Wachhund an der kurzen Leine

Von Vera Deleja-Hotko · · 2020/Mar-Apr

Präsident Patrice Talon baut Benin auf Kosten von Demokratie und Menschenrechten um. Die neue staatliche Menschenrechtskommission will das verhindern, trotz vieler Hindernisse.

Von Vera Deleja-Hotko, Cotonou

Eine Tür am Ende des Ganges. Ohne Wegweiser, ohne Hinweisschild. Irgendwo zwischen Putz- und Abstellkammer. Hinter der Tür befindet sich ein länglicher Raum, mit etwa zwanzig Quadratmetern Fläche, ausgefüllt durch Tische, die in einer U-Form aneinandergereiht wurden. Zwischen Wand und Tischen ist ein Spalt, gerade breit genug, damit man sich zu den vordersten Arbeitsplätzen durchzwängen kann.

Von diesem Ort, der wie vergessen scheint, wird in Cotonou in Benin dem Parlament, der Regierung und dem Präsidenten auf die Finger geschaut.

Hier hat die Beniner Menschenrechtkommission („Commission Béninoise des Droits de l’Homme“, kurz: CBDH) ihren Sitz. Sie besteht aus elf Persönlichkeiten des Landes. Je eine Repräsentantin oder ein Repräsentant der Vereinigungen der RichterInnen, RechtsanwältInnen, MedizinerInnen, JournalistInnen und ArbeitgeberInnen, von NGOs für Menschen-, Frauen- und Kinderrechte und der Gewerkschaft sowie zwei Abgeordnete des Parlaments.

Auf der Wartebank. Eigentlich sollte es diese weisungsunabhängige, aber staatlich finanzierte Institution bereits seit dem Ende der selbstbezeichneten „marxistisch-leninistischen“ Diktatur und der Einführung der Präsidialdemokratie in den 1990er Jahre geben. Vorangetrieben wurde sie jedoch erst durch ein Gesetz im Jahr 2012, nachdem internationale Menschenrechts-NGOs Druck aufgebaut hatten. Die Arbeit aufnehmen konnte die CBDH erst im Jänner 2019 und damit unter dem aktuellen Präsidenten Patrice Talon. Und das ist erstaunlich, da Talon nicht viel mit Menschenrechten am Hut zu haben scheint.

Diktatur im Aufbau. Der Präsident ist durch den Handel mit Baumwolle seit den 1990er Jahren zum reichsten Mann des Landes geworden. Als er bei der Präsidentschaftswahl 2016 kandidierte, inszenierte er sich als starke Führungsfigur. Als einer, der die Korruption aus dem Land verbannen und Wohlstand durch wirtschaftliches Wachstum herbeiführen würde.

Mit Erfolg: 65 Prozent der Stimmen bekam Talon, und wurde Präsident. Seither regiert er das Land wie ein Manager. Er baut den Staat auf Kosten von Freiheits- und Grundrechten um zu einer sogenannten „Entwicklungsdiktatur“. Zur Parlamentswahl im April 2019 wurden nur jene zwei Parteien zugelassen, die Talon öffentlich unterstützen. Streiks und Demonstrationen wurden massiv eingeschränkt.

Und wenn die Menschen dennoch auf die Straße gingen, dann wurde mit Waffengewalt seitens der Exekutive darauf geantwortet. Wem dieser Stil nicht passt, der landet im Gefängnis, muss ins Exil gehen oder verstummt. Verlässliche Zahlen dazu gibt es keine. Bis jetzt.

Denn genau darin besteht die Hauptaufgabe der CBDH. Sie recherchiert, analysiert und dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen im Land. In den politischen Diskurs direkt zu intervenieren ist den CBDH-Mitgliedern untersagt.

Sie gehen in die Gefängnisse des Landes, um mit jenen zu sprechen, die im Zuge der Demonstrationen festgenommen wurden. Sie fragen nach, bei denen die dabei waren, als auf die Demonstrierenden geschossen wurde. Sie sprechen mit den Menschen, die sich normalerweise nicht mehr trauen zu sprechen. All das schreiben sie auf. Ein ganzes Jahr lang, bis ein Bericht erfolgt – der aktuelle und damit der erste überhaupt ist allerdings seit Ende 2019 ausständig (zumindest bei Redaktionsschluss).

Keine Mittel. Um der Aufgabe der allgemeinen Überwachung der Menschenrechtssituation gerecht werden zu können, steht der Kommission per Gesetz eigentlich ein Budget zu, über das sie frei verfügen kann, sowie ein Büro, eine entsprechende Ausstattung und für die Arbeit notwendige Materialen. Seit Februar 2019 wird in dem kleinen Zimmer am Ende des Ganges auf Hochtouren gearbeitet.

Doch der Platz reicht nicht einmal für alle MitarbeiterInnen aus. Neben den Tischen und Stühlen gibt es keinerlei weitere Materialien. Die Botschafterin eines in Benin vertretenen Landes hat der Kommission zwei Laptops, einen Drucker und ein paar Packungen Druckerpapier geschenkt. Zum Kopieren gehen die MitarbeiterInnen der CBDH zu einer internationalen NGO. Finanzielle Entschädigung für ihre Arbeit bekommen sie ebenso keine, obwohl sie ihnen zustehen würde. Dennoch machen sie weiter.

Denn sie wissen, welche besondere Verantwortung ihnen ihr rechtlich verankerter Status gibt und wie viel Druck sie auf die Regierung und den immer autoritärer regierenden Präsidenten ausüben können – und der ist wichtiger denn je.

Vera Deleja-Hotko ist freie Journalistin. Sie lebt in Wien und reist regelmäßig nach Westafrika.

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