Der pakistanische Umweltforscher – und neue WWF International-Präsident – Adil Najam über eine neue Zeitrechnung in der Klimakrise und den Faktor Wirtschaft.
Mehr als 1.700 Menschen starben. Millionen fehlt es bis heute an ausreichend Lebensmitteln und sauberem Wasser, sie haben kein Zuhause mehr. Ein halbes Jahr, nachdem lang anhaltende Monsunregen ein Drittel Pakistans unter Wasser gesetzt haben, sind die Folgen der Katastrophe immer noch verheerend. Warum hat es Pakistan so hart getroffen?
Die Lage in Pakistan derzeit ist von mehreren Faktoren geprägt: den Konsequenzen der Flutkatastrophe, aber genauso durch die wirtschaftliche Situation – das Land befindet sich diesbezüglich quasi im freien Fall …
Wie kam es dazu?
Aus einer Mischung aus falscher Politik im Land und den Folgen des globalen Status quo, also dem Krieg in der Ukraine, der Inflation, etc.
Aber zurück zur humanitären Lage, die es heutzutage anders zu betrachten gilt. Früher konnte man den Fokus darauf legen, was passiert ist und wie man darauf reagieren kann.
Und heute?
Man kann nicht exakt voraussagen, wann und wo sich ein Hochwasser ereignen wird oder eine Dürre. Die Wissenschaft weiß allerdings, dass etwa ein Land wie Pakistan mit viel mehr Katastrophen rechnen muss als bisher. Bereiten wir uns dementsprechend vor!
Adil Najam, geboren in Rawalpindi, Punjab, ist Professor für International Relations and Earth & Environment und emeritierter Dekan an der Frederick S. Pardee School of Global Studies der Boston University (USA). Er trug wesentlich zu den Berichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, „Weltklimarat“ der Vereinten Nationen) bei, das im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis erhielt.
Das ist für mich die größte Herausforderung, die die Klimakrise mit sich bringt: Nach wie vor behandeln wir Naturkatastrophen wie Ausnahmeerscheinungen, die sich nicht wiederholen werden. Bei Pakistan kommt dazu: Weder die innenpolitische noch geopolitische Lage wird sich rasch verbessern. Wenn wir auf diese Situation nicht angemessen reagieren, wird ein humanitäres Desaster das nächste jagen. Wir leben in einer neuen Welt – einer neuen Phase der Menschheitsgeschichte –, und die scheint keine komfortable zu sein.
Was muss also passieren?
Internationale Hilfe etwa wird sich anpassen müssen. Die Trennung zwischen Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe, mit ihren unterschiedlichen Zugängen und kurzfristiger vs. langfristiger Perspektive, ist obsolet – man braucht beides, zusammen gedacht.
Bleiben wir beim Beispiel meines Heimatlandes: Die Menschen sind resilient. Sie verharren nicht, z. B. nach der Flutkatastrophe. Sie packen an und beginnen alles wieder aufzubauen. Aber welche Rahmenbedingungen braucht es, um sie darin zu unterstützen und den Schock des Desasters abzumildern?
Wie gesagt, die Katastrophen werden nicht verschwinden. Aber wir können lernen, besser damit umzugehen. Die Folgen der Flut im vergangenen Jahr hätten bei weitem nicht so schlimm sein müssen wie sie waren.
Der Indus als Beispiel
Das Projekt „Living Indus“ ist eine Dachinitiative zur Revitalisierung des Einzugsgebietes des Indus-Stromes. Dass Pakistan zu den Ländern gehört, die am stärksten durch die Auswirkungen der globalen Klimakrise getroffen werden, hat vor allem mit den Folgen für das Indus-System zu tun, wie die Flutkatastrope 2022 zeigte. Öffentlicher Sektor, Privatwirtschaft, Expert:innen und Zivilgesellschaft erarbeiteten gemeinsam 25 Maßnahmen. Pakistan ist allerdings auf internationale Gelder angewiesen. red
Teilen Sie die Ansicht anderer Forscher:innen, die sagen, dass die Verantwortung für die Klimakrise vor allem im Globalen Norden liegt? Stichwort globale CO2-Emissionen im Vergleich.
Zuerst: ein klares Ja! Allerdings kann das, meiner Meinung nach, nicht die ganze Erklärung sein. Ja, es geht um globale Gerechtigkeit. Das heißt nicht, dass Staaten wie Pakistan sich aus der Verantwortung nehmen können. Es geht um das große Ganze, nicht nur um die CO2-Emissionen: die Versorgung der Menschen, die Infrastruktur, bis hin zur Bauweise von Häusern oder Brücken. Jahrelang wurden im Land Fehler gemacht, und dann kommt es besonders schlimm.
Verschiedene Akteure in unserer Welt haben Verantwortungen und ganz bestimmte Rollen: Im Globalen Norden geht es darum, den Lifestyle, den Konsum, zu verändern. Der Wandel fängt bei einem selbst an. Es hilft wenig, nur auf Social Media darüber zu reden.
Die wirtschaftliche Ebene hat für Sie eine große Bedeutung.
Ja, vor allem in Bezug auf die Globalisierung. Welche Probleme sie mit sich bringen kann, hat die Covid-Pandemie gezeigt (Engpässe, Lieferprobleme etc., Anm. d. Red.).
Und es stimmt etwas fundamental nicht mit dem Schuldensystem. Länder geben so viel aus, wie sie nie zurückzahlen können, und sind dann in einer Dauerabhängigkeit gefangen. Passiert das einem ärmeren Staat, nennt man das Missmanagement. Wenn reiche Länder in die Bredouille kommen, ist es eine Finanzkrise.
Das wirkliche humanitäre Desaster bahnt sich in Pakistan aufgrund der Schuldenkrise an.
Was ist Ihr Vorschlag?
Teilweise diese Schulden zu erlassen. Noch besser ist es, sie mit klugen, gesteuerten Staatsausgaben gegenzurechnen. Und zwar im Sinne der Bevölkerung Pakistans und als Antwort auf den Klimawandel: Damit der Staat die Möglichkeit hat, Geld zu investieren in nachhaltigen Wiederaufbau, aber auch über finanzielle Ressourcen verfügt z. B. für urbane Problemzonen, Slums und arme Viertel. Damit sich die soziale Situation der Menschen verbessert und das Land sich zukünftigen klimatischen Herausausforderungen besser stellen kann.
Vielen Umweltschützer:innen wird dieser Ansatz nicht gefallen, befürchte ich, weil sie denken, das hat nichts miteinander zu tun und sie rein auf die CO2-Emissionen fokussieren wollen.
In Europa wird diskutiert, wie politisch Wissenschafter:innen sein dürfen in Bezug auf die Klimakrise. Wie sehen Sie das?
Nun ja, schon bevor ich Forscher wurde, war ich ein Mensch. Und nach meinem Uni-Abschluss habe ich das Menschsein nicht verloren. Ich finde die Debatte nicht sinnvoll. In meiner Zeit beim IPCC (Weltklimarat des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Anm. d. Red) versuchte man immer zu betonen, dass man ja politisch neutral ist. Man kann nicht politisch neutral sein.
Aktivismus allerdings, und ich sehe mich selbst auch als Aktivist, der sollte authentisch sein. Es geht nicht um Slogans, sondern um Handlungen.
Übrigens, die Covid-Pandemie hat uns gezeigt: dass sich Leute ändern können; dass es für Wandel Geld gibt, wenn es sein muss; und dass wir als Menschen relativ rasch Lösungen entwickeln können.
In Bezug auf die Klimakrise dürfen wir nicht unterschätzen, wie groß die Aufgabe ist. Jedoch sollten wir lernen, die kleinen Erfolge zu feiern. Denn die werden den Unterschied machen.
Interview: Richard Solder (Der Beitrag wurde Anfang März veröffentlicht und Anfang April aktualisiert)
Zum Weiterlesen
Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos (btb Verlag, München 2011, 384 Seiten). Ein anarchischer, komischer und bitterböser Roman über die Zeit des Diktators Zia-ul-Haq, der zwischen 1977 und 1988 herrschte.
Sanaa Alimia: Refugee Cities. How Afghans Changed Urban Pakistan (University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2022, 248 Seiten, auf Englisch). Das Buch zeigt auf, wie es Menschen geht, die über Jahrzehnte auf der Flucht sind, und wie deren Identität an den Stadträndern Pakistans geprägt wird.
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