Legalize it?

Von Robert Poth · · 2000/12

Die enormen Kosten und die Ineffektivität der weltweiten Drogenprohition sind offensichtlich. Wer das Drogenproblem entschärfen will, kommt an der Ausschaltung des Schwarzmarkts nicht vorbei.

Was Al Gore-Fans zu denken geben sollte: Ohne Drogenprohibition wäre der US-Vizepräsident wahrscheinlich am 7. November als Nachfolger Bill Clintons gefeiert worden. Denn einem Drittel der traditionell überwiegend demokratisch wählenden männlichen Afroamerikaner im umkämpften US-Bundesstaat Florida wurde das Wahlrecht permanent entzogen, wie die Internet-Gazette salon.com anmerkt; einem wesentlichen Teil davon aufgrund von Drogenvergehen, für deren harte Bestrafung sich Gore einsetzt – das „Gesetz“der ungewollten Nebenwirkungen missachtet man auf eigene Gefahr.

Ob gewollt oder nicht: Die negativen Folgen der Drogenprohibition sind jedenfalls gewaltig, wie sich insbesondere am Beispiel der USA zeigen lässt. In keinem anderen westlichen Land wurde die Kriminalisierung, ja Militarisierung eines Problems, das im wesentlichen zu den Agenden der Gesundheitsbehörden gehört, so weit vorangetrieben wie im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Nicht zufällig ist der amtierende oberste Anti-Drogenbeamte der USA, Barry McCaffrey, Ex-Chef des für Lateinamerika zuständigen Südkommandos der US-Armee.

Ein Resultat ist die Tatsache, dass die USA mit mehr als zwei Millionen Menschen die weltweit höchste Gefängnispopulation pro Einwohner aufweisen. Bereits der bloße Besitz von Marihuana kann zu längeren Gefängnisstrafen führen. Rund 460.000 US-AmerikanerInnen sitzen aufgrund von Drogenvergehen ein, und nach Angaben der International Human Rights Law Group sind fast 63 Prozent davon AfroamerikanerInnen, obwohl es ca. fünfmal mehr weiße DrogenkonsumentInnen gibt als schwarze. Der „War on drugs“ ist eher ein Krieg gegen die Armen.

„Tough on crime“ zu sein bedeutet auch eine Erweiterung der Befugnisse von Polizeieinheiten bei der Drogenfahndung. In den meisten US-Bundesstaaten sind Polizeieinheiten etwa berechtigt, verdächtige Gelder sowie Drogen nicht nur zu beschlagnahmen, sondern für eigene Zwecke zu verwenden: Die Kriminellen sollen für ihre eigene Verfolgung bezahlen. Ausreichend dafür ist meist der bloße Verdacht. Dies eröffnet polizeilicher Willkür Tür und Tor und fördert Nacht-und-Nebel-Aktionen, die allein den Zweck verfolgen, an kolportierte Drogen heranzukommen.

Am 4. Oktober traf es den 64-jährigen John Adams in Lebanon, Tennessee. Die Polizei hatte schlicht das Haus verwechselt und erschoss den Afroamerikaner, der sich gegen die vermeintlichen Einbrecher zur Wehr setzen wollte. Die Zahl der Menschen, die auf diese Art und Weise unschuldig ums Leben kommen, ist unbekannt – die Politik interessiert sich nicht dafür.

„Sie wollen das Bargeld, die Drogen … Die Polizei ist süchtig nach Geld, das sie einziehen kann“, so Joseph McNamara, Ex-Polizeichef von Kansas City und San Jose. Eine zu 100 Prozent selbstfinanzierte Spezialeinheit, die South Florida Impact Task Force mit 50 Mitgliedern, konnte seit 1993 neben 30 Tonnen Kokain und sieben Tonnen Marihuana mehr als 140 Millionen US-Dollar verdächtiger Gelder einziehen. Ein Erfolg? Um an diese Pfründe heranzukommen, musste die Einheit seit 1994 selbst mehr als 120 Millionen Dollar weißwaschen, Gelder, die zumeist Drogenhändlern zugute kamen. Verbrechen begehen, um ein ebensolches aufzuklären?

Dies verweist auf einen gefährlichen Aspekt der Strafverfolgung, der sich aus der Natur des Drogengeschäfts ergibt: Es handelt sich im Prinzip um Handlungen, die auf wechselseitigem Einverständnis beruhen. Niemand erstattet Anzeige. Daher kommt das einschlägige Instrumentarium zum Einsatz: verdeckte Ermittlungen, V-Männer, Kronzeugenregelungen, Scheinkäufe und so genannte „kontrollierte Lieferungen“, bei denen die Polizei selbst am Drogenschmuggel mitwirkt. Letzlich droht die Verschmelzung der zuständigen Behörden mit dem Objekt ihrer Nachforschungen.

Diese „Kollateralschäden“ der Prohibition sind allerdings nur die halbe Geschichte. Ein Großteil der Kosten, die im allgemeinen mit dem Drogenkonsum verbunden werden, sind in Wirklichkeit „sekundär“, wie ExpertInnen unermüdlich wiederholen: Sie entstehen nicht durch den Konsum, sondern durch seine Illegalität. Dazu gehören die Verbreitung von AIDS und Hepatitis C durch unsaubere Injektionsnadeln; Vergiftungen und Todesfälle durch unreine Substanzen; die Beschaffungskriminalität; die mit Handel und Vertrieb verbundene Gewalt, die unmittelbaren Kosten der Strafverfolgung sowie ihre „Opportunitätskosten“ (weniger Ressourcen zur Vorbeugung und Bekämpfung anderer Straftaten).

Zu addieren sind natürlich noch die Folgekosten der Prohibition auf internationaler Ebene, die von ihren Verfechtern seltsamerweise den illegalen Drogen zugerechnet werden anstatt ihrer Verfolgung: Finanzierung der organisierten Kriminalität, Korrumpierung und Schwächung aller rechtsstaatlichen Institutionen in den Produktions- und Transitländern, wirtschaftliche Fehlentwicklungen durch Drogengelder, Repression gegen Hunderttausende arme Bauern, Eskalation der Gewalt bis hin zu Bürgerkriegen – alles das ist nur unter der Bedingung der Illegalität und der hohen Gewinne möglich, die im Drogengeschäft erzielt werden können. Und aufgrund der Armut: „Drogenhandel destabilisiert Zentralasien“ titelte die Neue Zürcher Zeitung einen Hintergrundbericht Anfang November. Später erfahren wir, wie Armut und Unterbezahlung öffentlich Bediensteter zusammenwirken, um Menschen auf eine kriminelle Laufbahn zu bringen. „Armut destabilisiert Zentralasien“ war offenbar nicht zugkräftig genug.

Wozu das Ganze? Selbst die US-Antidrogenbehörde DEA sieht die Angebotsbekämpfung als gescheitert. Wie DEA-Chef Donnie Marshall Ende Juli 1999 einräumte, ist die DEA beim besten Willen weder in der Lage, die Preise für Heroin und Kokain in unbezahlbare Höhen zu treiben noch das Angebot von Drogen zu eliminieren. Kurz davor hatte die DEA auch zugegeben, dass die Verhaftung von Drogendealern keine Dauerlösung sei, da einfach andere Dealer an ihre Stelle treten würden.

Tatsächlich sind insbesondere Kokain und Crack, eine rauchbare Variante, zur Überlebensgrundlage großer Teile der afroamerikanischen Gemeinschaft und anderer Minderheiten in den USA geworden, die in der „Wissensökonomie“ keinen Platz finden. Die Hand internationaler „Kartelle“ ist nur in einigen US-Regionen zu erkennen, was übrigens in verstärktem Maße für Europa gilt, wie das UN-Drogenkontrollprogramm UNDCP anmerkt.

Für die Architekten der Repression kein Problem: Gemäß dem Entwurf zu einer UN-Konvention über transnationale organisierte Kriminalität, die Mitte Dezember zur Unterzeichnung aufliegen wird, gilt als solche jedes schwere Verbrechen, das von drei Personen aufwärts zwecks materiellem Gewinn geplant wird. Drogenhandel gehört natürlich dazu.

„Politiker“, so die ENCOD, ein Forum europäischer NGOs zum Thema Drogen und Entwicklung, in einer Analyse des UN-Plans für eine „Welt ohne Drogen“, „scheinen gewöhnlich den Schluss zu ziehen, dass der Grund des Scheiterns der Gewalt darin liegt, dass sie nur ungenügend angewendet wurde, und dass die logische Antwort daher in ihrer Eskalation besteht, nicht aber in einer Neubewertung“.

Eine solche Neubewertung kann nur zu Schritten in Richtung Entkriminalisierung und Legalisierung führen.

Entsprechende Impulse werden nicht von den USA ausgehen, sondern am ehesten von Europa, meint Peter Webster vom Washingtoner Drug Reform Coordination Network.

Beim jüngsten Präsidentschaftswahlkampf blieb Kritik am „War on drugs“ dem Kandidaten der Grünen Partei, Ralph Nader und Harry Brown von der Libertären Partei vorbehalten. Allerdings nimmt in den USA quer durch die politischen Lager der Widerstand gegen die offizielle Linie zu, und die Forderung nach einer Legalisierung von Marihuana, finanziell unterstützt vom offenbar allgegenwärtigen George Soros, ist längst kein Tabu mehr. Etwa durch den demokratischen Abgeordneten Barney Frank (Massachusetts), der eben mit 75 Prozent der Stimmen wieder gewählt wurde: Er sehe nicht ein, warum heute Jugendliche dafür sitzen sollten, was sowohl Gore als auch Bush in ihrer Jugend getan hätten, meinte Frank bei einer Wahlrede.

Vielleicht hat Webster recht. In Europa wird nicht nur generell eine weichere Linie gefahren – der Europäische Drogenbericht 2000 konstatiert einen entstehenden Konsens betreffend Schadensbegrenzung und Entkriminalisierung – sondern hier haben Länder auch durchaus erfolgreiche Experimente gewagt. Beispielgebend etwa die niederländische Politik einer begrenzten Freigabe von Cannabis mit dem Ziel, die Märkte für „harte“ und „weiche“ Drogen voneinander zu trennen.

Ernst machen will nun offenbar die Schweiz: Anfang Oktober wurde ein Grundsatzbeschluss zur Entkriminalisierung des Cannabiskonsums gefasst, dem sich allein die rechte Schweizer Volkspartei nicht anschloss. Eine Expertenkommission hatte zuvor eine echte Legalisierung befürwortet, aber eingedenk der diesem Schritt entgegenstehenden UN-Suchtgiftkonventionen einen Kompromiss empfohlen.

Offenbar ist in Sachen Cannabis ein Trend zu erkennen: Wenigstens die KonsumentInnen und ProduzentInnen dieser relativ harmlosen Substanz mit geringem Suchtpotential könnten aus dem Visier genommen werden. Dies würde eine Konzentration auf tatsächliche „Problemdrogen“, die Ursachen und die Vorbeugung ihres Missbrauchs erlauben: in Europa sind das Opiate, deren Bedeutung für die Gesundheitspolitik allerdings von Alkohol und Nikotin mehr als in den Schatten gestellt wird; in den USA vor allem Kokain und Crack, deren Missbrauch untrennbar mit Armut und Rassismus zusammenhängt. Ausschaltung des Schwarzmarkts und damit der Destabilisierung der Herkunfts- und Transitländer wäre dabei oberste Priorität.

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