Als freier Journalist, der den Irak seit dem Golfkrieg 1991 mehrfach besuchte, viele irakische Freunde dort und in Wien hat und im Kinderkrebs–Projekt der Krebsärztin Dr. Hobiger in Basra mitarbeitet, erscheint mir Thomas Schmidingers Darstellung der Situation im Irak verzerrt. Wenn im Irak Zuwendungen exilierter Verwandter nicht mehr benötigt werden, weil die Löhne im ganzen Land rapid gestiegen sind, so gilt das ausschließlich für einen verschwindend kleinen Teil von Irakern, die zumeist durch den Krieg bzw. seine verheerenden Folgen für die Masse der Menschen reich geworden sind, und z.B. durch massenhaften – zollfreien – Import von Handys, PCs, Satellitenanlagen etc. gute Geschäfte machen – zum Großteil Luxusartikel, die sich die arbeitslose Masse des Volkes nicht leisten kann, die im Elend lebt. Die Zahl der Arbeitslosen im Irak wird mit etwa 12 Millionen angegeben, das würde bedeuten, dass 85% der arbeitsfähigen Bevölkerung (!!) keinen fixen Posten haben. Der Generalsekretär der Union der arbeitslosen Iraker, Kasam Hadi, meinte im vergangenen Juli, dass heute mehr Menschen von den staatlichen Lebensmittelrationen abhängig sind als vor dem Krieg. Fabriken und Infrastrukturen wurden zerstört, Soldaten, Polizisten sowie unzählige in administrativen Strukturen Tätige wurden mit dem Krieg ihrer Arbeit enthoben. Dagegen haben sich die Preise für Lebensmittel verdoppelt bis verdreifacht. Vielleicht könnte Kollege Schmidinger mit Dr. Hobiger einmal die Situation in den Spitälern recherchieren und damit Zugang zu vielen einfachen Familien im Irak haben. Viele Spitäler haben keine Medikamente mehr, man drückt den Kranken ein Rezept in die Hand und die sollen dann das Medikament in der Apotheke kaufen. Kein Problem (für Schmidinger), viele haben ja soviel Geld, dass sie nicht einmal mehr die „Zuwendungen aus dem Ausland“ brauchen. Im Kinderspital von Basra sind nicht einmal Kochsalzlösungen – die einige Cent kosten – verfügbar, was besonders im Sommer zum Tod von unzähligen Kindern führte.
Dr. Hobiger (vom deutschen TV für ihr Engagement im Irak zur „Frau des Jahres 2003“ gewählt) und wir alle vom Projekt „Aladins Wunderlampe“ sind empört über diese zynische Darstellung der Lage der Menschen im Irak. Wir suchen verzweifelt nach Spenden für das Kinderspital in Basra, denn die schwerkranken Kinder dieses Spitals sind ausschließlich auf die Unterstützung aus Österreich angewiesen. Im übrigen wurde im heurigen Sommer die chirurgische Abteilung der Universitätsklinik Basra gesperrt, weil es weder Medikamente noch Materialien gab, um den Betrieb aufrechtzuerhalten – und das ist kein Einzelfall im Irak. Wie passt das zu Schmidingers Aussagen – die sich übrigens mit der US-Propaganda decken? Vielleicht kann er in Bagdad einmal die Menschen fragen, was es bedeutet, derzeit im Irak krank zu werden, oder Dr. Hobigers Berichte lesen.
Mit der US-Propaganda (www.state.gov) deckt sich auch Schmidingers Aussage, dass die „blutigen Terroraktionen“ nur die „Errichtung einer radikalislamischen Diktatur“ zum Ziel haben. Zweifelsohne sind in diesem Chaos auch solche Gruppen in den Irak eingesickert. Er spricht ausdrücklich von „rivalisierenden Terrorgruppen“ und wirft alle in einen Topf, wenn er die Ideologie und generell „diese Ziele der Entführer und Selbstmordattentäter“ beschreibt mit „Blut und Boden, Heimat (welche meint er??), expansionistischer Islam, Kampf gegen Ungläubige und Juden …“
Der Widerstand (bzw. seine Unterstützung) im Irak resultiert zu einem großen Teil aus der Verbitterung über die Politik und das brutale Vorgehen der USA im Irak – ich könnte genug Beispiele aus dem Kreis meiner irakischen Freunde anführen. Sinnlose Zerstörungen, Verhaftungen, Folterbilder und -aussagen, Vergewaltigung irakischer Frauen durch US-Soldaten – hier wird ein ganzes Volk von den USA gedemütigt, gepeinigt, wird seine Kultur zerstört. Und Premierminister Allawi, der kaum Akzeptanz in der irakischen Bevölkerung besitzt, zeigte sich lächelnd in TV und Zeitungen an der Seite Georges W. Bushs beim Wahlkampf in den USA …
Für den Großteil der Iraker sind diese Bilder eine Provokation, besonders schlimm aber ist der Riss, der durch die Bevölkerung geht, wenn sich viele Männer – aus Not und nicht aus Überzeugung! – als Polizisten oder Soldaten anwerben lassen (müssen) – und damit für radikale Teile der Iraker als Kollaborateure gelten, auf die sich die Anschläge konzentrieren. Die US-Army überlässt die „Dirty Work“ den Irakern und verschanzt sich zumeist in ihren Festungen in den völlig abgesperrten, hoch gesicherten Stadtteilen. US-Opfer wiegen schwer, nicht nur im Wahlkampf, tote Iraker zählen nicht. Wird die Sicherheitslage im Irak unter dieser Regierung stabil, so Thomas Schmidinger, „könnte der Irak zu einem der prosperierendsten Länder des Mittleren Ostens werden“. Ist das wirklich so einfach?
Peter Schmidt (mit Dr. Hobiger)
1150 Wien