezember vergangenen Jahres war erstmals ein Waffenstillstand von beiden Seiten akzeptiert worden. Die LTTE hatte ihn zuerst angeboten, die neue Regierung unter Premierminister Ranil Wickremasingha war darauf eingegangen. Anfang des Jahres hat die von der „United National Party“ (UNP) gestellte Regierung für viele Menschen weitgehende Erleichterungen verkündet. Es wurde nicht nur die bisher existierende Wirtschaftsblockade über die von der LTTE gehaltenen Landesteile gelockert. Auch Reisebeschränkungen vom Norden in den Süden sind weitgehend aufgehoben. Selbst Sri Lankas Hauptstadt Colombo, die in den letzten Jahren immer wieder Ziel von Selbstmordattentaten der „Tamil Tigers“ war, verbreitet das Flair einer normalen asiatischen Großstadt. Colombo hat den Eindruck abgestreift, die Stadt würde sich im Belagerungszustand befinden.

Der derzeitige Optimismus darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Schwierigste dem Land noch bevor steht: Es muss eine politische Lösung gefunden werden, und jeder weiß, wie schwer das sein wird. Der zwanzigjährige Bürgerkrieg, der bis zu 100.000 Menschenleben gefordert und Hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht hat, hat die Bevölkerung gespalten und tiefe Gräben entstehen lassen. Es muss ein Ausgleich erzielt werden zwischen den Forderungen der LTTE nach einem eigenständigen Tamilenstaat und dem, was die Mehrheit der singhalesischen Bevölkerung an Zugeständnissen in Richtung tamilischer Minderheit bereit ist zu akzeptieren.
Schon seit mehreren Wochen versucht die singhalesisch-radikale „Janatha Vimukti Peramuna“ (JVP), die im neuen Parlament immerhin über 16 von insgesamt 225 Sitzen verfügt, die Bevölkerung darauf einzuschwören, gegen die anstehenden Verhandlungen zwischen Regierung und LTTE ihr entschiedenes „Nein“ zu setzen. Die JVP spricht von „Ausverkauf an die Tamilen“ und von der Notwendigkeit, die LTTE weiterhin militärisch zu bekämpfen. Dass ein militärischer Sieg über die LTTE jedoch in absehbarer Zeit kaum möglich erscheint, hat die neue Regierung eingesehen. Sie betont, weder seien die „Tamil Tigers“ in der Lage, die Streitkräfte zu besiegen, noch seien die Streitkräfte dazu fähig, die LTTE dauerhaft in die Knie zu zwingen. „Wir müssen nach einer politischen Lösung innerhalb eines geeinten Sri Lankas suchen. Die Teilung des Landes muss dabei ausgeschlossen werden, das muss auch die LTTE verstehen. Alles andere ist Verhandlungssache“, betont Bradman Weerakoon, Staatssekretär des neuen Premiers.

Doch es gibt diese historische Chance, mit viel Geduld den Konflikt zu lösen. Sie liegt darin begründet, dass Regierung und Opposition erstmals in der jüngeren Geschichte Sri Lankas an einem gemeinsamen Strang ziehen. Gute Voraussetzungen also, um Neid und Hass auf beiden Seiten zu überwinden. Und dazu will auch die Kirche beitragen.
Die rund eintausend katholischen Pfarrer – es sind Singhalesen und Tamilen – wollen in diesem Prozess eine wichtige Rolle übernehmen.Doch die Aktivitäten der katholischen Kirche allein reichen natürlich nicht in einem Land, das von Buddhisten dominiert wird. So muss der Friedensprozess auch vom mächtigen buddhistischen Klerus vorangetrieben werden. Die rund 20.000 buddhistischen Mönche Sri Lankas gelten nämlich als wichtiger Machtfaktor im Hintergrund einer jeden Regierung.
Insbesondere die älteren Mönche haben oft eine singhalesisch-nationalistische Grundhaltung und sehen in der tamilischen Minderheit eher Eindringlinge, Resultat einer verfälschten Geschichtsschreibung, die vor allem auf Mythen vom Kampf der Singhalesen gegen Tamilen beruht. Doch viele der jüngeren Mönche arbeiten in so genannten „inter-religiösen“ Arbeitsgruppen mit daran, dass der Friedensprozess auf allen Ebenen in Gang kommt.
Daran wollen sich auch die sri-lankische Präsidentin Chandrika Kumaratunga und der neue Premierminister Ranil Wickremasingha beteiligen.

Anlässlich des 54. Unabhängigkeitstages am 4. Februar sprachen sie von einer historischen Friedenschance, die nicht ungenutzt verstreichen dürfe. Die Wirtschaft ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Einerseits durch den zunehmend steigenden Verteidigungshaushalt, jährlich etwa eine Milliarde Dollar. Andererseits durch die vielen Zerstörungen der letzten Jahre. Straßen, Schienenwege, Bewässerungs- und Telekommunikationssysteme und ungezählte Gebäude sind zerstört worden. Der Fischereisektor, der den Menschen im Norden und Osten traditionell ein Einkommen beschert hat, liegt am Boden. Ebenso die Landwirtschaft.
Nicht zuletzt hat die Tourismusindustrie gerade im vergangenen Jahr einen dramatischen Einbruch erfahren. „Wir können eben nicht genügend Touristen ansprechen, wenn gleichzeitig im Land Bomben explodieren und Menschen sterben. Denken Sie an den Anschlag der LTTE auf den Flughafen von Colombo im letzten Juli. Das war für uns ein Desaster“, gibt Bradman Weerakoon zu bedenken. Seither sind die Touristenankünfte um über 50 Prozent zurückgegangen. Jetzt hofft der Staatssekretär für diesen wichtigen Wirtschaftssektor auf die Kehrtwende. „In Friedenszeiten ist Sri Lanka für Touristen ein tolles Land.“ Recht hat er.

Walter Keller ist freier Journalist und Gutachter und lebt in Dortmund. Er ist Experte für die Region Südasien und hat erst kürzlich wieder Sri Lanka bereist.

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