Der Ausverkauf der digitalen Öffentlichkeit

Von Christine Tragler, Richard Solder · · 2024/Mai-Jun
Illustration mit der Botschaft
© Thomas Kussin

Regierungen haben die Kontrolle über Technologien und soziale Medienkanäle verloren – mit drastischen Folgen für die Demokratie. Politologin Barbara Prainsack und Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell nehmen im Interview die Politik in die Pflicht zu handeln.

Viel wird darüber gesprochen und diskutiert: Wie gefährdet ist die Demokratie global gesehen aktuell?

Barbara Prainsack: Weltweit leben heute viel weniger Menschen in Demokratien als noch vor zehn Jahren. 71 Prozent der Weltbevölkerung leben nicht in Demokratien. Zudem ist die Qualität der Demokratien in den meisten Ländern stark gesunken.

Auch Österreich wurde im jährlichen Demokratiereport der Universität Göteborg 2022 zurückgestuft und ist offiziell keine liberale Demokratie mehr, sondern nur noch eine Wahldemokratie.

Das bedeutet, dass Bürger:innen wählen können, die optimalen Bedingungen für eine Demokratie aber nicht mehr gegeben sind.

Prainsack: Genau. Die Parameter, die sich laut internationaler Studien am meisten verschlechtert haben, sind die Repression zivilgesellschaftlicher Organisationen und das Zurückdrängen der Medienfreiheit.
Fritz Hausjell: Von einer rückläufigen Entwicklung der Pressefreiheit hierzulande gehen auch die jährlichen Bestandsaufnahmen von Reporter ohne Grenzen aus. Insgesamt ist es zu einem enormen Strukturwandel der medial vermittelten Öffentlichkeit gekommen. Soll heißen: Wir haben eine starke Gefährdung und Schwächung der bisherigen klassischen journalistischen Medien.

Inwiefern steckt die Demokratie in Österreich u. a. dadurch in der Krise?

Prainsack: In Österreich würde ich in erster Linie von einer Krise des Regierens sprechen, aber noch nicht wirklich von einer Krise in der Demokratie. Es ist nicht so, dass die Menschen massenweise das Vertrauen in die Demokratie verlieren würden. Viele sind mit der Regierungspolitik unzufrieden – und sogar mit der Form des Regierens. Dass die Bevölkerung nicht unpolitischer geworden ist, sieht man auch in unterschiedlichsten Äußerungen zu politischen Themen, in Demonstrationen, aber auch im zivilgesellschaftlichen Engagement.

Die Medienkrise verändert die heimische Medienlandschaft – mit welchen Folgen?

Hausjell: Was in Österreich ganz dramatisch ablesbar ist: dass alleine im Bereich der Printmedien innerhalb der vergangenen 15 Jahre ein Drittel der Arbeitsplätze verloren gegangen ist. Gleichzeitig gibt es von Seiten der Medienpolitik viel zu wenig Initiativen dazu, um der verringerten Vielfalt in diesem Bereich etwas entgegenzuhalten.
Die vergangenen Regierungen haben diese Schwächung schamlos zum eigenen Vorteil genutzt, um die Selbstdarstellung ihrer Regierungsarbeit zu optimieren – Stichwort Inseratenkorruption.
Gäbe es ein Interesse daran, die journalistischen Medien als ein wesentliches Element einer liberalen Demokratie zu stärken, dann hätte man schon viel früher in Medienkompetenz investieren müssen. Die Bürger:innen müssen wissen, dass es einen Unterschied macht, ob sie sich Informationen aus nicht gesicherten Quellen oder aus Fakten geprüften Medien holen, die auch meist etwas kosten.

Redaktionen unter Druck

Österreich erlebt eine Medienkrise: In den vergangenen Monaten mussten verschiedene Medienhäuser massive Sparpakete schnüren und Stellen für Journalist:innen abbauen. Produktionskosten sind aufgrund der Inflation massiv gestiegen. Zudem fließen Werbegelder immer mehr zu den Angeboten internationaler Techfirmen ab. Viele Medienkonsument:innen nutzen nur noch Gratisangebote – doch Journalismus kostet Geld.
Während die Krise kleine wie große trifft, haben unabhängige Medien ohne Konzerne im Hintergrund weniger Spielraum. Eine von der schwarz-grünen Bundesregierung umgesetzte neue Medienförderung zementierte diese Ungleichheit ein. Die Vergabe von Werbeinseraten der öffentlichen Hand in Österreich wird von Expert:innen weiterhin als politisch beeinflusst und unverhältnismäßig kritisiert. sol

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Manche Menschen sind in Parallelmedienwelten abgedriftet, die von Falschmeldungen geflutet werden. Wie kann man sie noch erreichen?

Hausjell: Die politischen Parteien nutzen die modernen Medienkanäle, um ihre Sicht auf die Welt zu verbreiten. Wir haben das Phänomen der neuen, digitalen Parteimedien. Das ist ein Bereich, wo wir bis jetzt weder auf europäischer Ebene noch auf nationalstaatlicher Ebene in Österreich Gegenbewegungen geschaffen haben. Wir befinden uns da in einer sehr gefährlichen Situation.

Faktentreue spielt auf Social Media-Plattformen eher eine untergeordnete Rolle. Was bedeutet es für das demokratische Zusammenleben, wenn es keinen gesellschaftlichen Konsens über Faktenwissen mehr gibt?

Prainsack: Es ist wichtig, die Vergangenheit nicht zu idealisieren: So etwas wie Fake News und Filterbubbles gab es auch in der analogen Welt. Was sich verändert hat, ist, nach welchen Prinzipien die öffentlichen Räume funktionieren. Für den deutschen Soziologen Jürgen Habermas symbolisiert das Kaffeehaus die öffentliche Sphäre der Vergangenheit. Leider war auch das Kaffeehaus ein Ort von Rassismus, Sexismus und Übergriffigkeiten.
Aber: diese öffentlichen Räume waren sehr häufig Orte, an denen unterschiedliche Leute zusammenkamen und in denen man sich auch zusammengerauft hat. Anders auf den digitalen Plattformen, den öffentlichen Räumen der Gegenwart: Hier priorisieren die Algorithmen aus kommerziellen Gründen jene Inhalte, die polarisieren. Wie die US-amerikanische Informatikerin Frances Haugen aufgezeigt hat, geht man im Schutz der Nutzer:innen immer wieder Kompromisse ein, weil der Profit eben wichtiger ist.

Warum verfügen wir nicht über stärkere demokratische Kontrolle über diese öffentlichen Räume?

Prainsack: Das ist das Grundproblem: Wir haben zunehmend Staaten, die zur Erfüllung öffentlicher Funktionen Technologien verwenden, die ihnen nicht nur nicht gehören, sondern die sie auch nicht verstehen. Wir haben die demokratische Kontrolle über diese Räume und über diese Technologien verloren.
Aber: Solange die Eigentumsverhältnisse sich hier nicht verändern, solange diese digitalen Plattformen und die öffentlichen Räume Profitinteressen dienen, wird sich daran nichts ändern. Firmen werden selbstverständlich weiterhin ökonomischen Interessen folgen.
Mehr Content Management und bessere Gesetze gegen Hass im Netz sind hier nur Symptombekämpfung. Stattdessen braucht es ein neues Demokratieverständnis, das kollektive Verantwortung und Kontrolle darüber, wie Daten in unserer Gesellschaft genutzt werden, miteinschließen muss.
Hausjell: Die Erfahrungen im 19. und 20. Jahrhundert hätten uns eines Besseren belehren sollen. Im Faschismus hat man gesehen, wie machtvoll Medien gegen die Interessen der Bevölkerung eingesetzt worden sind. Nach dem Holocaust war die Lehre daraus die Entwicklung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems.
Ende der 1990er haben wir noch in der Illusion gelebt, dass das Internet die Gesellschaft weiter demokratisieren würde. Inzwischen wird der Medienmarkt von zwei großen Ländern, USA und China, dominiert – mit klaren Monopolisierungstendenzen. Für eine möglichst vielfältige Öffentlichkeit braucht es aber auch im Medienbereich eine Vielzahl an Anbieter:innen, wo unterschiedliche Ideen, Gedanken und Meinungen miteinander konkurrieren.
Prainsack: Studien zeigen, dass manche Menschen beispielsweise Whatsapp nutzen, weil es die einzige vorgegebene Möglichkeit ist, mit der Schule zu kommunizieren. Es ist nicht so, dass alle Menschen gerne dazu bereit sind, Teile ihrer Privatsphäre aufzugeben, weil sie dafür kostenlos Komfort und bessere Vernetzung mit anderen Menschen bekämen, sondern sie resignieren, weil sie keine realistischen Alternativen haben. Gegenüber den als übermächtig wahrgenommenen Firmen und Organisationen sehen sie keine Chance auf Durchsetzung ihrer Rechte.

45 Jahre Blick auf den Globalen Süden

Die Kurd:innen als verfolgte Minderheit, die politischen Entwicklung in Nicaragua und die globale Entwicklung von Wissenschaft und Technologie: Das waren die Themen der Ausgabe 1/79 der Entwicklungspolitischen Nachrichten, wie das Südwind-Magazin zum Start 1979 noch benannt war. Mittlerweile verfügt die Redaktion über ein nachhaltig gedrucktes Printprodukt, ein E-Paper, ein monatliches Extrablatt per E-Mail und regelmäßige Newsletter. Der Fokus bleibt immer der gleiche: Informationen über den Globalen Süden sowie globale Zusammenhänge. Denn diese sind nicht vernachlässigbar. Das gilt 2024 vielleicht noch mehr als 1979. sol

Seit Jahren heißt es immer wieder, dass man Medienkompetenz vermitteln muss. Wo müsste man konkret ansetzen?

Hausjell: Die Entwicklung ist zu dynamisch, als dass wir uns ausschließlich auf das Bildungssystem beschränken dürfen. Vielmehr ist es ein Gebot der Stunde, dass die Medien selbst die Vermittlung von Medienkompetenz in die Hand nehmen. Viele wissen nicht, wie Journalismus funktioniert. Eine Medienkompetenz-Berichterstattung im Journalismus sollte auch medienpolitisch gefördert werden. Statt die Redaktionen weiter auszudünnen, müssten mehr personelle Ressourcen geschaffen werden.
Prainsack: Natürlich müssen wir die Digital Literacy und den kritischen Umgang mit Sozialen Medien erhöhen. Aber gleichzeitig zeigen US-amerikanische Studien, dass viele junge Menschen nur in den Sozialen Medien sind, weil sie dort gefangen sind. Was heißt das? Sie sagen: Alle anderen aus meiner Schule sind dort. Und wenn man sie fragt: Was wäre, wenn die ganze Schule aus den Sozialen Medien rausgehen würde? Dafür würden einige sogar bezahlen, um nicht mehr mitmachen zu müssen. Soziale Medien bedeuten für sie Stress, schließlich werden sie ständig beobachtet. Wenn man postet, wird man kritisiert. Wenn man nichts postet, ebenfalls. Also: die Tatsache, dass bestimmte Plattformen und Technologien genutzt werden, bedeutet nicht, dass die Menschen es super finden.
Es gibt viele digitale Praktiken, von denen wir wissen, dass sie Schäden verursachen, psychologische und emotionale, aber auch finanzielle Schäden. Und wir lassen das trotzdem zu, weil irgendjemand damit – verkürzt gesagt – Geld macht. Die Eigenverantwortung allein kann dieses Problem nicht lösen. Es ist ein strukturelles Problem und dafür braucht es strukturelle Lösungen.

Wie könnten die aussehen?

Hausjell: Wir sollten in Europa Kanäle aufbauen, bei denen ausschließlich journalistisch geprüfter Content verbreitet wird. Mit den technologischen Möglichkeiten und einer Übersetzungssoftware könnten wir eine journalistische Ausspielplattform aller europäischen qualitätsorientierten Medien – großer wie kleiner – schaffen. Mit einer Kofinanzierung der jeweiligen Länder könnte jede:r Bürger:in in Europa so an den Diskursen zu unterschiedlichen Themen teilhaben.
Prainsack: Es gibt Versuche in diese Richtung, etwa das Council for European Public Space, einen nach demokratischen Regeln aufgebauten öffentlichen Raum.
Hausjell: Es gibt auch das 2021 initiierte Manifest für ein öffentlich-rechtliches Internet, unterzeichnet von zirka 1.000 Wissenschaftler:innen.

Interview: Christine Tragler, Richard Solder

Porträt von Barbara Prainsack
© Johanna Schwaiger

Barbara Prainsack ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, davor lehrte sie am King’s College London. Sie berät u. a. die Europäische Kommission zur Ethik neuer Technologien.

Porträt von Fritz Hausjell
© Miel Satrapa

Fritz Hausjell ist stellvertretender Institutsvorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Univer-sität Wien und seit 2022 Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich.

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