Die kambodschanische Hafenstadt wollte mit chinesischem Kapital zum asiatischen Las Vegas werden. Heute prägen Bauruinen das Bild der Stadt und Cyberkriminelle haben sich etabliert.
Im Zentrum von Sihanoukville an der kambodschanischen Küste stehen auf der Mittelinsel eines Kreisverkehrs, an dem sieben Straßen zusammenkommen, zwei goldene Löwenstatuen. Sie schauen auf einen der über 100 Glücksspielpaläste der Stadt, der „Atlantic City Entertainment“ heißt. In China stehen Löwen für Macht und Weisheit, hier symbolisieren sie gescheiterten chinesischen Raubtierkapitalismus. Gegenüber steht eine 16-stöckige Bauruine. Ob hier ein Casino geplant war, weiß man nicht – seit Beginn der Covid-Pandemie 2020 wurde nicht weiter gebaut. Etwa 1.000 solche unfertige Gebäude stehen in der Stadt, viele sollten Hotelcasinos werden.
Kambodschaner:innen selbst ist das Glücksspiel verboten, Chines:innen in ihrer Heimat auch. Deshalb fahren sie zum Gambeln ins Ausland, zum Beispiel ins kambodschanische Sihanoukville. Die nach dem früheren König Sihanouk (1922-2012) benannte wichtigste Hafenstadt des Landes liegt 200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Phnom Penh und galt lan-ge als verschlafen. Vor 15 Jahren hatte sie 90.000 Einwohner:innen. 2019 waren es schon 300.000.
Vom Meer aus sieht Sihanoukville aus wie eine moderne chinesische Stadt. Doch beim Näherkommen entpuppen sich 80 Prozent der Hochhäuser als unvollendet oder leerstehend.
Investitionen aus China. Beijing und Phnom Penh machten Sihanoukville zur Sonderwirtschaftszone. „Ab 2016 strömte sehr viel chinesisches Geld in die Stadt“, erzählt der lokale Geschäftsmann Rathanak Sok*. „Wir waren froh darüber. Viele hier haben davon profitiert.“ Dabei wurden für einige Bau-Projekte vormals Ansässige vertrieben.
Ende 2018 hatten 90 Prozent der Unternehmen der Stadt chinesische Eigentümer:innen oder Manager:innen. Sie nutzten die Stadt als Standort für die in China verbotenen Casinos und betrieben von dort aus das grenzüberschreitende Online-Glücksspiel.
Dadurch kamen allerdings Chinas Mafiabanden (Triaden) mit, auch um in den Casinos Geld zu waschen. Bald lieferten sie sich blutige Kämpfe.
Auf Druck der chinesischen Regierung verbot Phnom Penh im August 2019 das Online-Glücksspiel. Das war für Sihanoukville ein schwerer Schlag. Mit der Corona-Pandemie kamen 2020 dann Lockdowns, Grenzschließungen und Reiseverbote hinzu. Casino- und Hotelprojekte wurden gestoppt. „Für uns war das eine Katastrophe“, sagt Sok. „Wir hatten investiert, um an Chinesen und Chinesinnen zu vermieten, die plötzlich nicht mehr kamen. Viele von uns sind hoch verschuldet.“
Kambodscha
Hauptstadt: Phnom Penh
Fläche: 181.040 km2 (etwa halb so groß wie Deutschland)
Einwohner:innen: 16,7 Millionen, überwiegend Buddhist:innen
Human Development Index (HDI): Rang 146 von 191 (Österreich 25)
BIP pro Kopf: 1.786 US-Dollar (2022, Österreich: 52.131 US-Dollar)
Regierungssystem: Parlamentarische Wahlmonarchie mit dem vom Thronrat gewählten König Norodom Sihamoni und dem autoritär regierenden Premierminister und Dauermachthaber Hun Sen. Er hat sich im Juli nach Ausschaltung der größten Oppositionspartei wiederwählen lassen. Der 70-Jährige will sein Amt an seinen Sohn, General Hun Manet (45), übergeben. Änderungen in diesem System werden nicht erwartet.
China ist politisch ein wichtiger Verbündeter von Kambodscha. Auch wirtschaftlich besteht eine enge Partnerschaft – Beijing ist wichtiger Investor. Die USA und die EU-Länder stellen die größten Absatzmärkte für Kambodschas Textil- und Industriegüterproduktion dar.
Korruption und Kriminalität. Die Krise traf auch Tuktuk-Fahrer Sakea Chon. Er erzählt: „In der Boomzeit hab ich 20 US-Dollar am Tag verdient. Jetzt hab ich manchmal Tage ohne eine einzige Tour.“ Zum Glück habe er immerhin sein Fahrzeug schon abbezahlt. Das Leben werde immer teurer. Seine Familie musste wieder in ihr Heimatdorf ziehen. „Ich übernachte jetzt bei meinem Bruder oder im Tuktuk“, sagt Chon.
Auf dem Korruptionsindex von Transparency International rangieren Kambodscha und Myanmar auf dem 150. Rang als korrupteste Länder in Südostasien.
„Die Mächtigen stecken hier nicht nur Geld ein, sondern sind aktiv an Verbrechen beteiligt“, sagt der in Phnom Penh lebende westliche Beobachter Charles Smith* und verweist auf die Cyberkriminalität, die von Sihanoukville ausgehe. Denn: Die vielen leerstehenden Gebäude bieten sich als Infrastruktur an, die nötig ist, um den Internet-Betrug zu organisieren.
Zusammen mit der Korruption bis hin in Regierungskreise sowie der Anwesenheit der Triaden bietet die Stadt Cyberkriminellen, was sie brauchen, um große Gewinne zu machen.
Zwangsarbeit und Folter. „Ende 2021 sah ich auf Facebook ein attraktives Jobangebot von einem Casino in Sihanoukville“, berichtet der Thailänder Nop. Er tarnt sich mit Maske und Baseballcap, als er dazu zurück in seinem Heimatland Journalist:innen informiert. „Mir wurde ein gutes Monatsgehalt von 1.000 US-Dollar versprochen, dazu freie Unterkunft und Verpflegung.“ Doch in Sihanoukville sei er in einen Raum des Casinos gesperrt worden. Er musste auf Datingseiten mit einem gefälschten Profil Landsleute dazu bringen, hohe Summen in Kryptowährungen auf manipulierten Onlinebörsen zu investieren.
Als sein chinesischer Boss bemerkte, dass Nop per Facebook um Hilfe rief, wurde er mit Elektroschocks gefoltert. Erst Monate später konnte ihn eine Hilfsorganisation befreien.
Als lokale Medien 2021 erstmals darüber berichteten, reagierte die kambodschanische Polizei kaum und tat die Fälle als übliche Arbeitskonflikte ab. Innenminister Sar Kheng erklärte lapidar: „99,9 Prozent der Täter sind aus dem Ausland.“ Kambodscha sei also selbst ein Opfer.
Im Sommer 2022 suchten immer mehr ausländische Botschaften in Sihanoukville nach Staatsbürger:innen und drohten Sanktionen an – erst deshalb ordnete Premier Hun Sen Razzien an.
Das Ergebnis: Allein in Sihanoukville wurden 2.760 Personen aus elf Ländern gefunden, die für Onlinebetrüger:innen unter Zwang arbeiteten, 1.605 davon wurden gleich abgeschoben; der Rest zu Sündenböcken gemacht und wegen illegaler Einreise, Schwarzarbeit oder Cyberbetrug festgenommen. Die Drahtzieher:innen wurden nicht gefasst. Offenbar hatten sie gute Kontakte zum Regime und waren gewarnt worden.
Hoffen auf neues Glück. Geschäftsmann Sok hofft jetzt auf die Wiederzulassung des Online-Glücksspiels und die Rückkehr von Tourist:innen sowie Investor:innen aus China. Er wünscht sich, dass aus den Bauruinen fertige Gebäude werden. Die Regierung bietet dafür jetzt sogar Steuervorteile.
Einer seiner Wünsche scheint schon in Erfüllung zu gehen. Seit dem Ende der Covid-Pandemie und dem Wegfall der Einreisebeschränkungen für Tourist:innen kommen diese zurück in die Casinos. Ein weißer Rolls Royce parkt vor dem „Atlantic City Entertainment“-Gebäude am Löwen-Kreisverkehr. Drinnen sitzen einige Chines:innen mit Bündeln von 100-Dollar-Scheinen in den Händen und hoffen auf Gewinne beim Baccara.
Den Ausgang ihres Abends wird das Glück entscheiden.
Sven Hansen ist Asien-Redakteur der deutschen Taz in Berlin und recherchierte im Februar in Kambodscha.
* Namen auf Wunsch der Gesprächspartner geändert
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