Seit sich Bolivien am 6. August 1825 zur unabhängigen Republik erklärte, hat das Land insgesamt 20 Verfassungsreformen erlebt. Unzählige Male wurden die Verfassungen nach Militärputschen außer Kraft gesetzt.
Der Entwurf zur ersten Verfassung vom November 1826 stammte aus der Feder des Befreiungsheld Simón Bolívar höchstpersönlich und hatte stark präsidentialistische Züge, die, obwohl bereits 1828 und 1831 erstmals modifiziert, bis heute bestimmend blieben. Der Präsident war für Bolívar „die Sonne, … die dem Universum Leben gibt“.
Mit der Revolution von 1952 wurde erstmals das allgemeine Wahlrecht (auch für Frauen, Analphabeten und Arme) eingeführt. Mit der Verfassung von 1994 definierte sich Bolivien schließlich als „frei, unabhängig, multiethnisch und plurikulturell“, doch die indigene Bevölkerungsmehrheit fühlte sich weiterhin ausgegrenzt.
Präsident Evo Morales hat nun kürzlich seine Wunschvorstellung eines Estado Social Comunitario vage skizziert: Separatistischen Autonomievorstellungen der Tieflandeliten („autonomía de las oligarquías“, wie er sagt) stellt er ein kommunitäres Modell der Gemeindedemokratien („autonomía de los pueblos“) entgegen, in dem Amtsinhaber Rücksprache mit der Basis nehmen müssen und einem Rotationsprinzip unterliegen. Die Wirtschaft soll von einem Nebeneinander gemein- und privatwirtschaftlicher Strukturen gekennzeichnet sein, die Erziehung „entkolonisiert“ werden. Seinem Bildungsminister, dem Soziologen Félix Patzi, zufolge soll es darum gehen „die sozialen Techniken und das Wissen der indigenen Völker in die Modernität zu projizieren“. Auf die konkrete Umsetzung dieser Utopie darf man gespannt sein.