Aus alt mach edel

Von Martina Weinbacher · · 2011/12

Direktes Recyceln boomt in Österreich. Immer mehr DesignerInnen nehmen sich der kreativen Müllverwertung an.

Es ist so weit: Der Lieblingspulli hat ein drittes Loch. Dieses lässt sich, ob mit Gürtel oder Tuch, nun wirklich nicht mehr verstecken. Wohl oder übel wird das Kleidungsstück in den Mistkübel wandern … wäre da nicht ein neuer Trend namens Upcycling oder auch Redesigning.

Redesigning bedeutet, aus Altem Neues zu machen. Scheinbar Wertlosem und Unbrauchbarem wird durch Umgestaltung neuer Wert verliehen. Wenn beim kreativen Schaffensprozess zudem ein höherwertiges Produkt als der Ausgangsgegenstand entsteht, spricht man von Upcycling. Durch den Umgestaltungsprozess wird Müll vermieden. Das ist, schaut man sich aktuelle Abfallstatistiken an, dringend nötig. In Österreich werden derzeit pro Jahr rund 54 Millionen Tonnen Abfall erzeugt. Das Abfallvolumen ist hierzulande in den letzten fünf Jahren um rund 14 Prozent gestiegen, belegt der Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2011.

Die Zahlen sprechen für sich: Durch neue Recycling-Lösungen kann jeder und jede einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisten. Das beweisen zahlreiche österreichische Initiativen, die das Potenzial der Wiederverwertung und Weiterverwendung von Altmaterialien bereits erkannt haben.

Eine davon ist das Modelabel Fr. Jona&son von Sonja Wöhrenschimmel. Aus alten Seidenkleidern und anderen hochwertigen Stoffen gestaltet Wöhrenschimmel „EcoDesign de luxe“ in den schillerndsten Farben, dem man seine lange Geschichte nicht anzusehen vermag. Ihr Wissen gibt die Designerin auch in Redesign-Workshops weiter. „Ich sehe in dem, was andere weggeben, ein Potenzial, das man nützen und veredeln kann“, sagt die Designerin und Mitorganisatorin der Wear Fair 2011, Österreichs Messe für ökologische und sozial faire Mode. Neben dem Spaß am Recycling sei ihre Arbeit vor allem auch Ausdruck der Kritik am maßlosen Konsum der Gesellschaft, so Wöhrenschimmel.

Dass weniger mehr sein kann, das sieht auch Moriz Piffl so. Gemeinsam mit Michael Lanner betreibt er das Modelabel Gebrüder Stitch. In ihrem Wiener „Hosenlabor“ bieten die Gebrüder neben der Herstellung von maßgefertigten Jeans aus Bio-Baumwolle auch Näh-Workshops an. Bei diesen würden nicht selten alte Kleidungsstücke zu neuen Klamotten gemacht, sagt Moriz Piffl: „In punkto Nachhaltigkeit ist Upcycling ganz klar die Königsdisziplin. Die gefertigten Dinge haben das gewisse Etwas, weil sie eine Geschichte erzählen.“ Außerdem entstünde beim selber Produzieren ein Mehrwert, weil man die Arbeit, die hinter einem Kleidungsstück steckt, zu schätzen lerne, so Piffl.

Dass nicht nur Kleidung durch neue Gestaltung wiederverwertet werden kann, beweist die Trash Design Manufaktur Wien (TDM), die Teil des Demontage- und Recycling-Zentrums (DRZ) ist, eines sozialökonomischen Betriebs der Wiener Volkshochschule. Etwa 75 Tonnen Altmaterial werden in der TDM jährlich zu Schmuck, Möbelstücken, Accessoires und mehr verarbeitet. Soziales Ziel ist die Reintegration von Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Behinderungen. Verkauft werden die Designobjekte im hauseigenen Shop, in ausgewählten Galerien und im Design Shop des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK). Auch am weihnachtlichen Kunsthandwerksmarkt am Karlsplatz ist die TDM mit einem Stand vertreten. Für SchülerInnen- und StudentInnengruppen bietet die Sozialeinrichtung zusätzlich Führungen an. „Es ist uns wichtig, dass junge Leute kommen und Ideenreichtum, Kreativität und Liebe zum Thema entwickeln. Denn mit kreativer Müllverwertung ist man auf der richtigen Schiene unterwegs“, ist sich DRZ-Projektleiter Anton Stengeli sicher.

Die Wiener Bikekitchen, ein Verein zur Förderung der Fahrradkultur, nimmt Upcycling wortwörtlich. Wer möchte, kann sich in den Räumlichkeiten des Kollektivs aus gebrauchten Ersatzteilen und alten Rädern Hochräder, Einräder und vieles mehr selber konstruieren. Die Vorteile des Recycelns erkennen Bikekitchen-Mitglieder nicht nur in der oftmals besseren Qualität alter Rahmen: „Es geht auch um Eigenermächtigung und um das Widersetzen gegen das Diktat des Kaufzwangs“, sagt Alex, ein Mitglied der Bikekitchen. Außerdem diene der Verein als Schnittstelle zwischen Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, ergänzt der Fahrradbastler.

Eine andere Form des direkten Recycelns wird derzeit in einem bis vor kurzem besetzten Haus im siebten Wiener Gemeindebezirk praktiziert. Dort schenkte man gar einem ganzen Gebäude, das dem Abriss gewidmet ist, neuen Wert. Im Epizentrum, so der Name des besetzten Hauses, gab es neben dem Kost-Nix-Laden ein Café, Räume für Kunst- und Kulturschaffende, Kurse, Theatervorführungen und vieles mehr. „Mit der Besetzung wollen wir auf die vielen leer stehenden Gebäude einerseits und den Mangel an Wohnraum andererseits hinweisen“, meinte eine der Besetzerinnen. Neben den Räumlichkeiten wurde auch das Essen wiederverwertet. Denn die Hausbesetzer ernährten sich hauptsächlich von „gedumpsterten“ Lebensmitteln, also Essen, das sie in der Regel in Müllcontainern von Supermärkten finden.

Eine andere Art der Lebensmittel-Verwertung betreibt die Wiener Tafel seit zwölf Jahren. Der Verein für sozialen Transfer versorgt über 10.000 armutsbetroffene Menschen in 80 Sozialeinrichtungen in Wien mit Lebensmitteln, die nicht mehr für den Verkauf bestimmt sind und vernichtet würden. „Die Wiener Tafel stellt eine Brücke zwischen Überfluss- und Bedarfsgesellschaft dar. Sie bietet mit ihrer Transferarbeit effiziente und einfach verständliche Lösungen für hochkomplexe Probleme“, erklärt die Geschäftsführerin Ulli Schmidt. Bei den erwähnten Projekten handelt es sich nur um einige Beispiele unter den unzähligen Upcycling- und Redesign-Projekten in Österreich.

Der alte Pulli wird jedenfalls nicht weggeworfen. Aus der Not wird eine Tugend gemacht: Aus dem alten Kleidungsstück entsteht eine Tasche. Die wird dann beim Redesign-Wettbewerb „Plastiksackerl – Nein danke!“ der Umweltberatungsstelle teilnehmen, der noch bis 15. Jänner läuft. Und mit etwas Glück gewinnt man eine Uhr der Trash Design Manufaktur.

Martina Weinbacher hat Wirtschaftswissenschaften studiert und sich auf die Themen nachhaltige Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit spezialisiert. Sie arbeitet und lebt als freie Journalistin in Wien.

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