Glücklich, wer ein Türke ist!

Von Klaus Ther · · 1999/09

Die allgegenwärtige Präsenz des türkischen Militärs in Südostanatolien zwingt die kurdische Bevölkerung zur Anpassung ihrer Sprach- und Verhaltensregeln, Die Regierung in Ankara scheint die historische Chance auf Frieden mit den Kurden ungenützt verstreic

Der Besucher von Diyarbakir, der größten Stadt im kurdischen Gebiet der Türkei, muß beim Gespräch mit den wenigen Menschen, die noch bereit sind, zu ausländischen Journalisten zu sprechen, vor allem eines lernen: Die Sprache und das Wort verraten den Autor und dessen politische Gesinnung. Und dieser Verrat wird oft mit dem Tod sanktioniert. Musa Anter, Muhsin Melik und Ugur Mumcu, im Westen kaum bekannte Namen: Sie sind nur einige von Dutzenden Schriftstellern, Politikern und Intellektuellen, die in den letzten Jahren Opfer von nie ausgeforschten Killerkommandos geworden sind. Der gewaltsame Tod der Wortführer lähmt die Zunge des Volkes. Der Zustand der Bedrohung und die Tatsache, daß der türkische Staat keinen der Morde aufklären konnte – viele sagen auch: nicht aufklären wollte – ließ im politischen Alltag eine Sprache entstehen, die nur mehr in Andeutungen und Anspielungen auf das nationale und politische Anliegen der Kurden eingeht.

„Südostanatolien“, „Kurdistan“, „Zone des Ausnahmezustands“ sind – vor allem für Ausländer – leicht gesagte Worte für jenen Teil des Mittleren Ostens, in dem seit 15 Jahren bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Die dort Lebenden sprechen selten von sich, definieren sich nur im geheimen, gerade weil sie dort leben.

Die ständigen Zusammenstöße zwischen der PKK und dem türkischen Staat haben auch die politische Sprache zum Werkzeug der Auseinandersetzung werden lassen. Zwischen: „Wir sind die Kurden der Türkei“ und „Wir sind kurdischsprechende Landsleute“ besteht scheinbar kein großer Unterschied, doch für die „Augen und Ohren des türkischen Staates“ ist nur der vertrauenswürdig, der gerade einmal bescheiden davon spricht, daß er eine andere Muttersprache hat.

Abdullah Öcalan, der Führer der PKK, der Arbeiterpartei Kudistans, sitzt in der Todeszelle, doch das scheint der Türkei keine Sicherheit zu geben. Man ist weit entfernt davon, die aktuell-historische Chance zum Frieden nützen zu wollen. Der Grund dafür scheint einfach: Das Selbstbewußtsein der Kurden ist während der Jahre, in denen sich das „Terrorproblem“ bzw. der „Bürgerkrieg“ (nota bene: die Sprache verrät auch den Autor) verschärfte, gewachsen. Am deutlichsten ist das an den Wahlerfolgen der kurdischen HADEP-Partei, abzulesen, die seit den letzten Lokalwahlen die Mehrheit der Bürgermeister in „Südostanatolien“ oder im „kurdischen Teil der Türkei“ stellt.

Die Menschen haben begonnen, stolzer zu werden, sie haben die Erfahrung machen müssen, daß ihnen nicht getraut wird. Die innere Abgrenzung gegenüber dem türkischen Staat war vor Jahren nicht so stark zu spüren.

Ein weißer Wagen folgt dem Fernsehteam, das sich in der Stadt bewegt, viele Menschen wollen nicht vor einer Kamera sprechen, wenn die jungen – auffällig unauffälligen – Herren in Jeans und Poloshirts nicht weit sind, die stets alle potentiellen Feinde der Türkei observieren. Einige Besucher einer Teestube sind dann doch bereit, dem „Yabandschi“, dem Fremden, ein Interview zu geben.
Direkt will man als Fragender Abdullah Öcalan nicht ansprechen. Man erkundigt sich, ob Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse bestehe, schließlich sei die „Hauptperson“ doch gefaßt und – wenn auch nicht rechtskräftig – zum Tode verurteilt.

Ein älterer Kurde nippt an seinem Teeglas. Nein, sie hätten wenig Hoffnung, denn diese Sache würde durch die Festnahme nicht aufhören. Ein „Öcalan“ sei weg, aber hundert andere „Öcalans“ würden nachkommen. (Hofft der Mann, daß es so wird, oder glaubt er, daß es so kommen muß?) Die Dörfer rund um Diyarbakir seien ohnehin alle entvölkert worden, entweder durch die Regierung oder durch die „Terroristen“. Der Mann verrät sich durch seine Sprache gegenüber dem Journalisten nicht. Sicher würde er zu Türken anders reden.

Außerhalb von Diyarbakir sollte man sich nicht bewegen. „Fährt nicht zu weit herum!“, meint einer der „unfreiwilligen Bodyguards“ aus dem weißen Wagen gegenüber dem Chauffeur; doch dieser Einschüchterungsversuch wird ignoriert. Entlang der alten Seidenstraße führt der Weg nach Mardin und Nusaybin, das Ziel: die Stadt Sirnak. Vor ein paar Jahren wurde sie von den Sicherheitskräften belagert und schwer beschädigt.

Die Besuchsgenehmigung liegt vor, das Innenministerium hat gleich zwei Akkreditierungen ausgestellt. Doch was durch mühsame Telefonate, Faxe und zeitig ausgefüllte Formulare erworben wurde, erweist sich in der Praxis als eine Plastikkarte ohne Wert. Schon hinter Mardin werden die „Yabandschi“ angehalten. „Sie haben das Gefängnis von Mardin gefilmt, das ist strengstens verboten“, behauptet ein Mann, der nicht sagen will, wer er ist, allein seine Bewaffnung verleiht ihm Autorität.
„Nein, schauen Sie sich die Aufnahmen im Sucher der Kamera an, überzeugen Sie sich selbst von der Wahrheit!“ Das interessiert die „Ordnungshüter“ nicht, stattdessen muß man sich erst klarwerden, wer hier überhaupt zuständig ist, Geheimpolizei oder Militärpolizei. Nachdem die Sache geklärt ist, wird noch – Freundlichkeit muß sein – eine Wassermelone eines LKW-Fahrers konfisziert und an die „Yabandschi“ weitergegeben.

Der Autor ist Journalist und Mitarbeiter des ORF und lebt in Wien. Er bereiste kürzlich für Fernsehaufnahmen den Südosten der Türkei.

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