Sixto Rodriguez ist verstorben. 2014 hatte Richard Solder die seltene Gelegenheit, mit dem Musiker zu sprechen. Aus dem Archiv.
„Da bist du zum Richtigen gekommen“, sagt er und lächelt. An sich schon erfreulich, ist dieser Beginn eines Gespräches noch toller, wenn die Aussage von Sixto Rodriguez kommt. Rodriguez, das ist der mit dem Hit „Sugarman“. Jener US-Singer-Songwriter, dessen unglaubliche Geschichte in der Oscar-gekrönten Doku „Looking for Sugarman“ (siehe Film-Rezension in Südwind-Magazin 11/2013) verfilmt wurde. Der Mann aus Detroit, der in Südafrika jahrelang ein Star war, ohne davon zu wissen. Der Kultstar, dessen Spuren südafrikanische Fans verfolgten, nachdem sie dachten, er sei bereits verstorben.
Da sitzt er nun in einem Café eines Hotels am Wiener Ring und blättert in einem Südwind-Magazin. „Da bist du zum Richtigen gekommen“, sagt er. „Ich bin eine Arbeitsbiene.“ Der Hinweis auf die Berichterstattung im Südwind-Magazin über die Situation von Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit, etwa in der Textilindustrie in Bangladesch und Indien, hat es dem Musiker angetan.
Sixto Rodriguez, heute 71 Jahre alt, hat ein Leben als Arbeiter in der einstigen Industriehochburg Detroit hinter sich. Er schuftete in der Automobilindustrie und am Bau. Er wirkt davon gezeichnet. Manche seiner Bewegungen sind unkoordiniert. Er hört etwas schwer. Zudem kämpft Rodriguez gegen ein fortschreitendes Glaukom. Aber der Künstler tourt nach wie vor durch die Welt. Sogar ein neues Album will er aufnehmen.
Trotz des Rummels um seine Person scheint er die Bodenständigkeit nicht verloren zu haben, von Starallüren keine Spur. Bevor der Redakteur des entwicklungspolitischen Magazins aus dem kleinen Österreich zur ersten Frage ansetzen kann, kontert der Sänger: „Erzähl mir zuerst etwas von dir!“
Ist es eine Herausforderung, berühmt zu sein? „Yes, Sir“, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Das sagt Rodriguez aber nicht verbittert, sondern mit einem Hauch Ironie. „Ich bin in der glücklichen Situation, meine Musik mit der Welt teilen zu können. Dass zum Beispiel Interviews zu geben dazu gehört, verstehe ich. Das verstehe ich heute wahrscheinlich besser als früher.“ Rodriguez schafft sich in seinem bewegten Alltag Rückzugsmöglichkeiten: „Ich versuche, mein Leben aufzuteilen. Da gibt es den beruflichen Bereich, den politischen Bereich und den privaten Bereich. Mir macht mein Leben als Musiker viel Spaß, aber trotzdem muss ich das trennen. Ich glaube, viele Künstler schaffen das nicht.“
Er scheint mit seinem Schicksal, dem verspäteten Erfolg, nicht zu hadern. Und das, obwohl er früher davon profitieren hätte können. Seine zwei Alben aus den 1970er Jahren, „Cold Fact“ und „Coming from Reality“, kamen damals beim Publikum in Europa und den USA nicht an. In Südafrika allerdings verkauften sich seine Platten in den 1970er und 1980er Jahren – Kopien von aus den USA mitgebrachten Platten – hervorragend. Auch in Australien stießen Rodriguez’ Werke auf Interesse. Doch in dem Film „Looking for Sugarman“ wird aufgezeigt, wie der finanzielle Anteil am Erfolg, der Rodriguez zugestanden wäre, irgendwo zwischen Händlern und Plattenfirmen versickerte. Das Geld aus den Gagen, die er heute durch Konzerte und Tantiemen einnimmt, gibt er vor allem der Familie und an Freunde weiter. Der Ausnahmemusiker aus Detroit lebt spartanisch wie eh und je.
Warum verstanden die Menschen in Südafrika seine Musik? „Ja, warum Südafrika?“ fragt sich Rodriguez selbst und lässt den Blick auf die Ringstraße schweifen. „Ein Faktor war wohl, dass meine Musik dort jene Menschen hörten, die vor Herausforderungen standen wie unsere Generation in den USA.“ Ähnlich wie Bob Dylan, mit dem er immer wieder verglichen wird, war die Musik Rodriguez‘ in den 1970ern gesellschaftskritisch. Er sang gegen Autoritäten und Konservatismus, sprach in den Liedern offen Sexualität an, aber auch die Armut in den Städten der USA. In Südafrika gehörte die Musik des Singer-Songwriters zur Begleitmusik der Anti-Apartheid-Bewegung, vor allem jener aus der Afrikaans-Community. Da wie dort war Krieg ein Thema, in den USA der Vietnamkrieg. Südafrika war in dieser Zeit in Grenzkriege bzw. in den Bürgerkrieg in Angola involviert. „Meine Fangemeinde bestand zu einem großen Teil aus Soldaten, die in Angola und Namibia ihren Militärdienst ableisten mussten. Sie haben untereinander Kassetten getauscht“, erklärt Rodriguez.
Seine Wurzeln habe er nie vergessen. Rodriguez ist Kind von mexikanischen EinwandererInnen mit indigenen Wurzeln. Die Kultur seiner Vorfahren ist ihm wichtig: „Diese Menschen waren Einheimische auf diesem Kontinent. Sie sind nicht mit einem Schiff gekommen“, betont er, und fängt an, über die vergleichsweise „jungen“ USA und Grenzen bzw. Grenzziehungen zu philosophieren, bis hin zu den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine.
Rodriguez denkt offensichtlich sehr politisch. Nicht verwunderlich: mehrmals hat er bereits für politische Ämter kandidiert, darunter zweimal bei den Bürgermeisterwahlen in Detroit. „Ich stehe für ein gesellschaftliches System ein, in dem alle mitreden können“, sagt er auch heute noch. Und er fordert andere auf, informiert zu sein – und sich zu engagieren: „Wissen ist nur gut, wenn man auch aktiv wird. Es bringt nichts, über einen Missstand informiert zu sein und nichts dagegen zu unternehmen.“ Der Politiker Sixto Rodriguez ist inspirierend. Der Musiker sowieso.
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