Die Sache mit der objektiven Sicherheit

Von Redaktion · · 2018/Jul-Aug

Wieso österreichische Medien im Vergleich zu deutschen mitunter problematisch über Kriminalstatistiken berichten. Stefan Brocza klärt auf.

Alle Jahre wieder präsentiert das Innenministerium im Frühjahr die sogenannte Kriminalstatistik. Und wie das Amen im Gebet folgt die immer wieder gleiche Berichterstattung der Medien: dazu, ob die Kriminalität steigt oder fällt, welche Problemfelder es gibt. Besonders wichtig dabei ist die immer wiederkehrende Frage: Wie kriminell sind denn eigentlich Ausländer und im speziellen Flüchtlinge und „Asylanten“? Der Haken dabei: Den präsentierten Zahlen fehlt zumeist die Aussagekraft. Und: Die Medien spielen eine eigene Rolle.

Für eine Studie gemeinsam mit Lena Hager habe ich mich mit dem Thema Kriminalstatistik und der Berichterstattung darüber befasst. Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse deutscher und österreichischer Tageszeitungen und Wochenmagazine über die „gefühlte Sicherheitslage“ in zeitlicher Nähe zur Präsentation der Kriminalstatistiken des Jahres 2016 wurden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der medialen Diskussion und Darstellung von „Sicherheit“ deutlich.

Was Zahlen aussagen. Dabei muss man zu allererst klarstellen: Die jeweilige Kriminalstatistik liefert kein realitätsgetreues Abbild der Kriminalität. Es handelt sich nicht um eine Aufstellung aller Straftaten, sondern lediglich von Anzeigen. Das große Dunkelfeld von Straftaten, die erst gar nicht angezeigt werden, bleibt außer Acht.

Und nicht zuletzt sind Tatverdächtige in Anzeigen genau das: tatverdächtig. Ob sie auch Täter sind, entscheiden später die Gerichte. Die Zahl der Verurteilungen ist jedenfalls deutlich geringer als die Zahl der Anzeigen.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen. Die erwähnte Studie wurde gemeinsam mit Lena Hager, Redakteurin in Wien, durchgeführt. Das Ergebnis erscheint Ende des Jahres in einem Sammelband zu „postfaktischer Sicherheitsforschung“ beim Wissenschaftsverlag Springer.

Weitere Faktoren führen zu Verzerrungen: Da die meisten Anzeigen von den Opfern selbst aufgegeben werden, hängt die Zahl der Anzeigen auch von sozialen Voraussetzungen ab. Die Täter-Opfer-Beziehung kann maßgeblich dafür sein, ob eine Straftat gemeldet wird oder nicht. Auch mangelndes Vertrauen in die Staatsgewalt und das Rechtssystem kann dazu führen, dass Straftaten nicht gemeldet werden.

Mitglieder einer Community könnten etwa eher geneigt sein, Probleme unter sich zu lösen. Auch ein geringeres Wissen über das hiesige Rechtssystem trägt zu diesem Phänomen bei.

Im Umkehrschluss kann ein Anstieg von Anzeigen innerhalb einer Gruppe auch auf das Fortschreiten ihrer Integration in die Gesellschaft hindeuten, weil eine staatliche Institution häufiger genutzt wurde.

Der Blick der Medien. Und jetzt zu den Medien: Im Zuge unserer Inhaltsanalyse fanden wir heraus, dass die österreichische Berichterstattung sich in einem hohen Ausmaß mit den Faktoren, die das Sicherheitsempfinden beeinflussen, befasste – wobei die Kriminalität von Zuwanderern eine besondere Rolle spielte.

Besonders augenfällig war die bewusste Strategie des „Governing through crime“ – also Angsterzeugung etwa zum Zweck der Instrumentalisierung und Aussagen, die durch ihre Formulierung ein Unsicherheitsgefühl fördern und teilweise in Richtung Panikmache gingen.

In Deutschland hingegen bezog sich die Debatte vor allem auf die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der Kriminalität von Zuwanderern bzw. Flüchtlingen/Asylwerbern und die daraus entstehende „gefühlte Sicherheit“. Der vermeintliche Anstieg der Zahl der straftätigen Flüchtlinge konnte bei unseren Nachbarn als Missverständnis bzw. Fehlinterpretation aufgezeigt werden: Es waren schlichtweg mehr Flüchtlinge im Land.

Die österreichische Regierung setzt bekanntlich besonders auf das Thema Sicherheit – meist im Zusammenspiel mit Migration. Dass die Kriminalität von bestimmten Gruppen – Asylwerber, „Ausländer“, Jugendliche (insbesondere von „jugendlichen Fremden“) – in einem besonderen Ausmaß mit Unsicherheit in Verbindung gebracht wird, ist jedoch eine Besonderheit der Alpenrepublik.

Dass Medien über Kriminalität von Zuwanderern auch anders berichten können, zeigt der Blick nach Deutschland.

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