In der EU wird mehr durch Lobbying entschieden als durch Wahlen.
"Unser Europa – Ihre Wahl“. Mit einem blauen Spruchband am Parlamentsgebäude in Wien wird für eine Beteiligung an der Wahl des EU-Parlaments geworben. Nichtwählen ist in einer Demokratie immer die schlechteste Option. Das Kreuz am Wahlzettel ist nur ein kleiner, aber entscheidender Teil der Demokratie.
Der Spruch am Parlament ist allerdings für viele doppelt falsch: Die große Friedensidee Europa wurde von Wirtschaftsinteressen gekapert und unser „Wir-Gefühl“ mit Europa ist dadurch empfindlich beschädigt. Und was die Wahlmöglichkeit betrifft: Die wirklich wichtigen Fragen stehen scheinbar gar nicht zur Wahl.
BürgerInnen dürfen wählen, Großkonzerne und Finanzinstitutionen lobbyieren. Fast täglich ist zu erfahren, was mehr Wirkung zeigt. Laufend kommen Gesetzesvorlagen und Richtlinien zustande, die den Interessen der Mehrzahl der EU-BürgerInnen entgegengesetzt sind, oder einen Bruch mit vorher dargestellten Positionen bedeuten – wie die geplante Zulassung von Genmais 1507 oder Fracking ohne verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung.
Gerade verhandeln EU und USA ein Freihandelsabkommen (TTIP), das die Interessen von InvestorInnen über die nationalstaatliche Gestaltungshoheit stellt und damit die WählerInnen in Europa völlig entmachtet. Wesentliche Informationen dazu bekommt die Öffentlichkeit nicht im Rahmen demokratischer Aushandlungsprozesse, sondern durch Whistleblowing via Wikileaks (siehe auch Thema dieser Ausgabe). VertreterInnen von Wirtschaft und Finanz dagegen sitzen, von den WählerInnen nicht berufen, in den Gremien, die die Entwürfe für die entscheidenden Dokumente schreiben.
Lobbying hat viele Gesichter – abgesehen von unverhohlener Korruption und käuflichen Abgeordneten. Stets geht es um einen privilegierten Zugang zu EntscheidungsträgerInnen, der mittlerweile vor allem eine Frage der Ressourcen ist. Das System des Lobbying ist von Ungleichheit geprägt und verstärkt diese noch. Finanziell schwächer ausgestattete Positionen werden nicht gehört und berücksichtigt. Selbst wenn Zivilgesellschaft und öffentliche Interessenverbände im Bereich Lobbying inzwischen nachgezogen haben, herrscht noch immer eine immense Ungleichheit der Möglichkeiten. Exzessivem Lobbying ist es zu verdanken, dass die EU in ihrer Ausrichtung näher an einer Diktatur der Wirtschaft ist als an einer Demokratie der BürgerInnen. Laut einer aktuellen Studie der Arbeiterkammer (AK) gibt die Finanzindustrie dreißigmal so viel für Lobbying aus wie NGOs, Gewerkschaften und KonsumentenvertreterInnen zusammen.
Das System des Lobbyismus steht in krassem Widerspruch zur Demokratie. Es ist intransparent und entstammt dem „Antichambrieren“ aus Feudalsystemen und Diktaturen. Nur ein Teil der LobbyistInnen ist – freiwillig – registriert. Die EU-Kommission zeigt keinen echten politischen Willen, eine wirksame Kontrolle des Lobbying einzuführen.
Selbstverständlich gehe ich am 25. Mai zur Wahl und versuche über mein Kreuzchen auf demokratischem Weg jene Kräfte zu stärken, die die Demokratie durchsetzen sollen. Auch weil es zu „meinem“ Europa noch ein weiter Weg ist.
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