Der Friedensprozess im Nahen Osten scheint endgültig in einer Sackgasse zu stecken – doch glaubwürdige Voraussagen über die Entwicklung des Konfikts sind unmöglich, meint
Aber das ist verschüttetes Wasser, auch wenn man mit diesem Wissen argumentieren könnte, dass die israelische Vorgangsweise gegen die palästinensische Autonomiebehörde auf falschen Grundlagen aufbaut. Aber eine Rehabilitierung der Palästinenser ist in diesem Moment angesichts der Selbstmordattentate gegen Zivilpersonen in Israel unmöglich.
Die prophetische Gabe, zur Zukunft des Kon?ikts Aussagen zu treffen, besitzt wohl niemand. Noch immer ist eine regionale Explosion eher unwahrscheinlich: Zu ungleich ist das Kräfteverhältnis etwa zwischen Syrien und Israel; Jordanien und Ägypten hängen trotz expliziter israelkritischer Haltungen und des wachsenden Drucks der „Straße“ an der langen Leine der US-Hilfe und können sich ein wirkliches Ausscheren nicht leisten; der Irak, der am lautesten die Kriegstrommel rührt und im Begriff ist, eine Jerusalem-Armee aufzustellen, ist militärisch nicht existent. Saddam Hussein würde sich hüten, die gut ausgerüsteten Privatmilizen, die für seine prekäre Sicherheit sorgen, für die „Befreiung Palästinas“ einzusetzen. Allerdings gelingt es ihm exzellent, seine Probleme mit dem nationalen Drama der Palästinenser zu verknüpfen, was die beste Versicherung für ihn selbst ist – da mag US-Präsident George W. Bush noch so betonen, dass er seine Irakpolitik nicht vom israelisch-palästinensischen Kon?ikt in Geiselhaft nehmen lässt.
Ein weiteres Dilemma für Bush ist die kolportierte Hilfe Saudi-Arabiens für die palästinensische Hamas. Immerhin ist dieses Land der Verbündete der USA im Golf.
In diesem Umfeld könnte der blutige Kon?ikt zwischen Israelis und Palästinensern Jahre dauern. Von beiden Seiten sind ernsthafte Versuche, das Ruder herumzureißen, ausgeblieben. Die Versäumnisse von Palästinenserpräsident Yassir Arafat sind Legion, einmal abgesehen davon, ob er nicht wollte oder nicht konnte – etwa die zu Beginn der Intifada aus palästinensischen Gefängnissen freigelassenen Gewalttäter wieder einsperren, von denen man wissen musste, dass sie ihre Terroraktivitäten wieder aufnehmen. Die auch unter durchaus gemäßigten Israelis vorwiegende Meinung, dass Arafat damit bewiesen hat, dass er den Terror auch in Israel – nicht nur die Gewalt gegen jüdische Siedlungen auf besetztem Gebiet – billigt, ist nicht zu widerlegen.
Israel seinerseits fordert die Palästinenser zur Einhaltung des im Juni vereinbarten Mitchell-Abkommens mit seinen drei Schritten (Waffenstillstand, vertrauensbildende Maßnahmen, Gespräche) auf und bringt selbst im völligen Widerspruch dazu gezielt mutmaßliche Terroristen um – mit den üblichen unkalkulierbaren, aber in Kauf genommenen „Kollateralschäden“.
Wie die jüngsten Selbstmordattentate zeigen, die auf eine israelische „Liquidations“-Serie folgen, wird nicht einmal der erklärte Zweck erreicht. Für jeden von der israelischen Armee zum Terroristen erklärten und daraufhin „eliminierten“ Palästinenser wachsen zehn nach, die seine Aufgabe übernehmen. Und Hamas und Jihad können auf gewichtige Popularitätsgewinne unter den eingeschlossenen, an Arbeitslosigkeit und existentiellen Mängeln – wie Wasser – leidenden, völlig demoralisierten Palästinensern verweisen.
Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, wenn auch unbeabsichtigt: Schon in der Frühgeschichte der Hamas hat Israel, damals ganz bewusst, die Islamisten als Gegenpol zur PLO gestärkt. Nun hat Israel Arafat zugunsten der Radikalen einen weiteren Schlag mit der Schließung von palästinensischen Institutionen in Ostjerusalem versetzt. Es ist alles andere als eine „gemäßigte“ Reaktion auf den Selbstmordanschlag in Jerusalem, auch wenn die Eskalation diesmal politischer Natur ist. Die letzten Brücken, die die grausame Gegenwart zum Oslo-Friedensprozess verbinden, werden abgerissen.
Die Autorin ist Leiterin der Auslandsredaktion der Tageszeitung „Der Standard“.
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