Die Vorbereitungen für den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft, der vom 10. bis 12. Dezember 2003 in Genf stattfindet, laufen auf vollen Touren. Anvisierte Ziele und Wertvorstellungen prallen aufeinander, analysiert Brigitte Pilz.
Der Ansatz wurde von der UNO wohl etwas vollmundig formuliert: Der World Summit on the Information Society (WSIS) sollte Gelegenheit bieten, die Zivilgesellschaft wie nie zuvor in ein Gipfelgeschehen einzubinden. Regierungen, Wirtschaft und eben die Zivilgesellschaft werden dazu beitragen, einen Aktionsplan zur Überwindung der globalen digitalen Kluft zu erarbeiten und in der Folge umzusetzen. Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) wurden explizit eingeladen, sich an dem anspruchsvollen Prozess zu beteiligen. (Die österreichische entwicklungspolitische Szene hat diese Herausforderung bis auf ein Seminar von Frauensolidarität und vidc/Kulturen in Bewegung weitgehend verschlafen.)
Diese Weltkonferenz geht auf eine Anregung der tunesischen Regierung zurück, die zu einem Beschluss der UNO führte. Sie beauftragte daraufhin die International Telecommunications Union (ITU) mit der Durchführung des Gipfels. 2001 wurde eine WSIS-Sekretariat eingerichtet. Seit Mitte 2002 gab es drei Vorbereitungskonferenzen (Prepcoms) und etliche regionale Treffen. Im Dezember sollen in Genf eine Abschlusserklärung und ein Aktionsplan verabschiedet werden. Der zweite Teil der Konferenz ist für 2005 in Tunis geplant.
Große Einigkeit – zumindest in der Theorie – herrscht darüber, dass niemand von der Informationsgesellschaft ausgeschlossen werden darf.
Im Detail haben die Beteiligten höchst unterschiedliche Vorstellungen und Interessen:
l Regierungen des Südens geben der Anbindung an die globalen Kommunikationskanäle höchste Priorität, während jene des Nordens zusätzlich BürgerInnenbeteiligung oder Bildung wichtig ist, auch ein investitionsfreundliches Umfeld.
l Die Wirtschaft hat Interesse an einem Abbau von Investitionshürden und an einem sicheren rechtlichen Rahmen. Sie will eine Ausweitung der Rechte über geistiges Eigentum erwirken.
l Die Zivilgesellschaft ist naturgemäß kein homogener Block. Im Wesentlichen legt sie aber weniger Gewicht auf technische Anforderungen als auf menschliche Bedürfnisse. Werte, nicht Märkte, sollten im Zentrum der Diskussionen stehen: Anerkennung von Kommunikation als Menschenrecht, das „öffentliche Gut Information“ als Gegenstück zu kommerzieller Informationsverwertung, Meinungsfreiheit, Datenschutz, Rolle der lokalen Gemeinschaften usw. NGOs betonen, dass die digitale Kluft ja nicht nur zwischen Nord und Süd besteht, sondern zwischen Reich und Arm, Männern und Frauen, Jung und Alt. Und: Die Arten der Kommunikation – vom Geschichtenerzählen übers Radio – seien vielfältig.
Bis heute blieb unklar, was „Öffnung“ für alle AkteurInnen heißt. Die bisher Ausgeschlossenen wollen, wenn sie schon rein können, auch mitreden. Regierungen meinen wiederum: „Reinkommen ja, mitreden nein.“ Bereits bei der Prepcom im Februar war das Hin und Her zum Prozedere „nervenzerfetzend“, meint ein Beobachter, das inhaltliche Ergebnis mager. Von den 180 Regierungsdelegationen lag lediglich ein Vorentwurf für Abschlusserklärung und Aktionsplan auf dem Tisch. Binnen 24 Stunden wurde dieser von den NGOs durchleuchtet und ein „substanzieller Ergänzungsvorschlag vorgelegt, der an eindeutiger Formulierung, Praxisnähe und Sachkompetenz nichts zu wünschen übrig ließ“, beurteilen Fachleute: Nicht Kommunikationstechnologie und Infrastruktur sollten im Mittelpunkt der globalen Informationsgesellschaft stehen, sondern die Kommunikationsbedürfnisse der Menschen und ihre Informationsrechte.
Besonders Pakistan und China stellten sich gegen diese „Einmischung von außen“. Kanada, Australien, einige afrikanische Länder und auch die EU wollten den Vorschlag gleichberechtigt diskutieren. Schließlich wurde er unter eigenem Namen in das Dokument eingebracht. Immerhin: Erstmals hat dadurch die Stellungnahme nichtstaatlicher AkteurInnen einen offiziellen Status in den Verhandlungen bekommen. Die Prepcom Ende September gestaltete sich kaum harmonischer. Die Zivilgesellschaft hatte Beobachterstatus, konnte sich höchstens über ihre nationalen Delegationen einbringen. Jeanette Hofmann, NGO-Vertreterin in der deutschen Delegation, meinte enttäuscht: „Die internationalen NGOs dürfen im Vorraum Platz nehmen und werden mit fünf Minuten Zeit für Statements am Anfang jeder Sitzung abgespeist. So ist kein Dialog möglich.“ Diskussionen über die Informationsgesellschaft ohne Gesellschaft also?
Auch unter sich taten sich die Regierungen schwer miteinander. Jedenfalls wurde auf der dritten Prepcom im September kein Vorschlag für Abschlussdokument und Aktionsplan zustande gebracht. In skurrilem DiplomatInnensprech hieß es, ein „Non-paper“ werde zur weiteren Bearbeitung verbreitet, ein Vorbereitungstreffen im November eingeschoben.
Es wäre einfach, das Hin und Her um das Prozedere ironisch abzutun. Das träfe den Kern der Sache nicht. Es geht letztlich um gravierende Herausforderungen, vor denen das UNO-System steht. Einige Regierungen wollen weiterhin die Staatenwelt als ausschließliche Akteurin. Viele sähen eine Öffnung für die Zivilgesellschaft als Bereicherung, ja Notwendigkeit, um auf die Legitimationskrise der Staaten zu reagieren. Diese Fragen werden im WSIS-Prozess nicht entschieden, doch es ist deutlich, dass sie nicht mehr zu vermeiden sind.