Wieso es global gesehen einen Perspektivwechsel braucht, und Zusammenarbeit, ganz ohne „Entwicklung“.
Sind 70 Jahre genug? Seit bald drei Generationen engagieren sich die „Industrieländer“ in den „Entwicklungsländern“. Nicht nur diese traditionellen Bezeichnungen für den Globalen Norden und Süden sind in die Jahre gekommen, sondern auch das Instrument Entwicklungszusammenarbeit (EZA).
Parallel dazu ist die Kritik an der EZA in den vergangenen Jahren gestiegen: sie sei wirkungslos, paternalistisch und neokolonialistisch, unterstütze Passivität und Korruption und sei heutzutage von den Empfänger*innen selbst nicht mehr erwünscht.
Was ist dran an dieser Kritik? Kann die Entwicklungszusammenarbeit diese Zuschreibungen überwinden und hat sie in der globalisierten Welt eine Zukunft?
Heute, nach einer Migrationskrise, inmitten einer globalen Pandemie und einer Klimakrise können wir die letztgenannte Frage mit einem klaren „Ja, aber…“ beantworten. Denn die entscheidende Frage lautet: Wie soll EZA 2.0 aussehen?
Kurskorrektur. Unserer Meinung nach gilt es zuerst, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen: die Ansprüche müssen realistisch sein, überzogene Erwartungen wie die Beendigung von Armut und Hunger kann die EZA mit 150 Milliarden US-Dollar jährlich einfach nicht erfüllen.
Die EZA ist nicht gut geeignet als Motor für Wirtschaftswachstum, dafür umso besser als Navigationsgerät, um ökonomische, ökologische und soziale Ziele für alle Menschen zu erreichen, unabhängig vom Land ihrer Geburt, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder sonstiger Merkmale, die in der Vergangenheit als Rechtfertigung für Ausgrenzungen herhalten mussten.
Entscheidend ist aber auch die Umsetzung: Wir müssen weg von der ausufernden Bürokratisierung. Der Professionalisierungsschub der vergangenen 20 Jahre war wichtig: Wirkungsorientierung, verstärktes Kosten-Nutzen-Denken, Leitlinien etwa gegen Korruption, zum Schutz gegen Gewalt oder zur Wahrung von Kinderrechten haben auch in der EZA Qualität gesteigert und Risiken vermindert. Doch die Befassung mit administrativen Regelungen sollte nicht, wie inzwischen oft der Fall, mehr Energie binden als die inhaltliche Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Personen.
Und was zusätzlich zu beobachten ist: Innovationen kommen zunehmend aus dem Süden selbst, sei es mobiles Geld, dezentrale Energieversorgung oder digitales Monitoring. EZA-Organisationen des Nordens tun daher gut daran, sich nicht länger als die ausschließlichen Anbieter von Know-how zu sehen, sondern zunehmend auch das Wissensmanagement zwischen kompetenten Partnern im Globalen Süden zu moderieren und zu finanzieren.
Über Grenzen hinweg. Die Covid-19-Krise wird in der EZA noch über Jahre präsent bleiben und die Klimakrise wird sich verschärfen. Für die Herausforderungen, die die Menschheit jetzt und in Zukunft zu bewältigen hat, braucht es Expertise auf dem Gebiet der Internationalen Zusammenarbeit: Wo nationale Lösungen und Zielsetzungen schlichtweg nicht mehr ausreichen, kommt der Kommunikation und Kooperation über geografische und kulturelle Grenzen hinweg mehr Bedeutung zu als je zuvor. Gut zu wissen, dass diese Fertigkeiten in der EZA über Jahrzehnte praktiziert und beständig verfeinert wurden.
Das bringt uns zu unserem abschließenden Vorschlag, der den Begriff Entwicklungszusammenarbeit betrifft: Der Teilbegriff Entwicklung klingt – selbst ungewollt – heutzutage für viele Menschen nach Bevormundung und Unterordnung, und darf gerne gestrichen werden. Die Zusammenarbeit dagegen kann in ihrer Bedeutung gar nicht genug gewürdigt werden, weshalb künftig besser von Internationaler Zusammenarbeit gesprochen und geschrieben werden sollte.
Thomas Vogel und Friedbert Ottacher arbeiten hauptberuflich bei Horizont3000; daneben sind sie auch als Trainer und Berater tätig und haben gemeinsam das Buch „Entwicklungszusammenarbeit im Umbruch“ verfasst, das vor kurzem in dritter Auflage im Verlag Brandes & Apsel erschienen ist.
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