Feministische Online-Kampagnen und hindufundamentalistische Politik wetteifern in der Frage, wie viele Wege es gibt, „indisch“ zu sein. Ausgerechnet Unterwäsche schafft via Facebook Bewusstsein.
Die Kampagne „Pink Chaddi“ – „rosa Unterwäsche“ – öffnete ein Ventil des wachsenden Unmuts über die „Sri Ram Sene“ (SRS), eine aggressive hindunationalistische Splittergruppe. Im indischen Bangalore und Mangalore wurden indische Frauen für das Tragen von Jeans oder Miniröcken beim Ausgehen verprügelt und Zwangsverheiratungen an Händchen haltenden Pärchen durchgeführt. Die selbst ernannten Sittenwächter sorgten u.a. in den Bundesstaaten Karnataka, Madhya Pradesh, Haryana und Jharkhand für Schlagzeilen. Lal K. Advani, der Chef der hindunationalistischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP), schwieg zur SRS und bestätigte deren Handlungen damit indirekt.
Inmitten dieser aufgeheizten Stimmung gründete die in Delhi wohnhafte Journalistin Nisha Susan die Facebookgruppe „Consortium of Pub-going, Loose and Forward Women“ – „Konsortium der Kneipen besuchenden, lotterhaften und vorwärtsgerichteten Frauen“. Mit frechem feministischem Charme antwortet sie auf die Gewalt. Dabei ging es nie um das Recht der „Kneipen besuchenden“ Frauen, sich zu betrinken. Es ging um Grundrechte, die bereits mehrere Jahre lang durch rechtskonservative Parteien und Organisationen wie die BJP, Rashtriya Swayamsevak Sangh und Vishva Hindu Parishad verletzt wurden. Nach einem Tag wurden zur großen Überraschung 500, nach einer Woche 40.000 Mitglieder verzeichnet – darunter auch viele im Ausland lebende InderInnen und internationale UnterstützerInnen. Der Aufruf an die Gruppe lautete, die Zentrale der SRS per Post mit rosa Unterwäsche zu überfluten. Eine „Umkehr der Scham“ fand statt – nicht indische Frauen sollten sich dafür schämen, dass sie etwa keinen Sari trugen, sondern die hindufundamentalistischen Männer, die jene Frauen dafür verprügelten. Diese Argumentation in Kombination mit dem provokativen Symbol Unterwäsche war medientauglich genug, um im Handumdrehen einen Schneeballeffekt auszulösen.
Eine Unterhosenlawine erreichte die SRS – gut 5.000 Chaddis wurden verschickt. Die Facebookgruppe wuchs auf fast 60.000 Mitglieder an, internationale Print- und TV-Berichterstattung sowie Solidaritätsbekundungen fanden statt, mehr als 270 Blogs nahmen das Thema auf, Fotos und Erfahrungsberichte von Übergriffen wurden verfasst, mehr als 6.750 Postings gab es allein in der Facebookgruppe.
Die SRS drohte mehrfach, Pink Chaddi zu verklagen. Auf Facebook gab es postwendend eine Gruppe von Anwälten, die bereit waren, Pink Chaddi zu verteidigen. Im Mai wurde das „Consortium of Pub-going, Loose and Forward Women“ aufgrund mehrfacher Hacker-Angriffe von der Firma Facebook abgedreht. Die Hacker verbreiteten obszöne Botschaften und Bilder, änderten den Namen und die Beschreibung der Gruppe, gründeten gefälschte Gruppen und stifteten Verwirrung. Gruppenmitglieder zeigten sich brüskiert über die mangelnde Unterstützung seitens Facebook. Der Kampagnen-Blog blieb bestehen.
Viele Online-Initiativen, die um ein Ereignis herum aufgebaut sind, zerfallen so schnell, wie sie entstanden sind. Allerdings hätte das in diesem Fall durch rechtzeitige Verlagerung auf eine andere Plattform verhindert werden können. Inwiefern die Kampagne wirklich etwas veränderte, bleibt fraglich.
Bei der Wahl 2009 konnte die BJP sowohl in Bangalore als auch in Mangalore (wenn sie auch insgesamt deutlich hinter der Kongresspartei lag) ihre Position verteidigen. Unbestreitbar hat die Kampagne zahlreiche Diskurse und Gedanken über Online-Aktivismus in Indien angeregt: Einige verorten gar einen neuen Trend in Indien, bei dem Individuen als Katalysatoren tätig werden und via Internet soziale Veränderung herbeiführen. Andere sprachen von einer gedankenlosen, beschämenden Jugendhysterie.
Obwohl nur sechs Prozent der indischen Bevölkerung Internetzugang haben, sind das bei einem großen Land wie Indien trotzdem 60 Mio. Menschen. Die Botschaft wurde im TV und Radio aufgenommen. Selbst in Slumwohnungen, die weder Wasseranschluss noch elektrisches Licht haben, findet sich zumeist ein Fernseher, der mit einer Autobatterie betrieben wird. Die Aktion zeigte, dass es bei Onlinekampagnen sinnvoll ist, die gemeinsame Offline-Aktion auf kleinere, individuelle Handlungen herunterzubrechen, die unabhängig voneinander ausgeführt werden können. In diesem Fall das provokative Versenden von Unterwäsche. Pink Chaddi wurde so ein Gesprächsthema in allen Gassen – und darauf kommt es wohl am Ende an.
Birgit Pestal ist freie Journalistin und schreibt für verschiedene Printmedien.