Die Schriftstellerin Ma Thida überstand mit Meditation Jahre der Haft in Myanmar und kämpft heute vom Berliner Exil aus für ein Ende der Diktatur in ihrer Heimat.
Die Reaktion der Menschen in Myanmar auf den Militärputsch vom 1. Februar 2021 findet Ma Thida ermutigend: Die 57-jährige Schriftstellerin lobt den zivilen wie bewaffneten Widerstand gegen die Diktatur. Die Repression durch die Junta ist für die frühere Ärztin und Gründungsvorsitzende der Schriftstellervereinigung PEN Myanmar „institutionalisierter Suizid“, sagt sie.
Als eine der führenden Intellektuellen Myanmars ist Ma Thida für klare Worte bekannt. Ihr Großvater war in den 1930er Jahren ein Studentenaktivist gegen die britische Kolonialmacht. Von ihm hat sie sowohl die kritische Haltung als auch die Liebe zur Literatur übernommen, sagt sie. Schon als Schülerin schrieb sie Kurzgeschichten, die in Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden.
Im letzten Jahr ihres Medizinstudiums, als 1988 Massenproteste gegen Langzeitdiktator Ne Win und den folgenden Putsch ausbrachen, schloss sich Ma Thida als Sanitäterin dem antidiktatorischen Widerstand an, publizierte regimekritische Artikel und begleitete Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi im Wahlkampf. Die Lady, wie die Demokratie-Ikone genannt wird, nennt Ma Thida wegen ihres national wie international hohen Ansehens und den damit verbundenen unerfüllbaren Erwartungen eine „Gefangene des Applauses“.
Lange Haftstrafe. 1993 wurde Ma Thida vom Militär verhaftet: „Kontakt zu einer illegalen Organisation“, „Illegales Publizieren“ und „Verstoß gegen das Notstandsgesetz“ wurden ihr vorgeworfen, wie sie sich erinnert: „Es war ein Schock, als ich zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Ich fürchtete, im Gefängnis zu sterben, weil dort Bücher verboten waren. Doch ging ich immer davon aus, meine Strafe nicht voll absitzen zu müssen.“
Damit sollte sie recht behalten. Und statt Bücher las sie im Gefängnis sich selbst, wie sie ihre intensive Praxis der kraftspendenden Achtsamkeitsmeditation („Vipassana“) nennt. Dieser widmete sie in Yangons berüchtigtem Insein-Gefängnis „bis zu 20 Stunden am Tag“.
Zur Lebensgefahr wurde Tuberkulose, an der sie dort erkrankte. Aus humanitären Gründen kam die Schwerkranke, die noch heute stolz auf ihre Renitenz selbst im Gefängnis ist, nach fünfeinhalb Jahren frei. Dank Kampagnen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und der Schriftstellervereinigung PEN.
Ärztin und Autorin. Es folgten mehrere Jahre als Chirurgin in einem Spital in Yangon. Dort behandeln Ärzt:innen Menschen aller Schichten und Religionen kostenlos. Das entspricht ganz Ma Thidas Denken, die sich als Humanistin bezeichnet.
Sie schrieb ein Buch über ihre Gefängniszeit, Gedichte und politische Aufsätze und publizierte eine Zeitschrift. Nach weiteren fünfeinhalb Jahren bekam sie einen Pass, um an den US-Universitäten Harvard, Brown und Yale studieren zu können. Später kehrte sie in die Heimat zurück.
Denn: „Ich wollte nie im Exil leben“, sagt sie in Berlin, wo sie heute wohnt. Nach einigen Jahren in der Heimat war sie wegen des Putsches von 2021 doch gezwungen, das Land erneut zu verlassen. Nach Deutschland kam sie mit einem Stipendium für Kunst- und Kulturschaffende. Weiter mischt sie sich in Debatten in der Heimat ein. Aber ihr ist auch klar: „Der Wandel muss aus dem Land selbst kommen.“
Längst arbeitet Ma Thida nicht mehr als Ärztin. In ihrem aktuellen Buch, das noch nicht erschienen ist, beschreibt sie Myanmars politische Entwicklung bis zum Beginn der gescheiterten Transformation unter Aung San Suu Kyi.
Seit Oktober 2021 setzt sie sich als gewählte Vorsitzende des „Writers in Prison Committee“ des internationalen PEN-Verbandes für verfolgte Schriftsteller:innen ein.
Sven Hansen ist Asien-Redakteur der deutschen Taz in Berlin, wo er auch Ma Thida wieder getroffen hat.
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