Ein umfassender Friede für den Sudan? Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache.
Niemand weiß, was für ein Land Sudan wäre, ohne Krieg. Noch nie, seit der Unabhängigkeit 1956, hatte Afrikas flächenmäßig größter Staat eine Friedensordnung, in der sich die gesamte Bevölkerung wiederfand. Welten liegen seit Menschengedenken zwischen den Nomadenvölkern der Nilsümpfe im Süden, bis heute Objekte ethnologischer Faszination, und der islamischen Kultur von Khartum und Omdurman, die Ende des 19. Jahrhunderts den britischen Kolonisatoren so hartnäckig widerstand wie sonst nur Südafrikas Zulus.
Inzwischen hat der Süden einen dreißigjährigen Krieg erlebt, wohl die größte humanitäre Katastrophe der Welt: von fünf Millionen Menschen sind zwei Millionen tot und der Rest vertrieben. Aus Südsudan kommen die ergreifendsten Hungerbilder des modernen Fotojournalismus und dort zeigen sich die perversesten Mechanismen der Nothilfe, die eine entwurzelte und degradierte Bevölkerung zum mundtoten Gabenempfänger macht. Die Hilfswerke versenden ihre Wohlfahrt aus dem sicheren Kenia hinaus und überlassen das Objekt ihrer Hilfe, den Südsudan selbst, dem freien Spiel der Militärkräfte, die sich dank der fremden Alimentierung nicht im Geringsten um das Schicksal der Menschen zu kümmern brauchen.
Angesichts der erdrückenden historischen Last muten die neuesten Friedenstöne seltsam irreal an. Noch dieses Jahr, so beteuern die Kriegsparteien, wird ein umfassender Friede Wirklichkeit: Der Süden bekommt Autonomie für sechs Jahre bis zu einer Volksabstimmung über die Zukunft; die südsudanesischen Rebellen regieren in Khartum mit, so dass auf wundersame Weise die Einheit des Landes gewahrt bleibt und zugleich jede Landeshälfte ihren Weg gehen kann.
Es gibt noch zahlreiche Streitpunkte: die genaue Definition des Südens zum Beispiel – gehören die zentralsudanesischen Ölfelder und die lange umkämpften Nuba-Berge dazu oder nicht? Aber selbst wenn diese gelöst werden sollten: Es ist schwer vorstellbar, dass per Federstrich einfach ein Kriegszustand beendet werden kann, der sich tiefer in die Gesellschaft eingegraben hat als irgendwo sonst in Afrika. Es gibt für die führenden Kräfte des Sudan keine Realität außer der des Krieges.
Schon werden aus der fernen Wüstenregion Darfur Richtung Tschad Massenvertreibungen und ein Massenelend gemeldet, das Hilfswerke als das Schlimmste im Sudan seit fünf Jahren darstellen – und das will etwas heißen in diesem Land des Horrors.
Wahrscheinlich wird es dennoch zu Weihnachten im Sudan Frieden geben. Und Krieg. Aber nur vom ersten werden die Mächtigen sprechen. Vom zweiten nicht.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz.