Vor zwei Jahren wurde in Guatemala der Sohn des renommierten Menschenrechtsaktivisten Amílcar Méndez ermordet – wir berichteten ausführlich darüber (SWM 11/07). Das Verbrechen ist bis heute nicht aufgeklärt.
Amílcar Méndez versucht, die Hintergründe eines Verbrechens aufzuklären. Am 17. August 2007 wurde sein Sohn Pepe ermordet – eines der vielen Opfer des organisierten Verbrechens in Guatemala.
In Guatemala wurden in diesem Jahr jeden Tag durchschnittlich 17 Menschen ermordet. Ein großer Teil dieser Gewalt steht im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen. Viele Täter werden von korrupten Regierungsangehörigen oder Mitarbeitern des Justizapparats geschützt. Pepes ältere Schwester Rocio ist eine reservierte junge Frau. „Es war eine schwere Zeit für uns. Sie haben uns einen geliebten Menschen genommen, skrupellos und ohne Strafe. Wir wissen natürlich, dass auch unsere Leben in Gefahr sind, solange wir Gerechtigkeit verlangen.“
Keine zweihundert Meter vom Tatort entfernt liegt das Hauptgebäude des internationalen Flughafens von Guatemala-Stadt. Arbeitskollegen von Pepe berichteten, kurz vor seinem Tod habe der damalige Generaldirektor des Flughafens persönlich versucht, ihn zu entlassen. Pepe hatte auf Grund von technischen Kriterien eine nächtliche Starterlaubnis verweigert. Es stellte sich heraus, dass das Flugzeug Eigentum eines persönlichen Freundes des Flughafendirektors war. Der Flieger konnte dennoch starten, mitten in der Nacht, ohne die Erlaubnis aus dem Kontrollturm und ohne die vorgeschriebene Frachtüberprüfung. Wenig später war Pepe Méndez tot.
Der ehemalige Direktor des Flughafens, Manuel Moreno Botrán, ist Mitglied einer der reichsten und mächtigsten Familien des Landes. Mehrere Personen in seinem Umfeld werden verdächtigt, mit kolumbianischen Drogenkartellen in Verbindung zu stehen. Sein persönlicher Anwalt wurde vor wenigen Monaten von einem Killerkommando hingerichtet. Die Polizei geht von einem Streit zwischen Drogenbanden aus. Über Pepes damaligen direkten Vorgesetzten gibt es stapelweise Akten, die ihn mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung bringen. Das weiß auch der neue Flughafendirektor. „Dieser Mann arbeitet nicht mehr hier. Als ich gekommen bin, habe ich ihn entlassen, weil er unter Verdacht steht.“
Viele Details über illegale Aktivitäten auf dem Flughafen sind bekannt, ohne dass jemand etwas unternimmt. Zu einer unabhängigen Untersuchung kommt es nahezu nie. Der neue Flughafendirektor behauptet, er wolle das ändern.
Wer in Guatemala versucht, etwas gegen das organisierte Verbrechen zu unternehmen, lebt in Angst. Auch die Familie von Pepe. Seine kleine Schwester Ana María wurde kürzlich am Telefon bedroht: „Sie fragten nach meinem Vater. Ich habe gesagt, dass ich seine Tochter bin. Daraufhin haben sie mich angeschrien. Sie sagten mir, sie seien vor unserem Haus. ‚Gleich wird es klingeln. Wir sind bewaffnet und wollen deinen Vater.‘ Ich habe aufgelegt. Sie haben immer wieder angerufen. Fünf Minuten später haben sie heftig gegen die Haustür getreten. Ich habe die Polizei gerufen, aber niemand ist gekommen.“
Die Polizei in Guatemala ist unterbesetzt und miserabel ausgestattet. Die Staatsanwaltschaft auch. Zudem befolgen viele Staatsanwälte die Regeln der unantastbaren Mitglieder der einflussreichen Oberschicht Guatemalas. Der bis vor kurzem für den Mord an Pepe zuständige Ermittler der Staatsanwaltschaft, Héctor Canastuj, hat sich immer geweigert, den ehemaligen Direktor des Flughafens oder seine engsten Vertrauten auch nur zu einem Gespräch vorzuladen.
Guatemala gilt als Durchgangsstation für Kokain aus Kolumbien, das vor allem nach Nordamerika transportiert wird. Im Fall von Pepe gibt es zahlreiche Hinweise, die in Richtung Kokainmafia deuten. Doch Héctor Canastuj zog es immer vor, diese Spuren zu ignorieren. Amílcar Méndez ist frustriert: „Sie haben überhaupt nichts gemacht, um die Hintermänner des Mordes an meinem Sohn zu identifizieren, diejenigen, die den Auftrag gegeben und bezahlt haben.“
Dabei könnte er eigentlich stolz auf das Erreichte sein. Mit seiner Hartnäckigkeit ist es so weit gekommen, dass der Tatverdächtige Omar Gudiel als Mörder verurteilt wurde. Dazu kommt es in Guatemala in weniger als einem von hundert Mordfällen. Die Schwester des Opfers, Rocio, ist sich sicher, dass der junge Mann einen Auftrag ausgeführt hat: „Es ist offensichtlich, dass er von einflussreichen Leuten finanziell unterstützt wird.“
Nicht ein einziger wichtiger Boss der Drogenkartelle sitzt in Guatemala im Gefängnis. Einige ihrer Namen sind bekannt und werden sogar in Medienberichten genannt. Diese Personen pflegen beste Beziehungen zur Polizei, zum Justizapparat und zur Regierung. Sie bleiben straflos, egal wie viele Morde sie in Auftrag geben.
Die Verurteilung von Omar Gudiel wurde kürzlich von einem Berufungsgericht aufgehoben; der Prozess muss nun wiederholt werden.
Der deutsche Journalist und Buchautor Andreas Boueke lebt seit über 15 Jahren als freier Journalist in Guatemala.