Auch vierzig Jahre nach Ende des Krieges haben sich Vietnams Wälder noch nicht von der Zerstörung erholt. Mit nachhaltiger Forstwirtschaft versucht das Land, gegen den Verlust der Artenvielfalt anzukämpfen.
Von der Anhöhe sehen sie aus wie natürliche Täler und Hügel, über die sich der Wald ausbreitet. Doch das täuscht. Die metertiefen Senken in der Ferne wurden nicht über Jahrmillionen durch die natürliche Tektonik der Erdplatten geschaffen, sondern innerhalb weniger Monate mit Bomben in die Landschaft gesprengt. Hier in der Provinz Quang-Tri in der geografischen Mitte Vietnams tobte der Krieg zwischen dem kommunistischen Norden und dem mit den USA verbündeten Südvietnam vor vierzig Jahren mit einer Heftigkeit wie nirgendwo sonst in dem südostasiatischen Land. Laut Angaben der Antiminen-Organisation Project Renew (www.landmines.org.vn) wurden in der ehemaligen Grenzregion pro EinwohnerIn sieben Tonnen an Bomben und Minen in die Erde versenkt. Insgesamt gingen über der Provinz rund vier Millionen Tonnen nieder – mehr als während des gesamten Zweiten Weltkriegs weltweit abgeworfen wurde.
Zwei Drittel der Wälder in Quang-Tri fielen den Spreng- und Brandbomben sowie chemischen Kampfmitteln wie dem Entlaubungsmittel Agent Orange zum Opfer. Der Krieg zerstörte in ganz Vietnam fast fünf Millionen Hektar Urwald – und damit eine Fläche etwa doppelt so groß wie Vorarlberg.
„Hier gab es weit und breit keinen Baum mehr“, erinnert sich Tran Duc Loc. Der 51-jährige Waldarbeiter sitzt auf den Stufen der Veranda zu seinem dunklen Tropenholz-Haus und zieht an einer Zigarette. Er zeigt in die Ferne. „Ein einziger Baum stand in vielen Kilometer Entfernung.“ Stattdessen sei die Landschaft mit verkohlten Stümpfen, aufgeworfener Erde und Kratern übersät gewesen. Als er von am Himmel kreisenden B52-Bombern erzählt, stockt ihm der Atem, die Augen werden für einen Moment glasig. Doch diese Gefühle sind schnell passé, der Tod verbreitet keinen allzu großen Schrecken in der buddhistisch orientierten Welt Vietnams. In den kleinen Tempeln vor und im Haus sind die verstorbenen Vorfahren allgegenwärtig. Wie sein Vater und Großvater ist Tran Forstarbeiter bei der staatlichen Ben Hai Company und kümmert sich nun um das Erbe des Krieges.
Vor dem Dioxin aus den Agent Orange-Chemikalien müssen sich Tran und seine Kollegen zwar nicht mehr fürchten – der Regen hat das Gift längst über die Flüsse ins Meer geleitet. Doch das ist nur oberflächlich eine gute Nachricht, zumal in der Region immer noch rund 2.000 Menschen unter Missbildungen und geistigen Schäden als Folgen des Giftgases leiden. Die gesamte Natur ist vom Krieg gezeichnet. „Die Vegetation ist armselig“, bringt es Ben Hai-Vorstandschef Ha Sy Dong auf den Punkt. „An dem unnatürlichen Geländeprofil finden die Bäume nur schwierig Halt.“ Gerade ist er aus einem Geländewagen geklettert und blickt über die grünen Dächer der Wälder hinweg, die am Horizont im milchigen Dunst verschwinden. Es nieselt leicht, eine Mitarbeiterin hält schützend einen Schirm über den 64-Jährigen in dem dunklen Geschäftsanzug.
Landschaft nach einem US-Bombenangriff.
Sicherlich haben die zahlreichen Flüsse, die von den Bergen Laos’ im Hinterland Richtung südchinesisches Meer fließen, in den letzten Jahrzehnten jede Menge Samen von Bäumen mitgebracht, die sich in der zerbombten Landschaft wieder angesiedelt haben. Doch auch wenn sich einige seltene Spezies finden, die auf der roten Liste der internationalen Naturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature) stehen – die Vielfalt der Natur, die einst in dem Landstrich zu finden war, ist damit nicht vergleichbar. Früher lebten im Urwald von Quang-Tri Tiger, Malaienbären oder Makaken – Tiere, die mittlerweile weltweit vom Aussterben bedroht und nach dem Krieg nicht wiedergekommen sind. Heute prägen neben den artenarmen Wäldern monotone Plantagen aus Akazien, Eukalyptus- und Kautschukbäumen das Bild. „Mein größter Wunsch ist, hier die Wälder in ihrer einstigen Vielfalt wieder erstehen zu lassen“, sagt Dong.
Seine Vision klingt fast utopisch in einer Zeit, in der andere Entwicklungs- und Schwellenländer wie die südostasiatischen Nachbarn Malaysia und Indonesien die meisten ihrer Wälder systematisch abholzen, um Platz für Weide- und Landwirtschaftsflächen zu schaffen. Vietnam müht sich in einer Art letzten Gefechtes darum, das Erbe von Agent Orange & Co. endgültig zu beseitigen. Schon unter dem von den Vietnamesen bis heute verehrten früheren Staatschef Ho Chi Minh begann die politische Elite des Landes mit der Wiederaufforstung. Das größte Programm startete Ende der 1990er Jahre und sollte mit Hilfe internationaler Gelder innerhalb einer Dekade genauso viel Wald neu entstehen lassen, wie der Krieg einst vernichtete. Nach Auskunft des deutschen Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) wuchsen die Waldflächen in Vietnam seit der Jahrtausendwende um mehr als 30 Prozent auf zuletzt über 13 Millionen Hektar an. Damit war das Vorkriegsniveau tatsächlich fast wieder erreicht.
„In den letzten Jahren hat sich viel verändert“, bestätigt Waldarbeiter Tran. So gebe es nicht nur endlich eine geteerte Straße, über die er die nächste Stadt Ho Xa in einer halben Stunde erreichen könne, statt einen ganzen Tag dafür zu brauchen. Auch bei seiner Arbeit gibt es neue Methoden. Zwar kämpft er immer noch mit einer einfachen Machete gegen das wuchernde Unkraut und zu viele Äste. Doch künftig wird er einen Teil dieser Pflanzen nicht mehr abhacken. Und die Motorsägen der Firma zum Fällen der Bäume wird er seltener als in der Vergangenheit einsetzen.
„Bisher werden die Akazien spätestens nach acht Jahren geschlagen und die verbleibende Vegetation abgebrannt“, berichtet der deutsche Forstingenieur Burkhard Gutzmann. „Dann wird alles neu gepflanzt.“ Doch die nährstoffarmen roten Böden gäben nicht viele Nährstoffe her. „Das sind typische tropische Ferrosol-Böden. Ohne eine Humusschicht, die zurückbleibt, findet eine Aufwertung kaum statt.“ Eintöniger roter Matsch mit ein paar verkohlten Pflanzenresten ist alles, was übrig bleibt. In den öden, in Reih und Glied gepflanzten Plantagen ist es auch mit der übrigen Biodiversität nicht weit her. Insektengebrumm oder flatternde Schmetterlinge sind Raritäten.
Gutzmann will das ändern. Seit guten einem Jahr arbeitet er in Vietnam für das deutsche Forstunternehmen Forest Finance. Gemeinsam mit der dem BMZ unterstellten Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) schult er einheimische Förster in nachhaltiger Waldpflege.
Seit knapp zwei Jahren fließt privates Kapital in die langfristige Umwandlung der Ben Hai-Wälder und -Plantagen „in biodiverse Mischwälder“, wie Gutzmanns Chef Olaf van Meegen sagt. Anlegern, die für sieben Jahre investieren, verspricht er eine Rendite von sechs Prozent pro Jahr. Möglich macht das die hohe Produktivität der Natur. Da die feuchte Hitze im subtropischen Vietnam die Bäume rund dreimal so schnell wachsen lässt wie etwa in Österreich, steigen auch die finanziellen Erträge, die der Wald bei der regelmäßigen Durchforstung abwirft.
Solch finanzielle Unterstützung ist wichtig, denn Vietnams Fortschritte in der Waldwirtschaft sind bedroht. Die Wälder sind einem enormen Druck von illegalen Einschlägen und zu frühen Ernten ausgesetzt. Vietnams Holzbedarf, etwa für die exportorientierte Möbelindustrie, wird zu 80 Prozent über Importe gedeckt, vor allem aus den Nachbarländern Laos und Kambodscha. Wer der kurvenreichen Straße in Richtung Laos folgt, der sieht an den Rändern immer wieder umgekippte Sattelschlepper liegen, beladen mit dunklen Tropenholzstämmen.
Der vietnamesische Partner Ben Hai hat mittlerweile als bisher einziger der rund einhundert Staatsforstbetriebe des Landes den gesamten Waldbestand nach den Kriterien der internationalen Waldorganisation Forest Stewardship Council (FSC) zertifizieren lassen. Mit diesem Nachhaltigkeitssiegel, das Auflagen etwa zur Artenvielfalt und zu fairen Arbeitsbedingungen beinhaltet, kommt die Firma bei etwaigen Kunden aus Europa gut an. Der schwedische Möbelriese Ikea, erzählt Firmenchef Dong, habe schon eine Charge Gartenmöbel aus Akazienholz zur aktuellen Saison eingekauft.
Kein anderes vietnamesisches Forstunternehmen symbolisiert den Kampf gegen die Degradation der Natur wohl besser als Ben Hai, das den gleichen Namen trägt wie der einstige Grenzfluss Ben Hai River, den Nordvietnams Bäuerinnen und Bauern täglich zum Kampf gegen die USA und zur Rückkehr auf die Felder durchschwammen. Diese Zähigkeit ist gefragt, um auch den letzten Kampf gegen das ökologische Vermächtnis des Krieges irgendwann zu gewinnen.
Oliver Ristau schreibt seit mehr als 15 Jahren über Menschen und Natur, Umwelt, Finanzen und Politik. Der Autor und Politologe ist nach Vietnam ins ehemalige Kriegsgebiet am Ben Hai River gereist, um sich über Wälder und den Aufbruch in eine nachhaltige Forstwirtschaft zu informieren.
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