Jobs um jeden Preis

Von Sandra Rodríguez · · 1999/09

Immer mehr Bekleidungsunternehmen verlagern die arbeitsintensive Produktion in die Freihandelszonen der Entwicklungsländer. Diese „Maquila“-Industrie hat sich zum Beispiel in El Salvador als einer der führenden Exportfaktoren etabliert.

Der Sohn des Fabriksbesitzers, Jimmy Sharp, bat mich immer wieder, mit ihm auszugehen. Ich lehnte aber stets ab. Eines Tages hielten mich seine Leibwächter auf und befahlen mir, ins Auto einzusteigen, weil Herr Sharp auf mich warte. Ich widersetzte mich. Am nächsten Tag wurde ich gekündigt.“ Das berichtet die 24jährige Marlene, die ein Jahr lang im Unternehmen Formosa in der Hauptstadt San Salvador gearbeitet hatte. Seit Jänner dieses Jahres ist sie arbeitslos, hofft jedoch auf eine neue Anstellung. Natürlich wieder in einer Maquila. Sie hat ihr Leben lang nur in solchen Betrieben gearbeitet.

Marlene hat das noch ausständige Gehalt von einem halben Monat bis jetzt nicht bekommen, dennoch trifft es sie nicht so hart wie die 26jährige Violeta, die nach einem positiven Schwangerschaftstest im Juni 1998 bei Formosa gekündigt wurde. Der Arbeitgeber ist ihr bis heute neben einem halben Monatslohn noch eine hohe Abfertigung schuldig, da sie in jenem Betrieb fünf Jahre gearbeitet hatte. Violeta meldete ihren Fall dem Arbeitsministerium, der schließlich an das Arbeitsgericht verwiesen wurde. Dort liegt ihr Akt bis heute unerledigt.

Für Santiago Portillo, Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei, die unter anderen Unternehmen auch Maquilas vertritt, entstehen solche Konflikte wegen der Unwissenheit mancher Leute. „Es kommt oft vor, daß die Arbeiterinnen aus irgendeinem Grund ihre Schecks nicht abholen und sich beim Arbeitsministerium beschweren. Manchmal kann es telefonisch gleich erledigt werden. Wir teilen ihnen mit, daß sie den Scheck nur abholen müssen. Wenn aber jemand vorgeladen wird, bieten wir der Klägerin entweder eine Wiedereinstellung oder eine Abfertigung an, so daß beide Seiten zufrieden gestellt werden können …“

Die Firma Formosa Textile ist durch die europäische Clean Clothes-Kampagne bekannt geworden, insbesondere weil sie seit November 1997 als Zulieferbetrieb für den größten Sportartikelhersteller Europas, Adidas, produziert. Formosa befindet sich in taiwanesischem Besitz, wie so viele andere Maquila-Unternehmen in Zentralamerika. Andere Kunden sind Nike und Lee.

Die dort herrschenden unmenschlichen Arbeitsbedingungen wurden im August des Vorjahres in der ARD-Sendung Monitor der Öffentlichkeit vorgeführt. Berichtet wurde über Arbeitszeiten von 60 bis 70 Wochenstunden bei einem monatlichen Mindestlohn von 1150 Colones (öS 1600,-), über das Unterlassen der Anmeldung bei der Sozialversicherung – trotz geleisteter Beitragszahlungen -, über fristlose Entlassung von Schwangeren … Mißstände können endlos weiter aufgezählt werden.

Eine Woche nach dem Fernsehbericht meldete sich der Pressesprecher von Adidas bei der Christlichen Initiative Romero (CIR), einem der Initiatoren der deutschen Clean Clothes-Kampagne, und teilte mit, ein Untersuchungsteam nach El Salvador geschickt zu haben, welches die Mißstände bestätigte. Adidas versicherte, entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation zu ergreifen. Ferner sollte ab Mai dieses Jahres eine regelmäßige Kontrolle durch die US-amerikanische Betriebsprüfungsagentur Verité stattfinden. Die Clean Clothes-Kampagne wartet jedoch noch immer auf den für Juni versprochenen ersten Bericht.

Von einer Einhaltung sozialer Mindeststandards kann immer noch nicht die Rede sein. Walter, einer der wenigen männlichen Angestellten bei Formosa, berichtet: „Frauen werden weiterhin sexuell belästigt. Durch die hohen Zielvorgaben müssen wir täglich bis zu drei Überstunden machen, die nicht bezahlt werden, und auf die Toiletten dürfen wir weiterhin nur zweimal am Tag gehen.“

Die Gewerkschafterin und ehemalige Maquila-Arbeiterin Virginia Hernández (vgl. SWM 9/97) hingegen weiß von kleinen Veränderungen zu berichten: „Arbeiterinnen unter achtzehn findet man nicht mehr, Schikanen treten weit weniger auf und es gibt jetzt nicht mehr so viele fristlose Kündigungen.“ Und sie fügt hinzu, daß die von Adidas beauftragte Firma für das „Monitoring“, die Kontrolle, keine unabhängige Instanz sei. „Wenn es zur Kontrolle in der Fabrik kommt, werden unmittelbar davor Wasserflaschen und Papier in den sanitären Anlagen bereitgestellt und die Mitarbeiterinnen für das Gespräch ausgewählt …“

Formosa liegt in der Exportproduktionszone (EPZ) San Bartolo in Ilopango, im Großraum San Salvador. Von San Bartolo, im Jahre 1976 als erste Freihandelszone des Landes errichtet, wurde ein starker Industrialisierungsschub erwartet. Doch angesichts des bis 1992 andauernden Bürgerkrieges gelang der Aufschwung erst in diesem Jahrzehnt. Es gibt heute in El Salvador sieben EPZ und eine Menge Firmen außerhalb davon, die als „recintos fiscales“ – steuerbegünstigte Orte – bekannt sind. Sie beherbergen insgesamt 243 Maquila-Unternehmen, in denen ca. 60.000 Beschäftigte, vorwiegend Frauen, tätig sind.

Die Mißachtung der Arbeitsrechte ist praktisch in allen Maquilas gang und gäbe. Entlassungen wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit, Durchsuchung der ArbeiterInnen vor und nach der Dienstzeit beispielsweise, Schwangerschaftstests …

Die seit zehn Jahren in El Salvador regierende rechtsgerichtete ARENA-Partei lockt Investoren durch steuerliche und infrastrukturelle Anreize ins Land, um so Arbeitsplätze zu schaffen. Der Exportertrag der Maquilas wuchs von 132 Mio. US$ 1991 auf über 1 Mrd. US$ 1997 – bei einem Gesamtexport von 2.416 Mio. US$. Die größten Investitionen werden von Salvadorianern selbst getätigt, gefolgt von Investoren aus den USA und Asien (Taiwan, Südkorea und Hongkong). Exportiert wird vor allem in die USA.

Die Regierung betont die Wichtigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen Wirtschaftsminister Miguel Lacayo: „Das Hauptziel ist eine gute Beschäftigungspolitik. Durch jeden einzelnen Arbeitsplatz in der Maquila entstehen zusätzlich indirekt vier bis fünf Jobs. Somit steigt auch der Lebensstandard unter den Menschen. Es ist ganz wichtig, daß die Unternehmen im Land bleiben. Die Maquilas fördern außerdem die Wettbewerbsfähigkeit und den Technologietransfer. Infolgedessen wird hier eine Grundlage für ein Wirtschaftswachstum gelegt.“

Es bleibt jedoch sehr fraglich, ob durch diese Produktionsweise – Nähen, Bügeln, Einpacken – viel Know-how vermittelt wird.

Angesichts einer Arbeitslosigkeit von 7,7 % und einer Unterbeschäftigung von 53% verzichtet die Regierung in den EPZ nicht nur auf Steuereinnahmen, sondern auch auf die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen. Da die salvadorianischen Gewerkschaften durch interne Querelen geschwächt sind, treten zur Zeit vor allem internationale Organisationen zum Schutz der Rechte der Beschäftigten in der Maquila-Industrie auf.

Marina Rios, Koordinatorin der unabhängigen Frauenorganisation „Melida Anaya Montes“ ( MAM): „Die Organisierung der Frauen ist die schwierigste Aufgabe. Einerseits sind die Wunden des Bürgerkrieges noch nicht geheilt. Sich zu organisieren bedeutete früher in El Salvador für viele den Tod. Andererseits wären die Regierung und die Unternehmer durch eine einheitliche und starke Gewerkschaft gezwungen, für die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen zu sorgen.“

Die MAM entstand im Juli 1992, gebildet von Kämpferinnen der Ex-Guerilla und heutigen Oppositionspartei FMLN. Mit ihrer Arbeit in den Maquilas begann sie vor drei Jahren. Mit Öffentlichkeitsarbeit in den Massenmedien, durch Broschüren, Workshops und Rechtsberatung unterstützt sie die Frauen durch Bewußtseinsbildung. Marina Rios kann bereits eine positive Auswirkung ihrer Arbeit feststellen: „Die Frauen gewinnen Selbständigkeit, sie schließen neue Bekanntschaften, gehen ab und zu nach der Arbeit auf ein Bier, und wenn sie sich einer Organisation anschließen, lernen sie auch neue Konzepte.“

Mit Hilfe von MAM wagte kürzlich eine kleine Gruppe von vier entlassenen Maquila-Arbeiterinnen den Schritt in die Selbständigkeit. Mittlerweile produzieren sie u.a. Kinderkleider, Polster, Taschen, Schürzen, Vorhänge und verkaufen sie am Markt oder im Bekanntenkreis. Die MAM will dieses Modell zu einer größeren Werkstatt ausbauen, um eine mögliche Alternative zu den Maquilas zu schaffen.

Die Autorin ist salvadorianische Staatsbürgerin und studierte an der Donauuniversität in Krems Journalismus. Sie bereiste kürzlich Zentralamerika im Rahmen einer von der „Frauensolidarität“ organisierten Recherche über die Arbeitsbedingungen in den Maquil

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