Auf dem Vormarsch

Von Redaktion · · 2007/09

Ob in Bristol, das zur ersten „Transition City“ Großbritanniens werden soll, oder in London: Die Permakultur-Idee breitet sich aus, berichtet New-Internationalist-Redakteur David Ransom.

Vor nicht allzu langer Zeit gab es in britischen Groß- und Kleinstädten noch etwa zwei Millionen „Allotments“, auf gesetzlicher Grundlage zugeteilte Gartenflächen zur Selbstversorgung. Sie waren essenziell für die Gesundheit der ArbeiterInnen in der Industrie, die es aufgrund ihrer ländlichen Herkunft oft verstanden, gut davon Gebrauch zu machen. Im Zweiten Weltkrieg dienten sie als eine der Waffen des „totalen Krieges“. Heute sind sie zwar dezimiert – knapp 200.000 dürfte es noch geben. In den letzten Jahren erleben sie jedoch eine Art Wiedergeburt – etwa in Easton, einem eher ärmeren Stadtteil von Bristol an der britischen Westküste.
Ein Grund ist der Aufschwung der Permakultur-Bewegung, wie mir Sarah Pugh erzählt – sie besitzt einen großen Garten gleich neben der Eisenbahnstrecke Richtung Bath, nicht weit von zwei anderen wieder aufgeblühten Allotments. Laut Sarah Pugh hat die Permakultur-Gruppe in Bristol nun rund 240 Mitglieder (wahrscheinlich die größte des Landes), und fast alle haben einen weiterführenden Lehrgang absolviert. Sie selbst erzielt aus ihren Permakultur-Aktivitäten, Gestaltung und Ausbildung, ein bescheidenes Einkommen. Hunderte Apfelbäume wurden in Hintergärten überall in Easton gepflanzt, alles alte Sorten, wie sie betont – nachdem bekannt wurde, dass die Setzlinge, Beratung inklusive, für umgerechnet zehn Dollar zu haben waren, ein Viertel des üblichen Preises. Die Gruppe trifft sich nur selten, bevorzugt werden praktische Workshops und alle möglichen Arten von Vernetzung. Aber Sarah hat sich, gemeinsam mit anderen, ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bristol zu einer „Transition City“, einer „Übergangsstadt“ zu machen.

Was das bedeuten könnte, versuche ich auf einer öffentlichen Versammlung herauszufinden, die zu diesem Zweck einberufen wurde. Etwa zwei- bis dreihundert Leute dürften es sein, die sich im Trinity Centre versammelt haben, einer ehemaligen Kirche. Als erster ergreift Patrick Holden das Wort, ein Biobauer aus Wales und ein wichtiger Mann in der „Soil Association“, der wichtigsten Zertifizierungsinstitution für Bioprodukte in Großbritannien. Er habe nie viel über Vertriebssysteme oder schwindende Erdölreserven nachgedacht, sagt Holden, bis er Rob Hopkins getroffen hätte. Seither habe sich sein Leben verändert.
Hopkins ist ein begnadeter Redner. Er erläutert dem Publikum unsere Abhängigkeit von „flüssigen“ Treibstoffen, von Öl und von Gas. Ihr Verbrauch ist seit dem Zweiten Weltkrieg sprunghaft angestiegen. Zu einem nicht so fernen Zeitpunkt wird der Verbrauch sinken müssen, und zwar fast ebenso rasch, parallel zum Rückgang der Neufunde von Öl- und Gasvorkommen. Wann, wie rasch und mit welchen Konsequenzen wird heute fieberhaft debattiert, insbesondere in den USA.
Was für Hopkins daraus folgt, ist klar: Wir müssen uns darauf vorbereiten, mit weniger Energie auszukommen. Und das bedeutet, ganz unten anzufangen, mehr „Widerstandsfähigkeit“ in unseren eigenen Gemeinschaften zu entwickeln. Betroffen ist nicht nur die Nahrungsmittelproduktion, sondern Verkehr, Wohnbau, Gesundheitsversorgung, Tourismus, Beschäftigung, der Finanzsektor, die Währung – beinahe alles, was irgendwie von flüssigen Treibstoffen abhängt (also praktisch alles).
Hopkins begann, mit seinen StudentInnen an diesem Thema zu arbeiten, an einem College im beliebten Ferienort Kinsale an der südirischen Küste. Es gab Pilotprojekte, Workshops, „Oral history“-Befragungen und offene Diskussionen. Zu seiner Überraschung erklärte die lokale Verwaltung Kinsale zur „Transition Town“. In Totnes im britischen Devon, wohin er nachher ging, passierte in etwa dasselbe. „Transition Towns“ entstehen heute in ganz Großbritannien. Am Ende der Versammlung in Bristol steht eine Frau auf, stellt sich als Vorsitzende des Bristol City Council vor und bietet einen Dialog an.

Bristol ist mit seinen 400.000 EinwohnerInnen zwar groß, aber nicht der wirkliche Prüfstein für die Möglichkeiten der Permakultur in Großbritannien. Das ist zweifellos London, und vor allem das riesige urbanisierte Gebiet im Osten der Stadt. Ein weniger fruchtbarer Boden als hier ist wohl kaum zu finden – obwohl die Gegend früher einmal einen großen Teil des Frischgemüses für London lieferte, etwa Tomaten, von ItalienerInnen in zahllosen Glashäusern gezogen. Andererseits: was hier möglich ist, sollte es überall sein. Ich nehme mir den Garten der OrganicLea Community Growers im East End vor, nicht weit entfernt vom Hauptveranstaltungsort der Olympischen Sommerspiele von 2012.
Es ist Sonntag früh, und Clare, Ru, Brian und ich sitzen auf Strohballen unter einem blühenden Apfelbaum. In den letzten sechs Jahren hat ihre Kooperative diese zuvor verwilderte Kleingartenfläche völlig verwandelt. Alles war mit Dorngestrüpp überwuchert, der Lehmboden hart wie Stein. Heute gibt es hier Folientunnel, in denen tausende Pflanzen vermehrt werden. Es gibt einen Teich voller Schilf und Frösche, die Nacktschnecken fressen. Es gibt einen jungen Waldgarten und dutzende lange, in Terrassenform angelegte Hochbeete, einen Unterstand aus lebenden Weiden und eine Kompost-Toilette. Clare erinnert sich an eine Gruppe von Frauen aus Kaschmir, die zu Besuch waren und das Ding sofort erkannten. Ich verwende sie selbst – weit hygienischer als eine durchschnittliche öffentliche Toilette, würde ich sagen.

Das Wort „Permakultur“ taucht in unserem Gespräch nur selten auf. Sicher ist, dass sie sich als VorkämpferInnen einer Art Revolution fühlen müssen – nicht einer der Worte, sondern der Tat. Dank der meist unbezahlten Arbeit tausender gleichgesinnter Menschen ist das Londoner East End heute von einem wachsenden Netz von Gemeinschafts- und Biogärten, Allotments, größeren „City Farms“, Gemeinschaftszentren, Bauernmärkten, Obstgärten, von Nahrungsmittel- und Landwirtschaftskooperativen durchzogen, einschlägige Veranstaltungen und Workshops inklusive.
Während wir reden, wird ein Haufen Holzschnitzel zum Eingang des Gartens geliefert – von einem Baumpfleger. Eine Mülldeponie verlangt dafür normalerweise 140 Dollar die Tonne. Hier kostet es nichts, also landen sie hier. Man kann frische Holzschnitzel nicht direkt für produktiven Boden verwenden, weil sie ihm Nährstoffe entziehen. Aber man kann sie auf die Wege aufbringen und auf die Beete verteilen, wenn ihr Zerfallsprozess fortgeschritten ist. Und darunter kann man Kaffeesäcke aus Sisal legen, sofern man weiß, dass es einen Fair-Trade-Kaffeeröster in Canning Town gibt, der nicht weiß, was er damit anfangen soll.
Und so beginnen wir mit der Arbeit: Wir legen farbenfrohe Säcke (und nicht wenige übriggebliebene Kaffeebohnen) aus Guatemala, Mexiko und Peru auf die Wege und bedecken sie mit Holzschnitzeln, die wir mit Schubkarren vom Eingang herbringen. Der Schweiß beginnt zu fließen. Zeit, sage ich mir, nach Hause zu gehen.

Copyright New Internationalist

Im Web:
„Übergangsstädte“ in Großbritannien:
http://transitiontowns.org
OrganicLea Community Growers:
www.organiclea.org.uk

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