Eine Frage der Macht

Von Brigitte Pilz · · 2002/10

Vor wenigen Wochen wurde in Österreich das Schutzalter für Jugendliche von 14 auf 16 Jahre angehoben. Dabei stellt sich die Frage: Wer oder was bestimmt das Ende der Kindheit? Ist es eine variable Größe, die je nach parteipolitischem Gutdünken verschoben werden kann? Legen wissenschaftlich nachprüfbare Kriterien fixe Eckpunkte fest? Das Ende der Kindheit ist offensichtlich nicht zuletzt eine Frage der Macht, die Erwachsene über ihre Nachkommen haben.
Praktiken und Regeln in verschiedenen Kulturkreisen legen nahe, dass mit Kindheit und ihrem Ende sehr unterschiedlich verfahren wird. Markante Initiationsriten in traditionellen Gemeinschaften heben Buben von der Kindheit ins Erwachsenendasein. Für viele Menschen unserer Gesellschaft ist nicht mehr präsent, dass die Firmung zumindest im religiösen Sinn das Ende der Kindheit markiert. Das genaue Alter für Initiation oder Firmung variiert. Es wird von der nötigen Reife gesprochen, die erreicht sein muss. Eine individuelle Größe, je nach Elternhaus, Lebensverhältnissen, Persönlichkeit, körperlicher und geistiger Entwicklung früher oder später. Und nach dem Ende der Kindheit können Jugendliche in Rechte und Pflichten von Erwachsenen hinein wachsen. Für eine gedeihliche Entfaltung am besten Schritt für Schritt.

Aber was ist mit jenen Kindern, viele Millionen weltweit, die mit sechs, sieben Jahren regelmäßiger Arbeit nachgehen müssen, die mit gekrümmten Rücken in dunklen Räumen Teppiche knüpfen, unter sengender Sonne Orangen pflücken, im stickigen Autosmog als fliegende HändlerInnen Waren anbieten, die Wohnungen der Reichen putzen und ihre Kinder hüten, als SexsklavInnen schamlosen Touristen gefügig sein müssen. Kindheit ist die Zeit des Glücks, heißt ein Buch. Nicht für sie. Mehr noch: Sie haben überhaupt keine Kindheit, sind viel zu früh auf brutale Weise in die Welt der Erwachsenen gestoßen.
Und was ist mit den Kindern, die auf der Straße leben und sich allein durchschlagen müssen? Auch sie erfahren nicht, was es heißt, in einem sicheren, liebevollen Umfeld immer mehr zu dürfen, zu können, zu wagen.
Die Kindheit prägt uns für das gesamte spätere Leben, die Art der Erziehung prägt. Und natürlich prägt auch die Nicht-Kindheit, das Hineingestoßenwerden in die Welt das weitere Leben dieser Menschen.

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