Bereits ein Viertel der 240 Millionen EinwohnerInnen Indonesiens sind online. Bei der Zahl der Facebook-NutzerInnen liegt das Inselreich bereits an zweiter Stelle nach den USA. Über das Netzwerk wird auch ziviler Ungehorsam organisiert. Und zwar durchaus erfolgreich.
Ohne das Internet hätte die Öffentlichkeit die Szenen wohl nie zu Gesicht bekommen. Mit Handy-Kameras war es gefilmt worden, das brutale Foltern von Zivilisten aus Papua durch indonesische Militärs. Mehrere dieser Aufnahmen fanden über Youtube in den vergangenen Monaten ihren Weg in die Welt und sorgten für Protest. Die indonesische Regierung, die internationalen JournalistInnen seit Jahren die Einreise in die Unruheregion verwehrt, war gezwungen, Stellung zu beziehen und kündigte Untersuchungen zu den Vorfällen an.
Das Internet hat in Indonesien in den letzten Jahren einen beispiellosen Siegeszug angetreten. 1999 waren gerade einmal eine Million IndonesierInnen online, inzwischen nutzen mehr als 40 Millionen der 240 Millionen EinwohnerInnen das Netz. MedienexpertInnen rechnen damit, dass ihre Zahl in drei Jahren bereits 100 Millionen betragen wird. Dank sinkender Internetkosten und einer Schwemme von zunehmend preiswerten Smartphones gehen die Menschen in Scharen online.
Vor allem Facebook erfreut sich unter Indonesiens Internet-Community enormer Nachfrage. „Bist bei Facebook?“ ist nach „Bist du schon verheiratet?“ definitiv eine der häufigsten Fragen, die einem neue Bekannte in Indonesien stellen. Zumindest jene in den größeren Städten, wo die Unterhaltung mit dem Smartphone dem Badminton zunehmend den Rang als beliebteste Sportart abläuft. Inzwischen liegt die Zahl der indonesischen Facebook-NutzerInnen bei 32 Millionen und damit weltweit an zweiter Stelle nach den USA. Pro Woche kommen derzeit etwa 350.000 Nutzer dazu.
Die Freude am Social Networking via Internet hat auch kulturelle Ursachen. „Freundschaft und ein soziales Netz sind für uns Indonesier enorm wichtig, wir glauben, dass wir das so lange und gut wie möglich erhalten müssen“, sagt Hermin Indah Wahyuni, Medienwissenschaftlerin an der Gadjah Mada Universität in Yogyakarta. „Da kommen die neuen Medien wie gerufen.“
Die Journalistin Linda Christanty erkennt augenzwinkernd noch einen Vorteil des Online-Daseins: Die urbane Elite stehe in Metropolen wie Jakarta viel im Stau. Freunde zu treffen sei so zeitaufwändig, dass man dankbar auf den virtuellen Plausch umsteige. Dabei geht es viel um Klatsch und Tratsch, aber gezielt dient das Netz seinen NutzerInnen auch als Medium, um über Politik zu diskutieren und gesellschaftliche Missstände aufzudecken.
Nach dem Sturz von Diktator Suharto 1998 konnte sich in Indonesien eine freie Medienwelt entwickeln, die in Südostasien ihresgleichen sucht. Zwar nutzten Menschenrechtler und kritische Journalistinnen das Internet auch schon während der Suharto-Zeit. Aber erstens erreichten oppositionelle Kräfte damals mit ihren Mailinglisten nur einen winzigen Teil der Bevölkerung, und zweitens war es wegen der allgegenwärtigen Überwachung durch Militär und Geheimdienst undenkbar, DemonstrantInnen via Internet zu mobilisieren. „Hätten wir Ort und Zeit ins Netz geschrieben, wären die Sicherheitskräfte bereits vor uns am Ort des Geschehens gewesen“ erinnert sich Linda Christanty, die in den 1990er Jahren für die unter Suharto verbotene Partei PRD aktiv war. Anders heute: Bei Facebook wird über Korruptionsfälle debattiert, wird offen Kritik artikuliert und es wird ziviler Ungehorsam organisiert.
Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass Bibit Samad Rianto und Chandra M. Hamzah, die Vize-Chefs der beim Volk äußerst beliebten Anti-Korruptionsbehörde (KPK), unter fadenscheinigen Vorwürfen des Amtes enthoben und sogar vor Gericht gestellt werden sollten, formierte sich eine Massenbewegung, die unter dem Namen Gecko vs. Krokodil bekannt wurde. Der Gecko stand für das kleine, schwache Tier, das aber dennoch, in Massen auftretend, das Krokodil herausfordern konnte. Jenes stand stellvertretend für die als notorisch korrupt bekannte Polizei. Deren damaliger Chefermittler, Susno Duadji, gegen den die KPK wegen Korruption ermittelte, hatte diesen Vergleich selbst herausgefordert, als er in einem Interview die KPK abfällig als „Gecko“ bezeichnete, vor dem er sich nicht fürchte.
So viel Arroganz war dem Volk zu viel. Wie schnell Geckos sein können und wie taktisch sie agieren, zeigte der Sturm der Entrüstung, der sich in den Folgewochen zunächst im Internet Bahn brach. Eine Facebook-Seite zur Unterstützung der beiden KPKler brachte es auf mehr als eine Million AnhängerInnen. Die in der virtuellen Welt gesammelten Kräfte trugen ihren Protest auf die Straße, monatelang wurde demonstriert, Solidaritätskonzerte wurden organisiert, Straßentheater inszeniert. Die Schikanen, denen IndonesierInnen oft im Alltag durch korrupte Beamte ausgesetzt sind, mögen ihren Teil zur Mobilisierung beigetragen haben. Am Ende siegten die „Geckos“ und eines der „Krokodile“ war seinen Job los: Polizei-Chefermittler Susno musste zurücktreten. Bibit und Chandra von der KPK wurden rehabilitiert.
Ähnlich erfolgreich verlief eine andere Bewegung, bei der das Internet entscheidende Mobilisierungshilfe gewährte. Die Hausfrau und zweifache Mutter Prita Mulyasari wurde vom Justizopfer zur Heldin dieser Bewegung. Prita hatte in einem Mail an Freunde über die schlechte Behandlung in einem Krankenhaus geklagt, worauf dessen Betreiber sie wegen Verleumdung verklagte. Zunächst bekam er Recht, Prita verbrachte gar 21 Tage im Gefängnis. Erneut identifizierten sich Hunderttausende von Internet-NutzerInnen mit diesem „David gegen Goliath“-Kampf. Ihre Empörung erreichte auch die wahlkämpfenden Politiker, die sich nun in ihrer Unterstützung für Prita überboten – das strafrechtliche Verfahren wurde eingestellt. Einen historischen Wendepunkt im Konsumentenbewusstsein nannte die „Jakarta Post“ diesen Erfolg. „In einem Land, wo Konsumentenrechte an letzter Stelle stehen und Großunternehmer mit ihrer Wirtschaftsmacht ähnliche Straflosigkeit genießen wie die Generäle der Suharto-Ära, ist der öffentliche Aufschrei, der zu Pritas Freilassung führte, ein ermutigendes Zeichen“, so das Blatt.
Für die Journalistin Linda Christanty zeigen diese Fälle, wie sich eine kritische Masse mobilisieren lässt, so bald sie ausreichend Informationen erhält. „Heutzutage können sich die Menschen schnell und aus verschiedenen Quellen informieren und ihre Informationen weiter geben“, so Christanty. „Wenn Menschen das Gefühl haben, sie sind informiert und durchblicken einen Sachverhalt, dann nehmen sie auch aktiv teil am politischen Leben.“
Aber der politische Wind weht weniger in Richtung Aufklärung. Indonesiens Kommunikationsminister, Tifatul Sembiring, ist zwar selbst ein eifriger Twitterer, seine Agenda zeugt aber vor allem davon, dass er ein führender Kader der konservativ-islamischen Partei PKS ist. Diese hatte im Jahr 2008 ein umstrittenes Anti-Pornographie-Gesetz im Parlament durchgeboxt. Im vergangenen Jahr ließ der Minister zahlreiche Internet-Seiten mit angeblich pornographischen Inhalten sperren. Auch blasphemische Inhalte sind Tifatul ein Dorn im Auge. Wiederholt zog er in der jüngsten Vergangenheit den Zorn seiner Landsleute auf sich, da er verheerende Naturkatastrophen als Strafe Gottes für Dekadenz und Sittenverfall bezeichnete.
Wie dehnbar der Begriff Pornographie im politisch zunehmend vom konservativen Lager beeinflussten Indonesien ist, zeigte sich im vergangenen August, als der Ex-Chefredakteur der indonesischen Ausgabe des Playboy eine zweijährige Haftstrafe wegen Sittlichkeitsvergehen antreten musste – obwohl das Magazin keine einzige Nacktaufnahme enthalten hatte. Zahlreiche Blogger und Journalistinnen befürchten daher, dass über den Umweg Internet künftig auch Presseinhalte zensiert werden können.
Zumal weitere Gesetze inzwischen die verfassungsmäßig garantierte Meinungsfreiheit einschränken, zum Beispiel das Gesetz zu Information und Elektronischer Datenübertragung aus dem Jahr 2008. Mit dessen Passus zu Verleumdung wurde z.B. Prita Mulyasari (siehe oben) hinter Gitter gebracht.
Ein Eigentor schoss sich der Kommunikationsminister kürzlich nach dem Besuch von US-Präsident Barack Obama. Tifatul Sembiring hatte per Twitter seinem Bedauern Ausdruck verliehen, dass er beim Staatsempfang die Hände von Michelle Obama schütteln musste, obwohl sein Glaube ihm das Berühren von nicht mit ihm verwandten Frauen verbiete. Michelle Obama habe ihm ihre Hände so weit entgegen gestreckt, dass eine Berührung unvermeidbar gewesen sei, twitterte Tifatul. Die Aufnahmen von Tifatul, wie er Michelle Obama freudig beide Hände zum Gruß reichte, konnte jeder Interessierte verfolgen. Dank WorldWideWeb.
Anett Keller lebt als freie Journalistin in Indonesien. Sie hat in Leipzig und Yogyakarta Journalismus, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert.
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