Mit ihrem jüngsten Bericht liefert die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) den Entwicklungsländern scharfe Munition gegen die einseitige Liberalisierungsagenda der reichen Länder
Die UNCTAD stützt ihre Analyse auf ernüchternde Zahlen. Zwar hat sich das Wachstum in den Entwicklungsländern in den neunziger Jahren gegenüber den achtziger Jahren erhöht, liegt aber noch immer weit unter den 5,7 Prozent jährlich, die in den siebziger Jahren erzielt wurden. Gleichzeitig waren die Handelsdefizite der Entwicklungsländer (ohne China) um fast drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts höher als in den siebziger Jahren. In Lateinamerika nahmen die Importe jährlich um vier Prozent rascher zu als die Exporte.
Die UNCTAD sieht drei Faktoren als Hauptursache: den Verfall der Terms of Trade, geringes Wachstum in den reichen Ländern sowie eine zu rasche Liberalisierung des Handels und des Kapitalverkehrs.
So sinken etwa die Terms of Trade der nicht-erdölexportierenden Entwicklungsländer seit Anfang der achtziger Jahre um 1,5 Prozent jährlich. Doch eine ähnliche Tendenz zeigt sich auch bei Industrieprodukten des Südens, die gegenüber den Industrieexporten der EU von 1979 bis 1994 jährlich 2,2 Prozent an Wert verloren. Gleichzeitig nimmt die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer stärker zu als ihre Exporteinnahmen (siehe Grafiken). In dem Maße, in dem ihre Fähigkeit, den Schuldendienst aus Handelsüberschüssen zu bezahlen, abnimmt, steigt ihre Abhängigkeit von Kapitalzuflüssen in Form von Neukrediten, Direkt- oder Portfolio-Investitionen.
Setzen sich diese Trends fort, sind weitere Finanzkrisen unvermeidbar. Und angesichts der jüngsten Erfahrungen wären die Entwicklungsländer also gut beraten, warnt die UNCTAD, ihr Recht auf Kapitalverkehrskontrollen nicht aufzugeben.
Zwar konnten zumindest die asiatischen Länder zuletzt wieder hohe Handelsüberschüsse erzielen, während die Handelsdefizite der übrigen Länder seit Anfang der neunziger Jahre eine zunehmende Tendenz zeigen. Allerdings gingen die Exporteinnahmen in Ostasien dabei sogar zurück, und der wesentliche Faktor war ein radikaler Rückgang der Importe, eine Folge der schweren Rezession und der starken Abwertung der lokalen Währungen.
Die Lösung, so die UNCTAD, wäre eine Öffnung der Märkte der reichen Länder. Allein bei einfachen Industrieprodukten wie Textilien, Metall-, Holz-, Gummi- oder Kunststoffwaren errechnet die UNCTAD ein zusätzliches Exportpotential von jährlich 700 Milliarden US-Dollar oder viermal mehr als die aktuellen privaten Kapitalflüsse in den Süden.
Marktzugang für den Süden muß daher im Mittelpunkt einer Handelsagenda stehen, sagt die UNCTAD. Einige ihrer Vorschläge: Senkung der Spitzenzölle für Exportprodukte des Südens, Abbau der Zolleskalation für verarbeitete Produkte, Abbau der Landwirtschaftssubventionen der reichen Länder von derzeit mehr als 350 Milliarden US-Dollar pro Jahr (mehr als das Doppelte des Werts der Agrarexporte der Entwicklungsländer), Auseinandersetzung mit Anti-Dumping-Maßnahmen, dem Mißbrauch von Gesundheits- und Sicherheitsstandards und den neuerlichen „freiwilligen Exportbeschränkungen“ insbesondere für Textilien und Stahl, auf die sich die USA in letzter Zeit wieder stützen nehmen – entgegen ihren WTO-Verpflichtungen.
Eine nachhaltige Verbesserung der Leistungsbilanz der Entwicklungsländer ist aber laut UNCTAD nur gesichert, wenn sie die Produktivität steigern, die technologische Leiter hinaufklettern und durch importsubstituierende Industrien ihren Einfuhrbedarf verringern können. Die Logik der Importsubstitution, betont Yilmaz Akyuz, Chef-Makroökonom der UNCTAD, sei im Prinzip korrekt, und ihr Scheitern in der Vergangenheit auf Fehler in der Umsetzung zurückzuführen. Insbesondere müßte der Schutz nicht nur im Anfangsstadium, sondern auch für fortgeschrittene Industrien möglich sein, denn was dem Norden recht ist, kann dem Süden nur billig sein: Die reichen Länder können den Schutz ihrer landwirtschaftlichen Produzenten und die Subvention ihrer etablierten High-Tech-Branchen nicht rechtfertigen, wenn sie gleichzeitig dem Süden ähnliche Optionen verweigern.
Der Süden hat seine Märkte für Importe offen gehalten, so Akyuz, und dafür mit Zuflüssen von „hot money“ und ausländischen Direktinvestitionen (ADI) bezahlt – großteils durch den Verkauf inländischer Vermögenswerte, da es sich im wesentlichen um Fusionen und Übernahmen handelte. „Das ist nicht haltbar. Wenn Entwicklungsländer kein Geld verdienen, nicht exportieren oder nicht exportieren können, werden sie schließlich zum Protektionismus und zum Ausstieg aus dem Handelssystem gezwungen sein.“
Unter Ausschluß von China belief sich der Anteil der Fusionen und Übernahmen an den kumulierten ADIs von 1992 bis 1997 auf 72 Prozent, und zwar großteils im Dienstleistungssektor. Dieser hohe Anteil hängt unmittelbar mit den Privatisierungsprogrammen der neunziger Jahre zusammen. Die Zuflüsse von Kapital führten daher nur in geringem Ausmaß zur Erhöhung der Bruttoanlageinvestitionen, was auch ein Phänomen erklärt, auf das Michael Mortimore, Experte der regionalen UN-Wirtschaftskommission (CEPAL) verweist: Die Direktinvestitionen in Lateinamerika und die Karibik waren zwar in den neunziger Jahren dreizehnmal höher als in den siebziger Jahren, aber die durchschnittliche Wachstumsrate war nur halb so hoch.
Und der Nutzen von Direktinvestitionen, bekräftigt die UNCTAD, sei alles andere als automatisch. Forderungen nach lokalen Zulieferanteilen, Technologietransfer und Exportanteilen können kommerziellen Interessen der Unternehmen widersprechen, während jedoch ein Ersatz des hohen Importanteils von Industrien durch eigene Produktion in vielen Ländern ein wichtiges Ziel bleibt.
Transnationale Konzerne könnten wichtige Akteure beim Aufbau der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sein, aber die Bedingungen ihrer Operation sollten sich nach den Umständen richten.
Die logische Folgerung: Auch die letzten, abgeschwächten Forderungen der EU und Japans nach einer Nicht-Diskriminierung ausländischer Investoren entsprechen nicht den Interessen der Entwicklungsländer. Die ohnehin vorgeschriebene Überprüfung von TRIMS und TRIPS wäre vielmehr eine Gelegenheit, Elemente zu beseitigen, die für den Süden nachteilig wären. Und das Prinzip der „besonderen und differenzierten Behandlung“ der Entwicklungsländer (siehe Kasten S. xy), das in den sechziger Jahren in das GATT aufgenommen wurde, sollte zu einer vertraglichen Verpflichtung der WTO aufgewertet werden.
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