Wenn es im Verlauf der Geschichte logisch, relevant oder notwendig ist, einen leidenschaftlichen Kuss oder eine nackte Person zu zeigen, dann sollte sich die Frage, ob diese Einstellung zulässig oder zu schneiden ist, gar nicht stellen.“ Mit dieser Erklärung zur Frage der Filmzensur löste der damalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, G.D. Khosla, 1968 einen Aufruhr im indischen Parlament aus. Eine rasch vom staatlichen All India Radio durchgeführte Umfrage ergab, dass 75 Prozent der InderInnen Khoslas Ansicht nicht teilten. Das Life-Magazin nahm die Aufregung zum Anlass für eine Titelgeschichte über „India’s Kissing Crisis“.
Auch bald vier Jahrzehnte später ist diese Krise nicht überwunden. Mutmaßungen über die Gründe dafür gibt es viele, eine schlüssige oder psychologisch stringente Erklärung für die Tabuisierung des Kusses hingegen keine. Aber fest steht: Die Scheren der Zensoren arbeiten äußerst willkürlich und unlogisch. Vulgäre Gesangs- und Tanzsequenzen, aufreizendes Hüftschwingen, pornografische Passagen in einer Reihe südindischer Filme sowie brutalste Gewalt entgehen dem Schnitt. Aber einen Kuss getraut sich fast kein Regisseur überhaupt zu filmen, da er doch nicht an der Zensur vorbei kommen würde. Zudem gelten für Kino und Fernsehen völlig unterschiedliche Kriterien.
Aufgeschlossenere Filmzensoren sind weiterhin in der Minderheit. So legte 2002 ein verärgerter Vijay Anand den Vorsitz bei der Zensurbehörde wieder zurück, den er in der irrigen Hoffnung, Veränderungen bewirken zu können, angenommen hatte. Nachvollziehbar ist die indische Filmzensur bis heute nicht. Sie lässt sich Aroon Purie, dem Chefredakteur des Magazins „India Today“, folgend nur bezeichnen als „eine Heuchelei, die zur Kunstform erhoben worden ist“.