Mit Fotos verhungernder Kinder um Spenden zu werben ist obszön, aber die Praxis greift wieder um sich. Ein Kommentar von NI-Autor John Hilary.
Merchants of Misery („Händler des Elends“) hieß ein wegweisender Artikel, der im Juni 1981 im „New Internationalist“ erschien: Jørgen Lissner, dänischer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, übte darin scharfe Kritik an der Praxis von NGOs, Bilder verhungernder afrikanischer Kinder in ihren Infomaterialien für Spendenkampagnen zu verwenden. Einzelne Kinder ihrer Würde zu berauben und den Menschen in reichen Ländern als hilflose Objekte vorzuführen, losgelöst von jedem gesellschaftlichen und historischen Kontext, sei „soziale Pornografie“, unterstrich Lissner. Er rief dazu auf, dieser Perpetuierung einer rassistisch verzerrten Wahrnehmung des Südens ein Ende zu setzen – nicht ohne hinzuzufügen, dass es bereits als inakzeptabel galt, solche Bilder bei Spendenkampagnen für Kinderhilfsorganisationen im Norden zu verwenden. Wie konnten Hilfsorganisationen mit dieser Doppelmoral durchkommen? Bloß weil ihre Bilder Kinder aus anderen Teilen der Welt zeigten?
Der Artikel hatte weitreichende Folgen. Ende der 1980er hatte die Generalversammlung europäischer Entwicklungs-NGOs dann einen Verhaltenskodex beschlossen, der alle Hilfsorganisationen anwies, in ihrer Darstellung des Südens keine „mitleiderregenden“ oder „vorurteilsverstärkenden“ Bilder zu verwenden. Ein 2007 beschlossener aktualisierter Kodex (siehe Kasten) bekräftigte, dass die gesamte Öffentlichkeitsarbeit von NGOs im Bereich internationaler Entwicklung auf den grundlegenden Werten der Würde des Menschen, des Respekts und der Wahrhaftigkeit zu beruhen hätte. Ähnliche Richtlinien wurden auch anderswo eingeführt, darunter in Australien, Kanada und Neuseeland.
Rückkehr kolonialer Bilder. In den letzten Jahren war jedoch zu beobachten, wie das stereotype Bild des verhungernden schwarzen Kindes in den Informationsbroschüren viel zu vieler Hilfsorganisationen eine Auferstehung feiert. NGOs, die es eigentlich besser wissen sollten, sind wieder in das alte Schema verfallen und holen Katastrophenbilder aus den 1970ern aus dem Archiv, in einem verzweifelten Versuch, ihre Einnahmen um jeden Preis zu erhöhen. Ein Kampf, den wir schon vor Jahren für gewonnen glaubten, muss nun offenbar neuerlich ausgefochten werden.
Die Debatte spitzte sich letztes Jahr zu, als Save the Children formell beschuldigt wurde, unter Missachtung des Verhaltenskodex entwürdigende Bilder von Kindern in ihrer Spendenwerbung im Fernsehen zu verwenden. Besonders ein Werbespot, der eine Reihe von Kindern in verschiedenen Stadien der Auszehrung zeigte, wurde von vielen als unethisch verurteilt. Doch Partos, die Vereinigung niederländischer Entwicklungs-NGOs, bei der die Beschwerde eingereicht worden war, ergriff keinerlei Maßnahmen. In der endgültigen Entscheidung des Beschwerdeausschusses hieß es, dass NGOs lediglich dazu angehalten wären, den Europäischen Verhaltenskodex einzuhalten, aber keine Verpflichtung dazu bestehe.
Internationale NGOs haben eine Wahl, wie Jørgen Lissner schon all die Jahre zuvor unterstrich: Sie können weiter als „Händler des Elends“ agieren, ein verzerrtes Bild des Südens vermitteln und den Kreislauf von Hilfe und Verzweiflung aufrechterhalten. Oder sie können aktive Solidarität mit jenen Bewegungen rund um die Welt üben, die beschlossen haben, die Machtstrukturen herauszufordern, die für ihre Unterdrückung verantwortlich sind. Wofür sich NGOs auch entscheiden, eines ist klar: Koloniale Bilder von hilflosen Kindern, die auf ihre Rettung durch westliche Spenderinnen und Spender warten, sind im 21. Jahrhundert fehl am Platz, und wir sollten sie bekämpfen, wo immer sie auch auftauchen.
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John Hilary ist Direktor der NGO War on Want, die globale Armut bekämpft.
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