Versuch einer Wende

Von Axel Veiel · · 1999/11

Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika hat in seiner siebenmonatigen Amtszeit schon viele politische Veränderungen herbegeiführt. Ein Bericht von Axel Veiel.

Es mag ein wenig Spott mitklingen, wenn AlgerierInnen von der Bouteflika-Manie sprechen, der ihre Landsleute verfallen seien. Aber ganz falsch ist diese Einschätzung sicherlich nicht. Gemessen an den bleiernen Jahren, in denen der Terror raste und die Politik stillstand, legt dieser Präsident Abdelaziz Bouteflika jedenfalls ein atemberaubendes Tempo vor. Die Kapitulation des bewaffneten Arms der Islamischen Heilsfront FIS, die Amnestieofferte an zum Gewaltverzicht bereite Islamisten, die Politik der Annäherung an Marokko, der Straferlaß für Wehrdienstverweigerer und ein Referendum über alles zusammen, über die Friedenspolitik des Staatschefs schlechthin: Das waren Stationen einer knapp sieben Monate währenden Präsidentschaft.

Aber Bouteflika hat nicht nur die terroristische Herausforderung entschlossen in einen politischen Kontext gestellt. Der neue Staatschef hat auch noch einen neuen Regierungsstil eingeführt. Ungewöhnlich offen nennt er beim Namen, was seine Landsleute verbittert und was Algeriens Machthaber maßgeblich mitzuverantworten haben: eine Arbeitslosenquote von 30 Prozent, die wachsende Wohnungsnot, die in Staat und Wirtschaft wuchernde Korruption, sich hemmungslos bereichernde Mafiabanden, ein marodes Erziehungssystem und nicht zuletzt ein aus sieben Jahren Terrorismus und Menschenrechtsverbrechen herrührender Zerfall gesellschaftlicher Werte und Bindungen.

Ist es da ein Wunder, daß die Menschen sich zu einem Politiker bekennen, der sie wieder hoffen läßt?

Elfmal in den vergangenen zehn Jahren wurden die AlgerierInnen zur Stimmabgabe gebeten. Doch so sehr an den Zahlen zur Wahlbeteiligung anschließend auch herumgebogen wurde: Das Desinteresse an der Politik war meist offenkundig. Im September aber waren die Menschen in Massen an die Urnen geeilt und hatten mit überwältigender Mehrheit „Ja“ gesagt. In dem zerrissenen, von Gewalt und Armut ausgezehrten Land, das hat sich deutlich gezeigt, gibt es zu nationaler Versöhnung, Reformen und einem Politiker, der für beides steht, keine vernünftige Alternative.

Die Frage ist nun, wie lange die „Manie“ anhält. Faszinierend ist Bouteflikas kurze Wegstrecke ja nicht zuletzt deshalb, weil dem früheren Außenminister Houari Boumedičnes vor fünf Monaten kaum jemand Großes zugetraut hatte.

Der Anfang der Präsidentschaft war alles andere als vielversprechend. Nachdem am Tag vor der Wahl sämtliche Mitbewerber unter Betrugsvorwürfen zurückgetreten waren, hatte sich der als „Kandidat der Staatsmacht“ geschmähte Bouteflika wie zu Zeiten der Einparteienherrschaft als alleiniger Kandidat zum Staatschef küren lassen. Diskreditiert, geschwächt war er aufgebrochen, um einzulösen, was vor ihm schon andere versprochen und nicht gehalten hatten. Mohammed Boudiaf mußte seine Versuche, Algerien zu verändern und in Privilegien, in Pfründe der Armee einzugreifen, mit dem Leben bezahlen. Sein Nachfolger Liamine Zeroual, der mit einem überzeugenden Wählervotum ausgestattet als Vorkämpfer nationaler Versöhnung angetreten war, wollte oder konnte sein Versprechen nicht einlösen.

Und ausgerechnet ein angeschlagener ehemaliger Mitstreiter des autokratischen Boumedične-Regimes sollte die Wende bringen? Zu einer „Mission impossible“ schien Bouteflika im April aufzubrechen.

Daß es anders kam, deutet darauf hin, daß in der Armee ein Umdenken stattgefunden hat. Die Gewichte scheinen sich verschoben zu haben. Diejenigen, die dem islamistischen Terror seit sieben Jahren allein mit Waffengewalt begegnen wollen, haben offenbar an Einfluß verloren. Die Einsicht scheint sich durchzusetzen, daß man „die Hand küssen muß, die man nicht abschlagen kann“, wie die Algerier sagen. Wobei die beharrenden Kräfte das Feld keineswegs geräumt haben. Immer wieder hielt der so entschlossen losgestürmte Präsident inne, wich zurück, anstatt den nächsten Schritt zu wagen.

Den versöhnlichen Gesten gegenüber dem Nachbarn Marokko folgten Vorwürfe, das Königreich beherberge algerische Terroristen. Die allseits erwartete Entlassung des gemäßigten Heilsfrontführers Abassi Mandani blieb aus. Und wo die Angehörigen von AlgerierInnen, die nach Verhaftung und Verhör verschwanden, wenn schon nicht Ahndung, so doch Aufklärung erwarten dürfen, soll nach dem Willen Bouteflikas großzügiges Vergessen walten.

Noch scheint die Armee nicht gewillt, sich aus der Politik zurückzuziehen und auf eine großzügig bemessene Teilhabe am Erdöl- und Erdgasreichtum des Landes zu verzichten. Zur Skepsis mahnt daneben auch die Tatsache, daß Banden der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) von Kapitulation, Reue und Amnestie nichts wissen wollen und weiter morden, wenn auch fern der großen Städte. Viel Spielraum hat der Staatschef also nicht. Die Bouteflika-Manie könnte schnell in Enttäuschung umschlagen. Fürs erste aber kann der Präsident gestärkt ausschreiten. Die Zustimmung im Volke verleiht ihm jene Legitimation, die ihm bei den Wahlen im April vorenthalten worden war.

Der Autor ist Nordafrika-Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Medien mit Sitz in Madrid.

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